»Licht als Grundlage der sozialistischen Wirtschaft« (1921)
Die wirtschaftliche Stärke des Kapitalismus beruhe auf Kohle und Eisen und einer entsprechenden sozialen Organisation, meinte der Schriftsteller Andrei Platonow 1921 - und sah in der Sonnenenergie das sozialistische Äquivalent. Ein früher Vertreter der Erneuerbaren in unserem Archiv linker Debatte.
// In der ganzen Welt geht jetzt der schöpferische Geist des Sozialismus um. Gleichzeitig aber müssen (und das geschieht bereits) die Äquivalente des Sozialismus in der Physik, Chemie, Technik, Biologie etc. erschaffen werden, andernfalls ist der Sozialismus undenkbar und unmöglich.
Wir wollen uns hier mit dem technischen Äquivalent des Sozialismus befassen.
Die sozialistische Technik muss eine solche Energie finden und zu nutzen verstehen, die für die Menschheit fast automatisch all die kolossale Menge an Gütern erzeugt, von der der Kapitalismus nicht die geringste Vorstellung hat. Der Sozialismus braucht eine ihm äquivalente physikalische Kraft, damit er durch sie eine unumstößliche Tatsache wird und seine Herrschaft in der Welt behauptet. Doch das muss eine Kraft von grenzenloser Stärke sein, überall vorhanden und immer verfügbar zur wirtschaftlichen Nutzung, eine Kraft, die den Menschen von niederen Formen der Arbeit befreit.
Der Name dieser Kraft ist Licht, gewöhnliches gestreutes Sonnenlicht, doch auch das Licht des Mondes und der Sterne. Und genau diese Kraft wollen wir in unsere Werkbänke einspannen. Von ihr gibt es im Weltall so viel, wie es Raum gibt. Im Folgenden werden wir sehen, dass Licht und Raum ein und dasselbe sind.
Die wirtschaftliche Stärke der kapitalistischen Gesellschaft beruhte auf Kohle und Eisen und einer dementsprechenden sozialen Organisation. Die ungleichmäßige Verteilung der natürlichen Brennstoffvorkommen auf der Erde, die geringe Anzahl dieser Energievorräte - all diese natürlichen Bedingungen bildeten die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise.
Die Elektrifizierung überwindet zum Teil diese für die sozialistische Wirtschaft ungünstigen natürlichen Bedingungen und bricht mit der Abhängigkeit der Energieversorgung vom geographischen Standort. Aber eben nur teilweise. Wir brauchen jedoch eine vollständige Lösung des Problems.
Nur dann ist es möglich, den Sozialismus zu erschaffen und ihn im Voraus zu definieren, wenn wir wissen, welche physikalische Kraft und wie man diese Kraft in die sozialistische Produktion einspeisen kann.
Diese Kraft ist das Licht. (…)
Wir wollen uns nicht in theoretische Gefilde begeben, denn reine Theorie ist der Aberglaube einer sterbenden Epoche, uns jedoch interessiert mehr als die Wahrheit das materielle Produkt, mehr als die Gerechtigkeit der Fakt der Herrschaft.
Wir sagen einfach, dass der Sozialismus auf einer solchen physikalischen Kraft aufgebaut werden muss, die am billigsten ist, am meisten verbreitet und deren Vorräte sich niemals erschöpfen (es gibt so viel Licht, wie es Raum gibt), das heißt, mit der Energie des Lichts und aus Licht müssen wir den Kommunismus gießen und formen.
Das ganze Weltall ist im Grunde genommen ein Reservoir, ein Akkumulator elektrischer Energie, denn das Weltall ist vor allem Raum und der Raum vor allem ein elektromagnetisches Wechselfeld. Betrachten wir aber die Geschichte allein unter dem Gesichtspunkt der praktischen Lösung des Energieproblems, dessen endgültige Bewältigung in der vollständigen, hundertprozentigen Nutzung des Weltalls durch den Menschen ohne den geringsten Aufwand an menschlicher Kraft besteht, dann können wir sagen: Die Nutzung des Lichts für die Wirtschaft ist die optimale Lösung des Energieproblems in unserer Zeit. Vergegenwärtigen wir uns, dass die Basis der Pflanzenwelt das Licht ist. Lasst uns das Licht also auch zur Basis der Menschenwelt machen. Und dafür müssen wir die ganze Technik zur Lichttechnik hinführen, die ganze Physik (und vielleicht auch die Chemie) zur Elektrik.
Die Lichttechnik muss einen solchen Mechanismus konstruieren, der das Licht der Sonne in gewöhnlichen elektrischen Arbeitsstrom verwandelt, der für unsere Elektromotoren geeignet ist. (…)
Denn das Licht muss die Grundlage der sozialistischen Wirtschaft sein - oder es wird niemals Sozialismus geben, sondern eine »ewige Übergangsepoche«. Der Sozialismus kommt nicht früher (sondern etwas später) als die Einspeisung des Lichts als Motor in die Wirtschaft. Und erst dann erwachsen aus der Schöpferkraft des Lichts: die sozialistische Gesellschaft, der neue Mensch - ein Wesen, erfüllt vom Bewusstsein, dem Wunder und der Liebe -, die kommunistische Kunst - diese kosmische Skulptur, planetarische Architektur -, und erst dann vollzieht sich die Vereinigung der Menschheit zu einem einzigen körperlichen Wesen, und die Kunst, wie wir sie jetzt kennen, wird nicht mehr notwendig sein, denn Kunst ist das Korrektiv der revolutionären Materie in einem reaktionären Bewusstsein, im Kommunismus jedoch sind Materie und Bewusstsein eins.
In der Epoche des Lichts verwirklichen wir mit eben jenem Licht auch den interstellaren Verkehr und wir werden (weil wir sie bis in ihre tiefsten Tiefen umgestalten) die Elektrizität ergründen - diesen Schlüssel zur Erkenntnis des Weltalls und das Schwert, es zu besiegen.//
aus Andrei Platonowitsch Platonow: Licht und Sozialismus (1921)
Andrei Platonowitsch Platonow, 1899 geboren, ist einer der großen russischen Schriftsteller der sowjetischen Periode. Seine Romane »Tschewengur« und »Die Baugrube« konnten in der Sowjetunion erst nach der Perestrojka erscheinen. Als Autor stellte er subproletarische Erfahrungen sowie die Zerrissenheit zwischen utopischer Hoffnung und misslingender Realisierung ins Zentrum, beschäftigte sich aber auch früh mit Technik und Natur. In den 1980er Jahren wurde er wiederentdeckt und gilt heute als einer der »Vordenker des Anthropozäns«. Der hier dokumentierte Text ist zu seinen Lebzeiten nie erschienen, er wurde erstmals 1988 in Amsterdam veröffentlicht und in einer Übersetzung 2018 auch in der Zeitschrift »Dritte Natur«.