Klimanotizen 1

Wurden Rückkopplungseffekte, die die Klimakrise verstärken, bisher unterschätzt? Kennen Sie das chinesische Kohlenstoffdreieck? Was läuft falsch in der deutschen Debatte um eine Mobilitätswende? Was hat Russlands Krieg mit der Energiewende zu tun? Und wie wirksam sind die Sanktionen wirklich?

#1 »Der erste Schritt zur Eindämmung der kurzfristigen Klimaauswirkungen und zur Minimierung des Risikos einer eventuellen Katastrophe besteht darin, dass wir unser Bewusstsein für den Ernst unserer Lage schärfen«, heißt es in einer neuen Studie unter Mitwirkung des Potsdam-Instituts für Klimafolgen-Forschung. Untersucht wurden darin verschiedene Rückkopplungseffekte, die sich auf den Klimawandel auswirken - von 41 Rückkopplungseffekten (20 physikalische und 21 biologische) verstärken die meisten (27) den Klimawandel. Viele der Rückkopplungen würden in bestehenden Klimamodellen wenig oder gar nicht berücksichtigt, einige wurden erst vor relativ kurzer Zeit entdeckt. Die Forscherinnen erwarten, dass in naher Zukunft weitere Rückkopplungsschleifen beschrieben werden, wobei es wahrscheinlich ist, dass auch diese den Klimawandel verstärken. Dies könne in der Konsequenz »bedeuten, dass das verbleibende Kohlenstoffbudget überschätzt wurde. In diesem Fall könnten die vorgeschlagenen Abschwächungspfade unzureichend sein, und die Netto-Null-Emissionen (für den Menschen) müssten möglicherweise schneller als erwartet erreicht werden.« Fazit: Es »könnte die Zukunft eines gastfreundlichen Planeten Erde auf dem Spiel stehen, wenn die schlimmsten Risiken durch Rückkopplungsschleifen und Kipppunkte unterschätzt wurden.«

#2 Jeremy Wallace wirft auf phenomenalworld.org einen Blick auf »ein tiefer liegendes Problem, mit dem Chinas Wirtschaft konfrontiert ist, ein komplexes Zusammenspiel von Finanzen, Land und Immobilien, das ich das Kohlenstoffdreieck nenne«. Es geht um Millionen leerstehende Wohnungen und unfertigen Ruinen und den Beitrag zum globalen Ausstoß von Treibhausgasen, der hier »verbaut« wurde. Wallace erläutert, wie einerseits die Fixierung am BIP als Maßstab von Entwicklung zum ökologisch verheerenden Aufblähen der Bautätigkeit geführt, welche Rolle Landverkäufe als Finanzierungsinstrument verschuldeter chinesischer Kommunalverwaltungen dabei spielen und inwiefern befeuert durch dieses »Kohlenstoffdreieck« die Zusammensetzung der Emission in China anders ausfällt als in den USA oder Europa: »Während anderswo Verkehr, Elektrizität und Wärme die Emissionen dominieren, sind es in China Elektrizität, Bauwesen und Industrie.« Auch angesichts der Immobilienkrise, so Wallace, zeige sich, »dass die richtige Dimensionierung dieses Sektors eine enorme Chance zur Senkung der globalen Emissionen darstellt«.

#3 Obwohl »ständig von der Notwendigkeit einer Mobilitätswende geredet« werde, so die beiden Forscher Andreas Herrmann und Matthias Ballweg, würde es dabei »fast ausschließlich« um eine Antriebswende gehen, »die nur einen kleinen Teil des erforderlichen Transformationsprozesses ausmacht«. Und selbst diese sei von den Herstellern »ökologisch wenig sinnvoll ausgestaltet«. Die Strategie weg von Verbrennermotoren und hin zu E-Autos ist dabei viel zu eng gedacht: So gehe etwa »die Antriebswende das große Thema Landverbrauch für die Verkehrsinfrastruktur nicht an«. Aktuell gebe »es in Europa etwa 280 Millionen Verbrennerfahrzeuge, die meist mehr stehen als fahren. Sie durch 280 Millionen Elektromobile zu ersetzen, die dann mit schweren Batterien am Straßenrand stehen, kann nicht Ziel der Transformation sein.« Nur eine bessere Auslastung der Verkehrsträger bringe »den großen Fortschritt« in Richtung einer Mobilitätswende. Dazu formulieren Herrmann und Ballweg in der FAZ ein Ziel: »Je nachdem wie sich Rohmaterialverbrauch und Fahrzeuggewicht weiterentwickeln, sollten wir für eine nachhaltige Mobilitätswende eher über ein Europa nachdenken, in dem 100 Millionen Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind (die dann tatsächlich fahren, statt hauptsächlich herumzustehen).«

#4 Jürgen Klute vertritt im Europa.Blog die These, dass sich Russlands Krieg gegen die Ukraine auch als einer »gegen die sich anbahnende Energie- und Verkehrswende der Europäischen Union« interpretieren lasse, sowie als einer »um die Bodenschätze und landwirtschaftlichen Produktionsflächen der Ukraine«, mit dem das Moskauer Kriegsregime »den zu erwartenden weitreichenden negativen ökonomischen Folgen einer EU-Energie- und Verkehrswende« zu begegnen suche. Letztere entziehe »der russischen Wirtschaft ihre Basis: Russland ist weltweit der größte Exporteur fossiler Energieträger«. Schon die Reduzierung der Gaslieferungen 2021 könnten ein Versuch gewesen sein, »die EU-Energiewende zu konterkarieren«. Ein »kurzfristiger Umbau der russischen Wirtschaft, wie ihn ein schneller klimapolitisch gebotener Ausstieg aus der fossilen Energieproduktion erforderlich macht«, sei unrealistisch, so Klute. »Will Putin also die ihn stützenden Oligarchen weiterhin bei der Stange halten, muss er ihnen einen Ersatz für die wegbrechenden Einnahmen aus dem Export der fossilen Energieträger bieten. Dazu braucht Putin offensichtlich den Zugriff auf die ökonomischen Ressourcen der Ukraine.« Dort finden sich nicht nur »117 der 120 am häufigsten verwendeten Mineralien und Metalle« in relevanten Mengen; mit der Besetzung von Teilen der Ukraine habe Moskau bereits im Sommer 2022 »63 Prozent der Kohlevorkommen der Ukraine, 11 Prozent der Erdölvorkommen, 20 Prozent der Erdgasvorkommen, 42 Prozent der Metalle und 33 Prozent der Vorkommen an seltenen Erden und anderen wichtigen Mineralien, darunter Lithium« unter seine Militärherrschaft gebracht. »Die Sicherung der Kontrolle über für die Energiewende relevante Bodenschätze verschafft zum einen neue Einnahmequellen und zum anderen auch Einfluss auf die Umsetzung und Organisation der Energiewende.«

#5 Uwe Witt blickt auf die europäischen Energiesanktionen und kommt im Unterschied zu vielen von links auf die Frage blickenden Beobachterinnen zu einem differenzierten Ergebnis. Diese Maßnahmen (viel mehr bleibt nicht, wenn man unterhalb der militärischen Schwelle Gegenwehr gegen die Aggression auf den Plan bringen will) werden oft als wirkungslos oder Eigentor kritisiert. Witt, der selbst auch »Kritikpunkte an Lücken, Widersprüchen und mangelnden Kontrollmöglichkeiten« sieht, kommt nach fachlicher Prüfung aber zu einem anderen Ergebnis. So habe die EU »ein klares politisches Ziel für diese Sanktionen formuliert, nämlich zum Minsker Abkommen zurückzukehren«; die Übergangsfristen und schrittweise Umsetzung von Sanktionen habe zwar »die Effekte zunächst deutlich abgeschwächt«, dies »geschah aber durchaus planvoll und war aufgrund der drohenden ökonomischen Folgewirkungen auch nachvollziehbar«. Außerdem würden die Wirkungen auf die russische Wirtschaft und den Staatshaushalt »2023 deutlich drastischer ausfallen als im vergangenen Jahr, wo der Preisanstieg den Exportrückgang überlagern konnte«. (tos)

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