Vergessene Ideen sozial erfüllter Freiheit

Der Reformimpuls der »Freiburger Thesen« der FDP von 1971 hatte eine planetare Grundierung: »Das Erkennen der Grenzen des Systems der industriellen Gesellschaft dort, wo es sich selbst aufzufressen beginnt.« Rückblick auf ein unrealisiertes Programm des Liberalismus.

Als Ende 2023 die FDP ihren 75. Geburtstag feierte, wurde sie von links aus mit einer Erinnerung beglückwünscht: Der Vorsitzende der Linkspartei, Martin Schirdewan, etwa riet der FDP, »sich auf vergessene linksliberale Zeiten zu besinnen«. Politische Beobachter schickten Auszüge aus den »Freiburger Thesen« durch so genannte Soziale Netzwerke - des Kontrastes wegen, den die kapitalismuskritischen Programm-Thesen jener Periode zum marktschreierischen Schrumpf-Liberalismus der heutigen Lindner-FDP bilden. Tom hat in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift »Sozialismus« an jene Zeiten erinnert:

»Das Erkennen der Grenzen des Systems der industriellen Gesellschaft dort, wo es sich selbst aufzufressen beginnt, beispielsweise bei der zunehmenden Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung durch den technischen Fortschritt oder der drohenden Selbstaufhebung des Individualverkehrs in den Ballungszentren« hatte Flach 1972 in einer programmatischen Rede in Düsseldorf zu einem zentralen Ausgangspunkt der neuen Politik gemacht.«

»Freidemokraten von damals wussten noch, dass es ›gezielter Gegenmaßnahmen des Staates mit den Mitteln des Rechts‹ bedürfe, solange Freiheit und Recht ›nach unseren geschichtlichen Erfahrungen bedroht‹ sind ›durch die Tendenz zur Akkumulation von Besitz und Geld, die die Reichen immer reicher werden lässt, und die Tendenz zur Konzentration des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen‹. Sie wussten darum, dass von einem allzu freien Spiel der Marktkräfte ›Ausfallserscheinungen oder gar Perversionstendenzen für die Ziele liberaler Gesellschaft drohen‹. Freilich, die damit verbundene Reformkonzeption ging grundsätzlich vom Privateigentum aus und stellte die Prinzipien der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs nicht in Frage. Aber aus der FDP jener Zeit kamen eben nicht nur hörbare Stimmen gegen die geplante Notstandsgesetzgebung, für rechtspolitische Reformen, etwa im Strafrecht. Es waren nicht nur die deutschlandpolitischen Erneuerungen oder die Forderung nach freiem und gleichem Zugang zu Bildungschancen, die ebenso hohen Stellenwert erhielt wie die ›Erneuerung der Demokratie‹. Eine zumindest der Idee nach tiefgreifende Reform des Kapitalismus rückte ins Zentrum des programmatischen Anspruchs - was sich am Rang der Überlegungen zur Eigentumsordnung, zur Bodenwertzuwachs-Steuer, zur Reform der Erbschaftsbesteuerung, zur Vermögensbildung, zur betrieblichen und Unternehmensmitbestimmung sowie zur Umweltpolitik in den ›Freiburger Thesen‹ ablesen ließ.«

»Warum blieb dieses Programm sozial erfüllter Freiheit weitgehend unerfüllt? Und warum sollte man sich heute für eine Antwort auf diese Frage interessieren? Gründe gebe es genug, zumal für eine politische Linke, die dem Erhalt künftiger Freiheit in Zeiten einer dynamischen planetaren Krise mehr Aufmerksamkeit widmen könnte. Wer den Kapitalismus transzendierende Ansätze verfolgt, ist zudem gut beraten, diese mit den realpolitischen Durchsetzungserfahrungen von Reformideen abzugleichen, die zwar nicht genauso weit gehen, aber, von einem ähnlichen Wertekanon getragen, trotzdem gescheitert sind. Und wo mit gutem Recht vor der gefährlichen Erosion demokratischer Zustände gewarnt wird, sollte eine kritische Auseinandersetzung mit dem ›real existierenden Liberalismus‹ ganz sicher der gedankenlosen Verwendung des Begriffs ›Liberale‹ als Schimpfwort vorgezogen werden.«

»Die FDP hat nicht ›den Altliberalismus zugunsten der sozialen Liberalität überwunden‹, sondern die Tradition der sozialen Liberalität abgestreift. Parteipolitische Versuche, ihr neuen organisatorischen Raum zu geben, waren nicht erfolgreich. Nicht nur Franz Walter glaubt, dass dies auch mit dem Aufstieg der Grünen zu tun hat, die mindestens einen Teil jener Zustimmung auf sich ziehen konnten, welche zuvor der ›Freiburger Geist‹ auf die FDP gelenkt hatte. Bei der war die Abkehr von einer Idee sozial erfüllter Freiheit, einem kritischen Verhältnis zu den die Freiheit unterminierenden Grundlagen der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion, einer Verantwortung für die Sicherung künftiger Freiheit umfassend. Daran konnte das Wirken einzelner sozial- und linksliberal denkender Freidemokraten nichts ändern.«

Den vollständigen Text gibt es hier als PDF.

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