»Keine eigenen Ziele«: das BSW und die Klimapolitik

Vernunft und Gerechtigkeit als Knetmasse der Identitätsverstärkung für einen Gruppenbezug: Wie »ehrlich« ist die »seriöse Klima- und Umweltpolitik« des Wagenknecht-Vereins? Über Durchsetzungsfragen und die Schwierigkeiten der Programmkritik.

Unter der Überschrift »Politik braucht einen Plan« hat Sahra Wagenknecht dieser Tage noch einmal die Leitplanken ihres Gründungsprojekts zusammengefasst. Ein Teil der Debatte über die Dauerankündigung hat sich auf ihren speziellen Konflikt mit der Linkspartei konzentriert, nach vermeintlichen Repräsentationslücken gesucht und Mutmaßungen über Erfolgschancen angestellt. Treffender lässt sich das Vorgehen der Buchautorin mit Steffen Mau beschreiben, der mit anderen analysiert hat, wie in Zeiten von »Veränderungserschöpfung«, wie der viel zitierte Soziologe das nennt, neue Gelegenheiten für Polarisierungsunternehmer entstehen. Diese inszenieren oder greifen Konflikte auf und verstärken diese per Affektpolitik. Hierbei spielen Mau zufolge Triggerpunkte eine wichtige Rolle, »Chiffren für eine Summe von gesellschaftlichen Veränderungen«, bei deren Ansprache es nicht um Lösung oder sachbezogene Diskussion darüber geht, sondern um Identitätsverstärkung für einen Gruppenbezug, mit dem man die Hoffnung politischer Mobilisierungsfähigkeit verknüpft, die aber nicht mit Gestaltungsfähigkeit verwechselt werden sollte. 

Besagtes Interview ist nur ein Beispiel für solche Polarisierungsunternehmerschaft, die genutzten Signalwörter, die argumentative Dramaturgie und die gefühlspolitischen Zuschreibungen gehören seit langem zum Repertoire von Wagenknecht: das gute, aber bedrohte einfache Volk und die böse, aber unfähige Regierung, die anmaßend und übergriffig den Menschen alles vorschreibt und dabei entsprechend einem woken Zeitgeist vox populi diffamiert und mit moralischen Zumutungen behelligt. Der politischen Klasse (»ideologiegesteuert oder schlicht inkompetent«) wird der »vernunftbegabte Mensch« gegenübergestellt, der es besser weiß, aber nicht zum Zuge kommt, weil die Regierenden »überhaupt keinen Plan« haben. 

Was zu der Frage überleitet, welchen Plan das Gründungsprojekt BSW hat. Wobei ein Dilemma ausgeblendet werden muss: Sofern die These richtig ist, dass politische Polarisierungsunternehmerschaft vor allem »identitätspolitisch« ausgerichtet ist, also Abgrenzung und Schuldprojektion um deren affektueller Wirkung Willen betrieben werden, führt die Frage nach »dem Plan« eigentlich ins Leere. Bei Parteien würde man an Programm und konkrete Forderungen denken, diese sind aber eben gar nicht charakteristisch für solche politische Polarisierungsunternehmerschaft. Aus den Reihen des Spendensammelvereins BSW ist ein politischer Umgang eingefordert worden, bei dem das Projekt nicht durch vorgefertigte Raster beurteilt werden solle. Im Folgenden soll es deshalb um »den Plan« des BSW in der Klimapolitik gehen, die im Planetaren Paradigma vor allem eine Umsetzungs- und eine Durchsetzungsfrage ist.

Den bisher vorliegenden programmatischen Schnipsel ist ebenfalls jene affektpolitische Begrifflichkeit eigen, die man aus den Interviews der Namensgeberin seit langem kennt. Schon die Selbstbezeichnung beansprucht »Vernunft und Gerechtigkeit« und spricht sie auf diese Weise anderen ab. Was vernünftig und gerecht im Planetaren Paradigma ist, wird weder historisch noch logisch hergeleitet, es wird eher als Knetmasse der Identitätsverstärkung benutzt, bei der bestimmte Begriffe »das falsche Andere« markieren: Die »Ehrlichkeit« einer »seriösen Klima- und Umweltpolitik« wird dem Vorgehen anderer gegenübergestellt, deren »blinder Aktivismus und undurchdachte Maßnahmen« wirtschaftliche Substanz, Bezahlbarkeit und Akzeptanz gefährden würden. »Der wichtigste Beitrag, den ein Land wie Deutschland zur Bekämpfung von Klimawandel und Umweltzerstörung leisten kann, ist die Entwicklung innovativer Schlüsseltechnologien für eine klimaneutrale und naturverträgliche Wirtschaft der Zukunft.« 

In einem FAQ findet man weitere Anmerkungen: »Wie wollen wir Umwelt- und Klimaschutz erreichen, ohne das Leben der Menschen immer teurer zu machen?« Dort tauchen dann »ideologische Scheuklappen« auf, auch dies ein Begriff im Dienste von Affekt- und Identitätspolitik: denn diese werden ja immer nur von anderen getragen. Auch Susanne Götze hat die bisher vorliegenden klimapolitischen Skizzen des BSW durchgesehen und »Desinformation und irreführende Argumente« gefunden - unter anderem was den deutschen CO2-Preis und den EU-Emissionshandel angeht. Götzes Fazit: »Viele Stellen lesen sich wie ein verzweifelter Nachruf auf die Fünfzigerjahre, als die Welt vermeintlich noch in Ordnung war. Doch die Nachkriegsromantik hat leider einen Haken: Die alten Rezepte von damals sind mitten in der Klimakrise – und auch bei anderen Themen – völlig aus der Zeit gefallen.« Oder, wie an dieser Stelle formuliert: »Materielle ›Besitzstandswahrung first‹ – im Gewand der Sorge um den deutschen Wirtschafts- und Industriestandort – ermöglicht es, das in Teilen der Bevölkerung verbreitete Unbehagen politisch zu bewirtschaften.«

Die positiv überzeichnete Rückprojektion vollzieht das BSW nicht zuletzt dadurch, auf Klimapolitik vor allem durch die Brille von Energiepreisen zu blicken, deren Billigkeit den alles entscheidenden Maßstab bildet: für das Wohlergehen der Industrie und den Konsum der Bevölkerung. Niedrige Preisniveaus werden mit dem Bezug fossiler Brennstoffe in Verbindung gebracht - dass diese aus Russland kommen sollen, fügt der außen- und sicherheitspolitischen Agenda des BSW eine Schlagseite bei, darin liegt aber nicht der Kern dieser Agenda, sondern in der Verteidigung eines Wohlstandsmodells, in dem Produktion, Massenkonsum und soziale Integration im Zuge eines »fossilistischen Klassenkompromisses« garantiert waren. 

Dieser ist an absolute Grenzen des Planeten und der Physik gestoßen, die sich nicht relativieren lassen. Möglich bleiben unterschiedliche Weisen der politischen Bearbeitung der Klimakrise, es kann aber bisher nicht gesagt werden, dass das BSW mit eigenen Vorschlägen (»einem Plan«) in die darum geführte Auseinandersetzung eingreifen möchte. Sieht man von einigen kurz gehaltenen Punkten ab (ÖPNV-Ausbau, Photovoltaik auf Gebäudedächern, Reparaturförderung und Müllvermeidung), die aber allenfalls einzelne Bereiche der Klimapolitik ansprechen, nicht jedoch sich mit den Umsetzungsfragen und zu lösenden Widersprüchen befassen, macht das BSW keine »Vorschläge, die mehr Klimaschutz bringen und gleichzeitig den Wohlstand unseres Landes nicht gefährden«. 

Dass eine Politik, die den Kriterien »Vernunft und Gerechtigkeit« entsprechen will, heutzutage nicht lediglich den Wohlstand des eigenen Landes berücksichtigen kann, sondern stets auch Antwort auf globale Wirkungsursachen und die stoffliche Seite der Gesamtproduktion sein müsste, kommt hinzu. Die Betonung der »Entwicklung von Zukunftstechnologien«, die das BSW als oberstes Ziel nennt, auf das »die Anstrengungen konzentriert« werden sollen, wird nicht untersetzt. Man liest allenfalls noch, wie »verbrauchsärmere Verbrenner und intensive Forschung an klimaverträglichen Brennstoffen« gegen das Auslaufen von Verbrennermotoren in Stellung gebracht werden. Das BSW teilt hier den technologischen Optimismus der FDP: Irgendetwas wird den Ingenieuren schon einfallen.

Doch entspricht dies weder dem Stand der technischen und wissenschaftlichen Diskussion noch den Vorstellungen des überwiegenden Teils von Unternehmerschaft und Beschäftigten selbst. Hier verstößt das BSW entweder gegen das selbst formulierte Gebot der »Ehrlichkeit« einer »seriösen Klima- und Umweltpolitik«. Oder es handelt sich schlicht um eine jener Verzögerungstaktiken, die in der Studie »Discourses of climate delay« beschrieben werden. Gleiches gilt für die falsche Behauptung des BSW, die Energieversorgung der Bundesrepublik lasse sich »nicht allein durch erneuerbare Energien sichern«, wogegen aus der Wissenschaft gehalten wird, dies sei sehr wohl möglich und sogar sinnvoll. 

»In der Klimapolitik, also bei der Dekarbonisierung des Kapitalstocks und dem Umbau der Produktions- und Lebensweise der westlichen Wohlstandsgesellschaften stehen Wagenknecht und Co auf der Seite der Bremser«, so wurde das hier bereits kritisch zusammengefasst. Eine Durchsicht der bisher vorliegenden klimapolitischen Aussagen des BSW  gibt es auch vom Climate.Table - das Fazit: »Sie geben keine eigenen Ziele vor und präsentieren bislang keine alternativen Ideen, wie die nationalen, europäischen und internationalen Klimaziele konkret zu erreichen wären. Dafür konzentrieren sie sich auf allgemeine Kritik an der aktuellen Politik in Berlin und Brüssel.« 

Gegenüber Climate.Table hat der Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst, der mit dem BSW sympathisiert und bisher (alles andere als konfliktfrei) für die Linksfraktion den Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie leitete, erklärt, man wolle »das Pariser Abkommen nicht kündigen. Aber Deutschlands Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ist so nicht zu erreichen, wie es die Bundesregierung derzeit macht.« 

Einen alternativen Weg schlägt Ernst bisher nicht vor. Stattdessen wird eine der zentralen Behauptungen der Blockierer wirksamer Klimapolitik wiederholt: »Es geht darum, international die Ziele zu erreichen und nicht darum, in Deutschland um jede Tonne CO2 zu kämpfen oder die Sektorziele einzuhalten.« Hier scheint das beliebte Argument durch, laut dem Deutschland nur etwa zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursacht, deren Einsparung nicht die ganze Welt rette, dafür aber der »Preis des Niedergangs der heimischen Industrie« (Ernst) bezahlt werde müsse. 

Christian Schwägerl hat diese häufig anzutreffende Redefigur gründlich auseinandergenommen. Und er spricht den entscheidenden Punkt an, denn im Planetaren Paradigma hilft hinten heraus Rechthaben allein auch nicht viel weiter: »Die entscheidende Frage ist vielmehr, was man in einem Gedankenspiel tun würde, in dem man an der Spitze einer fiktiven Weltregierung wirklich für 100 Prozent des Problems verantwortlich wäre. Antwort: Auch dann wäre es wissenschaftlich geboten zu tun, was der Paris-Vertrag vorschreibt, und eine schnellstmögliche Reduktion des CO2-Ausstoßes in Richtung null zu forcieren. Für die deutsche Klimapolitik wäre das praktische Ergebnis also dasselbe, ob das Land nun für 2 oder für 100 Prozent der Emissionen verantwortlich ist.«

Zwei Gründungsmitglieder der Wahlalternative WASG, Hüseyin Aydin und Bernhard Sander, haben auf die bündnispolitischen Konsequenzen der BSW-Sichtweise hingewiesen. »An der Differenzierung in der Beschaffung ausreichender und bezahlbarer Energie geht kein Weg vorbei, bis die Umstellung der Produktion auf erneuerbare Energiequellen abgeschlossen ist. Zu den aktuell brisanten Fragen zum Beispiel eines zeitlich begrenzten Industriestrompreises und sozialer Ausgleichszahlungen äußert sich das Wagenknecht-Bündnis vorsichtshalber nicht. Ideologisch gefestigt wird behauptet, Deutschlands Energieversorgung lasse sich im Rahmen heutiger Technologien ›nicht allein durch erneuerbare Energien sichern‹. Diese Aussage ist fachlich falsch, wie mittlerweile mehrfach erwidert worden ist… es erweist sich so als Themenstaubsauger für Unzufriedene, aber es bietet keine belastbare Partnerschaft für Beschäftigte und ihre Gewerkschaften. Allein mit Schlagworten wird man in der laufenden Transformation der gesellschaftlichen Betriebsweise scheitern.«

Stephan Hebel hat mit Blick auf die Klimapolitik des BSW von einer gefährlichen Nähe »zu einer derzeit zentralen Erzählung der konservativen bis extremen Rechten« gesprochen, »die da lautet: Für das Unwohlsein der Menschen in einer Zeit der Veränderung seien nicht etwa der Klimawandel, sondern Vorschläge zu seiner Bekämpfung verantwortlich«. Es geht ihm dabei nicht darum, die bisher vagen BSW-Vorstellungen zu dem Thema selbst schon als »rechts« zu etikettieren. Hebels Punkt weist aber auf die mögliche gesellschaftspolitische Wirkung des BSW als Polarisierungsunternehmen, dem es selbst gar nicht um einen echten »Plan« geht: »Veränderungserschöpfung« wird zu parteipolitischem Zweck benutzt, was zur Klimafrage gesagt wird, soll nicht Veränderung anders, besser ermöglichen, um die Erschöpfung zu mindern - sondern die »Veränderungserschöpfung« möglichst hoch halten. Denn diese »Veränderungserschöpfung« ist der Treibstoff, der das Polarisierungsunternehmen BSW antreibt.

Auf die Frage »Warum käme die Wahl einer solchen neuen Partei unter Führung von Sahra Wagenknecht für Sie grundsätzlich in Frage?« haben unlängst nur wenige derer mit »Klimapolitik« geantwortet (8 Prozent), die sich ein Kreuz beim BSW vorstellen können. Auch »neue Impulse in der Politik« sind nicht das kräftigste Zugpferd (11 Prozent), gleiches gilt für die »Außenpolitik und Ukraine-Krieg«. Und selbst die Wirtschafts- und Sozialpolitik wird nicht einmal von jeder Fünften als ausschlaggebend für eine eventuelle BSW-Stimme genannt - im Vergleich zu 40 Prozent, die von der Enttäuschung von anderen Parteien angetrieben sind und 29 Prozent, die in Wagenknecht die personifizierte Gegenprojektion zu dieser Enttäuschung sehen. 

Carsten Braband hat noch weitere Indizien dafür zusammengetragen, dass das potenzielle Elektorat des BSW der oft strapazierten These einer linkskonservativen Repräsentationslücke nicht entspricht. Einmal abgesehen davon, ob eine verteilungs- und wirtschaftspolitische Agenda überhaupt als »links« markiert werden kann, die im Wesentlichen national egoistisch ausgerichtet ist und weder etwas von planetaren Wirkungszusammenhängen noch Gerechtigkeitsfragen wissen will. Michael Bittner hat das in seiner Betrachtung über das BSW auf eine - auch über den Rahmen des Klimapolitischen hinaus - prägnante Formulierung gebracht: »Sahra Wagenknechts Parteigründung beruht nicht auf der Idee, verschüttete linke Ideale wiederzubeleben, sondern auf dem Plan, alle linken Forderungen fallenzulassen, die derzeit bei der Mehrheit nicht populär sind.«

Für die Auseinandersetzung mit dem kommenden Parteiprojekt spielt das sowohl eine Rolle - wie auch zugleich nicht. Denn es gehört zu den Vorteilen des Polarisierungsunternehmertums, dass es auf Programme im herkömmlichen Sinn nicht angewiesen ist, noch weniger auf »einen Plan«. Das macht die politische Auseinandersetzung nicht einfacher. 

Kritik am weltanschaulichen Richtungspotenzial perlt an der Behauptung ab, damit könnten doch viele Leute längst nichts mehr anfangen, außerdem seien die Linken heute so »identitätspolitisch«. Kritik am mangelnden Umsetzungs- und Durchsetzungspotenzial kann das BSW auf eigene, identitätspolitische Weise parieren: mit dem Verweis auf die Planlosigkeit der da oben und die Wut derer da unten. Offenkundig liegt darin auch schon die Antwort: sich nicht vorrangig an den schwer fassbaren Affektpolitiken abzuarbeiten, sondern selbst beharrlich die klimapolitischen Umsetzungslücken unter Beachtung von Gleichheit, Kooperation und Freiheit zu schließen, damit Möglichkeiten zu öffnen, in denen Menschen durch selbstbestimmte Teilnahme an den Veränderungen - ihre »Veränderungserschöpfung« verlieren. (haka, tos)

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