Klimanotizen 18

Was die »Diesel ist Super!«-Plakate der Rechtsradikalen in Sonneberg mit der automobilen Politik von Wissing und Wegner zu tun haben. Wie die Tempolimit-Debatte einen alten Fetisch fokussiert, um über einen neuen nicht zu reden. Und was wir über Ökonomie und Kultur der Autoabhängigkeit wissen.

#1 Der aktuelle Deutschlandtrend findet Beachtung vor allem wegen der neuen Zahlen für jene Partei, die zu den Landratswahlen in Sonneberg unter anderem »Diesel ist super!« plakatiert. Von Infratest erfährt man aus selbiger Umfrage außerdem: »Das Auto bleibt das beliebteste Verkehrsmittel für die Reise zum Urlaubsort. 41 Prozent der Befragten setzen auf den Pkw, um in den Sommerurlaub zu starten, 17 Prozent planen eine Flugreise und 7 Prozent nutzen die Bahn.« Dass weit mehr als die Hälfte jener mit Haushaltseinkommen unter 1.500 Euro zu Hause bleiben wird, weil die finanzielle Situation für viele in dieser Gruppe einen Urlaub nicht zulässt, wird so auch zum Fingerzeig auf die Dimension sozialer Ungleichheit auf der individuellen Verursacherseite. Dass die Aufgabe Klimaschutz, wie der für Verkehr zuständige FDP-Minister meint, »in die Hände der gesamten Gesellschaft« gehöre, ist so richtig, wie dieser Hinweis bei Wissing dazu dient, das Klimaproblem zu einem der rein individuellen Verhaltensentscheidung zu machen. Der Parteivorsitzende der FDP hat das vor einigen Monaten so formuliert: »Es ist nicht Volker Wissing, der die Klimaziele im Verkehr nicht erreicht, sondern die Bürgerinnen und Bürger.« Richtig bleibt, was wir hier dazu schon anmerkten: »Hinter dem Fingerzeig auf die Bürgerinnen und Bürger soll zum Verschwinden gebracht werden, dass ein planetar verträgliches Leben politische Rahmensetzungen braucht, die zu materiellen gesellschaftlichen Voraussetzungen führen, welche für jede und jeden gleich und frei zugänglich sein müssten, wofür Umverteilung zu sorgen hätte.«

#2 Damit ist freilich die Frage noch nicht beantwortet, ob die Bürgerinnen bei Vorhandensein zum Beispiel eines bestens ausgebauten und überall verfügbaren öffentlichen Bahnsystems dieses zur Fahrt in den Urlaub auch nutzen würden. Einen Fingerzeig mögen neue Zahlen zum 49-Euro-Ticket geben: Im Juni haben etwa 9,6 Millionen Fahrgäste dieses Ticket genutzt, fast die Hälfte davon sind von bereits bestehenden ÖPNV-Abonnements gewechselt, über 40 Prozent sind Neuabonnentinnen, »die in der Vergangenheit den ÖPNV bereits hin und wieder oder regelmäßiger genutzt haben« und die Quote der Neukundinnen, die bisher so gut wie nie Bus und Bahn gefahren sind, liegt bei etwa 8 Prozent, also etwa 800.000 Personen. Ist das viel oder wenig? Verglichen damit, dass in Umfragen rund 75 Prozent der automobilen Befragten sich vorstellen können, öfter mal auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, wohl nicht. Diese grundsätzliche Bereitschaft wird allerdings mit der Bedingung verbunden, dass sich erst einmal einiges ändern müsste - die Anbindung etwa, oder der Preis.

#3 Fast 66 Prozent konnten sich in besagter Studie übrigens mehr Fahrten mit dem Fahrrad vorstellen. In Berlin ist die neue Koalition aus CDU und SPD gerade sehr bemüht, die Menschen davon abzuhalten. Etwa indem etliche Radwegeprojekte infrage gestellt werden. Der Regierende Bürgermeister verteidigt dies mit einem vielsagenden Satz: Er möchte eben keine »Radwege, mit denen man Autos mutwillig ausbremst«. Nun besteht die eigentliche Funktion eines Radweges in der Stadt ja genau darin, nämlich das Kräfteungleichgewicht zu Gunsten der ungeschützteren Radfahrerinnen zu verändern und also Autos, wenn man so will: auszubremsen. Dem CDU-Politiker Wegner geht es aber nicht um Verkehrssicherheit. Er sieht sich durch seine Wahl in der Radwegefrage legitimiert, bei der eine »große Mehrheit der Berlinerinnen und Berlinern« gezeigt habe »es leid« zu sein, »dass eine Verkehrspolitik einseitig gegen das Auto gemacht wird«. Soll also Verkehrspolitik auch gleichseitig gegen Bahn, Radweg und Gehsteig gemacht werden? Natürlich geht es Wegner um etwas anderes, zugespitzt formuliert um das, worauf auch die »Diesel ist Super!«-Propaganda der rechtsradikalen Partei in Sonneberg zielt: auf die politische Bewirtschaftung einer affektbesetzten Beziehung mit besonderer deutscher Ausprägung - jener zwischen Auto und Mensch.

#4 Wie das Statistische Bundesamt gerade mitteilt, hatten 1962 nicht einmal ein Drittel der Haushalte ein Auto, heute sind es beinahe 80 Prozent, in drei Prozent der Haushalt fährt der Pkw mindestens teilelektrisch. In der automobil geprägten Kultur steckt natürlich mehr als ein Fetischismus; ein ganzes Wirtschaftsmodell wurde um die Pkw-Produktion gebaut, der fordistische Massenkonsum als soziale Integrationsmaschine einer bestimmten Phase kapitalistischer Entwicklung heißt nicht umsonst nach einem Autokonzern. Auch wird man dem Auto bestimmte Eigenschaften nicht absprechen können, auf dem Land ist es bisweilen nötig, in manchen Fällen sehr nützlich. Dass die verbindlichen Klimaziele, denen der Wegner so verpflichtet sein müsste wie der Wissing, nicht erreicht werden können, wenn alles beim Alten bleibt, wird aber auch nur noch abstreiten wollen, wer Böses im Schilde führt. War das zu moralisch formuliert? Einen entsprechenden Überschuss unterstellt man ja gern denen, die für wirksamen Klimaschutz eintreten, sich also in den Dienst der Vernunft stellen. Dass sie dabei nicht immer vernünftig vorgehen, mag so sein. In der FAZ greift Niklas Maak in einem Text, der schon wegen des flammenden Appells für eine ganz andere, wirklich ökologisch ausgerichtete Baupolitik und Baukultur lesenswert ist, die Forderung der »Letzten Generation« nach einem Tempolimit auf. »Wenn in Deutschland das Tempolimit zum Zentrum der Klimadebatte geworden ist, liegt das sicher auch daran, dass das Auto ein so greifbares Objekt ist. Es ist schnell und macht Lärm; man will den Klimawandel aufhalten, also hält man Autos auf, was sich wie ein unmittelbarer Erfolg anfühlt: Wir haben etwas gebremst!« Ob Maak da an den CDU-Wegner dachte, ist nicht überliefert, er dachte aber auch nicht daran, ebenfalls ins Tempolimit-Horn zu stoßen. Diese Debatte wirke auf ihn, »als würde man auf einem sinkenden Schiff darüber streiten, ob man wohl zur Gewichtsreduktion die Teller von Bord werfen sollte. Die Hebel, mit denen die wirklichen Entscheidungen über die Erderwärmung getroffen werden, liegen woanders, aber das bildet sich im öffentlichen Diskurs nicht ab.« Man findet in dem Text neben der Frage des Wohnungsbaus, die im Kern ja auch eine der Mobilität in sich trägt, ein paar Beispiele: die Rolle des Fleischkonsums für die Klimakrise etwa. Dass dieser radikal reduziert werden muss, kann nicht aus der Welt diskutiert werden. Und doch ist die Beziehung zwischen Mensch und Fleisch ähnlich affektbeladen wie jene zum Auto. Was so weit geht, dass sich CDU-Minister öffentlich zum Fleischkonsum bekennen müssen. Wie der Wegner zum Auto. Maak stellt ein Gedankenspiel dagegen: »Beim Internet ist viel schwerer vorstellbar, wo es überhaupt steht, wie viel Dreck es macht und wie man den einschränkt. 1974, während der Ölkrise, verfügte die Regierung autofreie Sonntage. Was, wenn als Sofortmaßnahme zur Senkung des Energieverbrauchs das Streaming verboten würde?« Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendeine Regierung einen internetfreien Sonntag verhängen würde? Worauf Maak hinauswill: So laut der Kulturkampf um das Auto auch sein mag, es geht darin um etwas schon Vergangenes, um etwas, das seine zentrale Rolle schon verliert. »Die aktuelle Diskussion ist auch geprägt vom Epochenbruch, seit dem nicht mehr das prägende Objekt des 20. Jahrhunderts, das Automobil, Priorität hat, sondern das prägende Objekt des 21. Jahrhunderts, das Mobiltelefon und das darüber zugängliche Internet.«

#5 In derselben Ausgabe der FAZ bringt Stefan Locke in seinem Text über die Landratswahl in Sonneberg und die »Diesel ist super!«-Partei auf den Punkt, worüber Maak ein paar Seiten später schreibt: »Damit alles so bleibt, wie es längst nicht mehr ist«. Man wird die Kräfte der Beharrung besser verstehen müssen, bevor das Ausbremsen des Falschen erfolgreicher und zur gewollten, weil als vernünftig erachteten Sache der Bürgerinnen werden kann. Fehlende Infrastruktur für Alternativen, also der Mangel an Politik der Ermöglichung, ist dabei genauso in den Blick zu nehmen wie die tiefe Verankerung von Konsumkulturen und Objektfetischen. Aber es gibt noch ein drittes Feld, und dieses haben gerade Katharina Keil und Julia K. Steinberger in einer aktuellen Studie ausgemessen: die »systemischen Hindernisse für einen Übergang zur Nachhaltigkeit in der deutschen Autoindustrie«. Warum kommen Reduktion des Autoverkehrs, Umstieg auf nicht-fossile Antriebe und Verringerung des Energiebedarfs von Pkw durch Anpassung von Größe und Gewicht nicht voran? Weil das Geschäftsmodell der globalen Automobilindustrie auf dem Verkauf von mehr und größeren Fahrzeugen beruht. »Technologische Dynamik und Aneignung« würden »das Entstehen sozial und ökologisch nachhaltiger Produkte aus der Industrie selbst heraus behindern«. Eine Fokussierung »auf den Ersatz von Antriebssträngen ohne Reduzierung der Gesamtproduktion« sei »von vornherein ökologisch nicht nachhaltig«. In die Produktionsweise eingeschriebene Mechanismen begünstigen strukturell eine Pfadverlängerung »in Ermangelung verbindlicher, effizienter Vorschriften in Richtung Elektro-SUVs«. Die Autorinnen plädieren schließlich für politische Anstrengungen »auf mehreren Ebenen, die auch den deutschen Autokonsens in Angriff nehmen«. Ergänzend dazu sei hier noch eine Studie von Giulio Mattioli und anderen zur »politischen Ökonomie der Autoabhängigkeit« empfohlen. Darin werden »fünf Schlüsselelemente« eines »auto-abhängigen Verkehrssystems« beschrieben - die Automobilindustrie, die Bereitstellung der Auto-Infrastruktur, die politische Ökonomie der Zersiedelung, die Bereitstellung öffentlicher Verkehrsmittel und die Kultur des Autokonsums. Letztere, heißt es darin, habe »ihre eigene Trägheit: Selbst wenn die Autokonzerne aufhören würden, für Autos zu werben und sich für eine autogerechte Infrastruktur einzusetzen, würden die Menschen ihre Vorlieben und ihren Lebensstil beibehalten, die die Autonutzung fördern und in einigen Fällen sogar erfordern… Die Autokultur ist also nicht nur eine flüchtige oder neu entstehende Eigenschaft der Autoabhängigkeit: Sie ist eine der wichtigsten Triebkräfte, die sie weiter festigt.«

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