Statt nur Abwehrkämpfe zu führen

Die Automobilindustrie ist im Umbruch, die hiesige Industrie wird es in der heutigen Form in einigen Jahrzehnten so nicht mehr geben. Eine neue Studie trägt umfassend Material zum Wandel zusammen - und diskutiert die Herausforderung aus sozialer, gewerkschaftlicher und ökologischer Perspektive.

»Die deutsche Autoindustrie wird es in dieser Form in 20 oder 30 Jahren sicherlich nicht mehr geben«, sagte Christian Dustmann vom University College London unlängst voraus. »Sie wird sich verändern müssen und wird in Zukunft womöglich etwas anderes herstellen – Maschinen oder andere Fortbewegungsmittel vielleicht.« Dass die Branche sich global in einem tiefgreifenden Umbruch befindet, ist natürlich keine Neuigkeit. Allerdings spitzt sich die Frage immer weiter zu, in welche Richtung, mit welchen Schwerpunkten und zu wessen Lasten die Transformation abläuft.

Manche Diskussionen wie die um »Technologieoffenheit« oder einen angeblichen Freiheitsanspruch auf individuelle motorisierte Fortbewegung lenken dabei eher von den zu lösenden Problemen ab. Welche diese sind, hängt auch vom Verständnis der Tiefe der Transformation ab.

Wer sich allein um Standortqualitäten, internationalen Wettbewerb um Produktionszahlen oder eine begrenzte ökologische Modernisierung sorgt, bei der Wandel darauf begrenzte ist, per technologischer und sozialer Innovationen die Ökobilanz zu verbessern, wird dies anders beantworten als jene, die den Standpunkt vertreten, eine mit den biophysikalischen planetaren Grenzen vereinbare Zukunft setze mehr voraus, also eine tiefgreifende Transformation gesellschaftlicher Strukturen und Institutionen sowie der damit verbundenen Kräfteverhältnisse.

Für die Automobilindustrie lässt sich diese Alternative etwas vergröbert darauf übertragen, ob eine Antriebswende im Zentrum der Veränderung steht, oder weiter gedacht eine Mobilitätswende. Dies ist eine Diskussion, die längst auch über linke oder ökologische und verkehrspolitische Kreise hinausreicht. Andreas Herrmann und Matthias Ballweg haben unlängst auf den Wirtschaftsseiten der FAZ darauf hingewiesen, dass eine Strategie weg von Verbrennermotoren und hin zu E-Autos viel zu eng gedacht sei, da unter anderem bei einem Fokus auf die Antriebswende »das große Thema Landverbrauch für die Verkehrsinfrastruktur« nicht angegangen werde. Ihr Vorschlag: Die in Europa derzeit meist herumstehenden etwa 280 Millionen Verbrennerfahrzeuge auf 100 Millionen elektrisch betriebene Fahrzeuge zu reduzieren.

Dass ein solcher Schritt nicht ohne viele weitere zu gehen wäre, ist klar. Etwa was den Ausbau des ÖPNV und der Bahninfrastruktur angeht, bei dem allein sich schon enorme Herausforderungen zeigen - Kapazitätsprobleme, Arbeitskraftmangel, lange Dauer der Investitionsvorhaben, die enormen Fehler der Vergangenheit, politische Finanzierungsprobleme und so weiter.

Von kulturellen Aspekten ganz zu schweigen, die mehr und mehr zum »Kulturkampf um die Zukunft des Autos« stilisiert werden, wie gerade erst im »Spiegel«. Die Behauptung, um die Frage der Zukunft der Mobilität und des Autos teile sich »die Republik in zwei Lager«, bei denen die einen Pkw »als Dreckschleuder« verteufeln, die anderen dies »zur Ikone der Freiheit« stilisieren, ist dabei sowohl Ausdruck einer nicht hilfreichen öffentlichen Diskursmechanik wie auch selbst ein Treiber. Der Soziologe Steffen Mau spricht hier von »Polarisierungsunternehmern«, die durch die ständige Behauptung von grundlegender Gegnerschaft zwischen zwei Gruppen »politisches Kapital zu gewinnen« suchen. Kapital, das sich in »ungesättigten politischen Konflikten« auszahlen soll, also solchen »die noch nicht institutionell befriedet sind«.

Wie etwa die Auseinandersetzung um die sozial-ökologische Transformation im Allgemeinen wie auch die damit zusammenhängenden Teilkonflikte im Besonderen, also etwa die Veränderungen in der Autobranche. »Da gibt es Gruppen, denen geht alles viel zu schnell, die haben auch Veränderungsängste. Anderen geht es nicht schnell genug, weil die Zeit drängt. Es geht beim Klimakonflikt auch um die Geschwindigkeit und Tiefe des gesellschaftlichen Wandels. Das ist die zentrale Konfliktstruktur. Im Grunde ist die Klimafrage die größte Verteilungsfrage, vor der wir stehen«, so Mau.

Das Gewerkschaftsprogramm der Rosa-Luxemburg-Stiftung Genf hat nun eine Studie veröffentlicht, in der an Transformationsfragen aus dem Blickwinkel von Gewerkschaften, Linken und Ökologiebewegung herangegangen wird. Jörn Boewe und Johannes Schulten diskutieren darin nicht nur »Mythen und Illusionen über die Elektromobilität und die Transformation der Automobilindustrie«; sie blicken nicht nur kritisch auf die sozialen und ökologischen Bilanzen der verschiedenen möglichen Pfade dieser Transformation.

Die Studie basiert nicht zuletzt auf zahlreichen Interviews mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern in der Bundesrepublik, in Lateinamerika und China. Vor allem wird hier also dem Blick aus den Betrieben heraus Platz eingeräumt: »Welche Konsequenzen hat die wachsende Nachfrage nach Konfliktrohstoffen wie Lithium, Kobalt und Seltenen Erden? Wie werden sich bislang ungelöste Entsorgungsprobleme auswirken? Wie steht es um die Menschenrechtssituation entlang der neuen Lieferketten? Wird die seit fast zwei Jahrzehnten an- dauernde Verlagerung von Produktionskapazitäten in Regionen mit niedrigen Löhnen und schwacher Arbeitsrechtsgesetzgebung durch das Hochfahren der Elektromobilität beschleunigt? Werden Kernbereiche der neuen globalen Leitindustrien auf lange Sicht gewerkschaftsfrei bleiben oder gibt es Ansätze neuer Klassenorganisierung? Welche progressiven gesellschaftlichen Akteure sind in diesen Transformationsprozess involviert, wie sehen ihre Perspektiven, politischen Ziele und Handlungsoptionen aus?«

In der Studie werden unterschiedliche Interpretationen dessen vorgestellt und diskutiert, was den Charakter des Paradigmenwechsels in der Autobranche eigentlich ausmacht (Wechsel vom Industrie zum Informationsparadigma; Modularisierung der Produktion, Elektromobilität als Sackgasse). Boewe und Schulten definieren die unterliegende »Tiefenströmung« des Wandels als »doppelte Transformation« aus Dekarbonisierung und Digitalisierung. Wie sich diese in Bestandszahlen, Mobilitätstrends, Stoffströmen, Produktionszahlen, ökologischen Folgen und Rohstoffgebrauch etc. auswirkt, wird umfangreich mit empirischem Material dargestellt. Verschiedene klima-, verkehrs- und industriepolitische Rahmensetzungen (China, Europa, Nordamerika, Japan, Südamerika) werden auf ihre Auswirkungen auf Weltmarktkonkurrenz ebenso wie auf Arbeitsbedingungen und gewerkschaftliche Strategien abgeklopft; tief greifende Veränderungen in den Wertschöpfungsketten oder auf dem Feld der Plattformökonomie verfolgt.

Die als »Handbuch« vorgestellte gut 100-seitige Studie schöpft aus ihrer umsichtigen, empirisch unterfütterten Fülle ihre Vorteile - fast alles, das man über die Transformation der Automobilität wissen sollte, findet man hier. Die Studie endet mit acht Thesen. Die Autoren gehen im Kern davon aus, dass die doppelte Transformation »ein Versuch der ›inneren Reform‹ der Automobilindustrie und ihres Geschäftsmodells« ist, »das klima- und stadtplanungspolitisch an Grenzen stößt. Ob dieser Versuch in eine erfolgreiche Modernisierung der globalen kapitalistischen Leitindustrie münden wird, ist heute noch nicht auszumachen.« Wie er ausgeht, wird auch davon abhängen, wie erfolgreich linke, soziale und gewerkschaftliche Akteure dabei sind, statt nur Abwehrkämpfe in einer Modernisierung zu führe, diese zur Transformation auszuweiten und mitzugestaltenn. Dies sei »möglich, aber ein Auftrag an uns, sie konzeptionell und organisiert vorzubereiten«. (tos)

Jörn Boewe und Johannes Schulten: Die Transformation der globalen Automobilindustrie. Trends, Deutungen, sozialökologische Handlungsstrategien – Ein Handbuch für die gewerkschaftliche und politische Praxis, rls-Studien 2023.

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