Klimanotizen 39

Augstein triggert mit einem Text über »Klima-Religion«, nicht nur Göpel stören die »blöden Bemerkungen«. Bringen solche Diskussion überhaupt etwas? Über die innere Spannung angesichts des Nadelöhrs »Klimahandeln«, Selbstreflexion mit Draxler und einen Kantischen Einwurf von Angele.

#1 Mitte September vergangenen Jahres war Jakob Augstein im Luzerner Salon Public eingeladen darüber zu sprechen, »wie wir künftig wohnen werden«. In dem später im »Freitag« erschienenen Text griff der Herausgeber das Thema groß auf und stellte es zwei Monate später einer größeren Öffentlichkeit vor: »Wir können die Erwärmung der Erde nicht stoppen. Wir sollten es auch nicht länger versuchen.« Was das für die Bewohnbarkeit des Planeten, die Maßstäbe des Denkens, die politischen Zielsetzungen und Verfahren bedeutet, hätte man gern gelesen. Schließlich ist der zugrunde liegende Gedanke ja angesichts der Beharrlichkeit, mit der Mehrheiten im globalen Norden an einer Produktions- und Lebensweise festhalten, die von alleine auch nicht bei 3 Grad plus Halt machen wird, sozusagen »eine brennende Frage«. Sie wird allerdings nicht wirklich behandelt, man findet in dem Text stattdessen mehr oder minder logisch miteinander verbundenen Aspekte des Themas Klimakrise (und jede Menge Triggerwörter), die kontroverser Debatte durchaus wert wären. Aber die Art und Weise, wie sie vorgetragen werden, vertreibt jede ehrliche Neugier. Oder wie Maja Göpel es formuliert hat: »Nicht gestört hat mich, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Gestört haben mich Wissenschaftsfeindlichkeit, blöde Bemerkungen nur über Frauen und eine hohe Widersprüchlichkeit.« 

#2 Augstein hat sich Göpels Kritik in einem Gespräch gestellt, über das sich ebenfalls eine Menge sagen ließe: Wer sich für die inneren Blockaden interessiert, mit denen wirksames Klimahandeln konfrontiert ist, wird hier nicht enttäuscht. An einer Stelle sagt Augstein zu Göpel, er »merke an der Emotionalität, mit der Sie sprechen, dass es Sie wirklich bewegt. Eine starke emotionale Involviertheit ist auch in den Medien und in der Politik zu beobachten«. Was von ihm wegweisen soll, weist freilich auf ihn selbst - und auf jeden von uns: »Eigentlich« liegt alles auf dem Tisch. Klimahandeln ist ja weniger ein Problem mangelnden Wissens, sondern mit einer Welt hoher Komplexität konfrontiert, es ist nie »eindeutig«, sondern widersprüchlich, immer drängend und zugleich nie genug, wenn es hier passt, reißt es dort neue Probleme auf. Das führt zu einer inneren Zerrissenheit, die man nicht mit empirischen Banalitäten verwechseln darf, etwa solchen, dass Mehrheiten Klimapolitik für sehr wichtig halten und zugleich doch auch davon nicht in ihrem Privatleben behelligt werden wollen. Das ungute Gefühl, das hier gemeint ist, lässt sich eher mit der inneren Spannung vergleichen, die alle Versuche begleitet, einen etwas ausgefransten Faden durch ein sehr enges Nadelöhr zu fädeln. Irgendwann ist das bedrängende Gefühl so stark, dass man hinwerfen möchte. Und weil es ein negatives Gefühl ist, versucht man es irgendwie loszuwerden, auf andere umzulenken, sich unter den schützenden Schirm von Sätzen zu stellen, die als wahr behauptet werden, oder das Thema zu wechseln, zu verdrängen usw. usf.

#3 Bleiben wir bei Augsteins Text und dem Gespräch mit Göpel. Was hier manchem wie psychologische Fleischbeschau vom Spielfeldrand aus anmuten könnte, könnte einen konstruktiven Zweck haben: die innere Abwehr, die der ursprüngliche Text durch die Art des Vortrags auslöst, zu überwinden, sich so auf in dem Text enthaltene Thesen einzulassen, die eine Diskussion wert sind, und zugleich durch die Beobachtung des Gegenüber kritisch auf sich selbst zu schauen. Helmut Draxler hat im jüngsten »Merkur« einige erhellende Gedanken über Polarisierung und Ressentiment aus psychoanalytischer Perspektive beigetragen - mit einer kleinen Ehrenrettung der »Polarisierung«, die er »sowohl als ermöglichend als auch als einengend« verstanden wissen möchte; und mit einer Kritik des Ressentiment-Begriffs, wie er in der politischen Debatte von links meist vorkommt. »Ressentiment wird in diesen Diagnosen zum Inbegriff von Unvernünftigkeit und Irrationalität«, während »man selbst wie selbstverständlich im Namen von Vernunft, Moral, gutem Willen und vor allem im vollen Bewusstsein der eigenen Absichten agiert, um die anderen von ihren Verirrungen zu überzeugen«. Zugegeben: Teile von Augsteins Text und seiner Einlassungen im späteren Gespräch mit Göpel laden geradezu ein, sie als Beleg von Unvernünftigkeit und Irrationalität abzutun, und sich selbst vor dem inneren Gericht so ins bessere Licht zu setzen. Aber man muss sich gerade dann davor hüten, die eigene Ressentimentgeladenheit zu übersehen und selbst »Lösungsgewissheiten für die anderen zu verkünden«, die darüber hinwegsehen, welche inneren Spannungen die Widersprüchlichkeiten von zum Beispiel Klimapolitik in einem selbst auslösen. Oder in Draxlers Worten: »was Psychoanalyse für Kritische Theorie heute leisten kann: ein akutes Moment der Selbstreflexion«. 

#4 Nun gibt es, unser Beispiel steht hier bestens, noch eine weitere Ebene: die der gesellschaftlichen Sprechpositionen. Publizistik neigt unter Bedingungen ihrer warenförmigen Produktion dazu, der Aufmerksamkeit, die ein veröffentlichter Gedanke oder Sachverhalt erzeugt, übergeordnete Priorität zuzubilligen. So ist das Geschäft, es ist nicht in jedem Fall gesellschaftlich nützlich, vor allem dann nicht, wenn noch andere Interessen im Spiel sind, wie beim fossilen Riesen KKR, der sich hierzulande viel beachtete Zeitungen hält, oder wenn der Aufmerksamkeitsökonomie die rezeptionspsychologischen Folgen gänzlich egal werden, und also auch die Konsequenzen, die sich nicht in Auflage oder Reichweite messen lassen. Daran muss man weder bei Augstein (der auch mit Eva von Redecker oder Joseph Vogl über Klimakrise, Freiheit und Kapitalismus diskutiert hat) noch bei Göpel, deren gesellschaftliche Rolle mit »Publizistin« ebenfalls gut beschrieben wäre, als erstes denken. Zur öffentlichen Meinungsbildung tragen sie jedenfalls mehr bei als der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung. Das führt zu einer Verantwortung, und man kann dann sagen, wer dieser eher gerecht wird. 

#5 So sehr das im vorliegenden Fall eine leichte Entscheidung wäre, so falsch wäre es aber wohl, aus der Zustimmung zu der einen den Schluss zu ziehen, dass über den anderen schon »alles Richtige« gesagt wäre. Allein der Satz aus dem ursprünglichen Text von Augstein, nachdem »in Wahrheit« mit »dem Klimawandel der Klassengegensatz nur eine neue Dimension gewonnen« habe, böte Stoff für Tausend weitere Gespräche. Ist die planetare Frage nur ein weiterer Aspekt, der an der Oberfläche einer im Grunde weiter dominierenden Stellung zum Eigentum an Produktionsmitteln bloß zu weiteren »alten« sozialen Widersprüchen führt - oder stellen sich doch neue, andere Klassenfragen? Ebenso Augsteins Auffassung, »dass wir das moralische Recht haben, die Umwelt so zu kontrollieren, dass sie für unsere Zwecke gut funktioniert«: Muss es nicht stattdessen eine dem Planetaren Paradigma entsprechende Ethik geben, in der (planetozentrische) Habitabilität mit (anthropozentrischer) Hospitalität neu verbunden sind? Hinzu kommt, dass die formale und zeitliche Anlage dieser kleinen Diskussion dazu führt, dass Göpel selbst noch gar nicht dazu kommt, Positionen zu umreißen, weil es ihre Rolle ist, durch Kritik an Augstein dessen Positionen überhaupt erst wieder in die Zone der möglichen Diskutierbarkeit zurückzuholen - ihre Aufforderung im Schlusswort, dass sie sich zuvor erst erobern muss, zeigt das an: da muss ja überhaupt erst »ein bisschen mehr Respekt« verlangt werden, ohne den eine Diskussion nicht möglich ist. Ein solcher Respekt würde übrigens auch darin bestehen, sich für Konzepte zu interessieren, bevor man diese als »erkennbaren Unsinn« abtut. Im konkreten Fall ging es um Kreislaufwirtschaft, von der Augstein ein Zerrbild aus Räucherstäbchen und Bastelgruppe im Kopf zu haben scheint - ein Thema, das in der Sozialforschung, unter Ökonomen oder bei der Bertelsmann-Stiftung ganz anders diskutiert wird. Im Gespräch zwischen Augstein und Göpel hakt an dieser Stelle Michael Angele mit dem Hinweis ein, »man könnte auch sagen, dass Begriffe wie ›Kreislaufwirtschaft‹ regulative Ideen der praktischen Vernunft sind – wie der ewige Frieden bei Kant. Sie sind nie ganz zu erreichen, aber sie leiten unser Handeln, bringen die Dinge zum Laufen.« Auch so ein Punkt, der eine große Debatte verdient hat. Augstein antwortet darauf übrigens mit: »Da steige ich aus, ich will nicht volkserzogen werden.« Mit dem Draxler im Kopf lässt sich sogar das aushalten.

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