Runterfahren und ein neues menschliches Maß

Über den Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Ungleichheit und der biophysikalischen Existenzkrise liegen zahlreiche Studien vor. Nun haben Miriam Rehm, Vera Huwe und Katharina Bohnenberger eine Vielzahl dieser Erkenntnisse zusammengefasst. Eine Leseempfehlung.

In der »Focus Paper Serie« der Bertelsmann-Stiftung geht es um die »zentralen Zieldimensionen einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft«. In dieser Reihe liegt nun eine knapp 60-seitige Studie von Miriam Rehm, Vera Huwe und Katharina Bohnenberger vor, die »zeigt, dass und warum sozioökonomische Ungleichheit ein Emissionstreiber ist, inwiefern effektiver Klimaschutz eine vorbeugende Maßnahme gegen ein weiteres Auseinanderklaffen von Lebensverhältnissen ist, aber auch wie eine integrierte Klima- und Verteilungspolitik realisiert werden« könnte. Es geht um »die Frage, welche Rolle Ungleichheit bei der Schaffung von Wohlstand für alle innerhalb planetarer Grenzen spielt« und ob es den oft behaupteten »Zielkonflikt zwischen Verteilungsgerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit gibt«.

Das Ergebnis mag auf den ersten Blick wenig überraschend erscheinen: Ausgehend von der Untersuchung von drei Dimension von Ungleichheit (hinsichtlich a/ der Emissionshöhe und der Verursachung der Klimakrise; b/ der Betroffenheit durch Klimaschäden und c/ der Ungleichheit bei Klimaschutzmaßnahmen) wird belegt, dass Ungleichheit erstens ein Emissionstreiber ist, zweitens Klimaschutz der Verstärkung von Ungleichheiten vorbeugt sowie drittens eine »integrierte Klima- und Verteilungspolitik« sowohl für eine effektive Klimapolitik als auch für eine Ungleichheitsreduktion »notwendig und möglich« sei. Rehm, Huwe und Bohnenberger sprechen hier von »klimasozialer Transformation« und gehen Maßnahmenpfade durch wie die »Konversion fossiler Betriebe, einen Klimasoli, der eine Finanzierungsbasis für öffentliche Klimainvestitionen schafft«, sowie den Vorschlag einer »Klimakreditkarte, die klimaneutrale Lebensbedingungen für alle ermöglicht«.

Der Vorzug der Studie liegt vor allem in ihrer umsichtigen, aus vielen empirischen Quellen hergeleiteten und nüchternen Vorgehensweise.

Zunächst wird die Klimakrise in den Kontext der neun planetaren Grenzen gestellt. Ausgehend von der Definition Johan Rockströms »wird der sichere Raum des Erdsystems durch neun biophysikalische Subsysteme begrenzt: CO2-Konzentration, Übersäuerung der Ozeane, Abbau der Ozonschicht, Nitrogen- und Phosphorzyklus, globales Frischwasser, Landnutzung, Biodiversitätsverlust, atmosphärische Aerosolbelastung und chemische Verschmutzung«. Beachtet werden müssten »zusätzlich zu den planetaren Grenzen« die verschiedenen »Kipppunkte, bei deren Überschreiten abrupte Dynamiken in Gang geraten, die zu irreversiblen Schäden unbekannten Ausmaßes führen können«. Stand der Dinge: »Biophysikalische und gesellschaftliche Risikokaskaden bedrohen die Möglichkeit eines sicheren Lebens auf der Erde für bereits lebende und ihnen folgende Generationen.«

Daran anknüpfend wird Klimapolitik dann als ausreichend bezeichnet, »wenn sie die bestehenden Ambitions- und Umsetzungslücken für einen 1,5-Grad-kompatiblen Emissionspfad schließt und Klimaneutralität schnell genug erreicht«. Dies allerdings unter einer Voraussetzung: »In einer Welt begrenzter ökologischer Ressourcen impliziert die Notwendigkeit gewisser ökologischer Mindestbedarfe, die notwendig sind, um ein gutes Leben zu führen, folgende Frage: Wie sind die verbleibenden Ressourcen zu verteilen, damit das zuvor definierte Ziel ›Wohlstand für alle innerhalb planetarer Grenzen‹ klimaneutral erreicht werden kann.«

Sodann werden »Niveau sowie die Dynamik der ökonomischen Ungleichheit« entlang von personeller Einkommensverteilung (Unterschiede zwischen Personen, Haushalten), funktionaler Einkommensverteilung (Aufteilung zwischen Kapital und Arbeit) sowie auf der Ebene der Vermögen dargestellt; diese als mögliche Ursachen der und mit Blick auf historische Beiträge einzelner Regionen zur ökologischen Krise sowie mit Blick auf mögliche Wirkungskanäle zwischen Ungleichheit und ökologischer Belastung diskutiert.

Die Zahlen sind mehr oder weniger geläufig: Das reichste Prozent der Weltbevölkerung verursacht etwa 15 Prozent, die reichsten 10 Prozent etwa 50 Prozent der globalen Emissionen und so weiter. »In absoluten Zahlen ausgedrückt verfügt das reichste Prozent über einen Treibhausgas-Fußabdruck von durchschnittlich 48 t CO2-Äquivalente, bei der ärmeren Hälfte der Bevölkerung liegt der Fußabdruck bei 0,6 t CO2-Äquivalente. Der 1,5-Grad-kompatible Pro-Kopf-Fußabdruck liegt derzeit bei 2,3 t CO2 -Äquivalente«.

Betont werden aber nicht bloß die unverantwortlichen Emissionen »der Reichen«, sondern auch, dass in der Bundesrepublik weniger als 1 Prozent der Bevölkerung derzeit einen 1,5-Grad-kompatiblen CO2 -Fußabdruck hat. Womit die Dimension der Herausforderung gelingender Klimapolitik recht eindrucksvoll illustriert ist. Das spricht nicht gegen einen politischen Fokus auf besonders energieintensiven Luxuskonsum. Im Gegenteil. Rehm, Huwe und Bohnenberger stellen anhand von Forschungsergebnissen dar, »wie Einkommens- und Vermögensungleichheit zu höheren Treibhausgasemissionen führen und dass umgekehrt die Klimakrise Ungleichheitsdynamiken befördert«, woraus folgt, dass Politik für geringere sozioökonomische Ungleichheit für effektiven Klimaschutz zwingend ist, ebenso wie umgekehrt effektiver Klimaschutz geringere sozioökonomische Ungleichheit zur Folge hat. Dies allerdings kann nicht allein in den Grenzen des nationalen Tellerrandes diskutiert werden, denn: »Vor dem Hintergrund gegebener planetarer Grenzen begrenzt die Entwicklung ressourcenintensiver Konsumgewohnheiten im Globalen Norden damit die Möglichkeit, angemessene Lebensstandards im Globalen Süden zu erreichen.«

Es kommt noch ein weiterer, sehr entscheidender Faktor dazu: Eine verteilungsgerechte Gestaltung von Klimaschutzmaßnahmen habe »nicht nur politisch aus Gründen der Akzeptanz von Transformationen und damit der Stabilität eine große Bedeutung«, sondern sei auch ökonomisch notwendig, »um hinreichend schnell und in ausreichendem Maße Emissionen reduzieren zu können und einen ausreichenden Klimaschutz umzusetzen, damit die Erderhitzung auf unter 1,5 Grad begrenzt bleibt«. Also: der Zeitfaktor.

»Die Reduzierung der CO2 -Intensität und der Ausbau erneuerbarer Energien allein reichen nicht mehr aus, um eine gefährliche Klimaerhitzung zu verhindern«, so Rehm, Huwe und Bohnenberger. Eine Klimapolitik, die dem begrenzten Rahmen des Konzeptes Green Growth entspricht, wird hier also schon vor Berücksichtigung anderer möglicher Gründe als »zu wenig« klassifiziert. Wir hatten an anderer Stelle bereits auf Unterscheidungen von Transformation und »Modernisierung« (hier mehr zu Adloff und Neckel) bzw. »Konversion« (hier mehr zu Kaven) hingewiesen, also zu kurz greifende Modelle vorrangig technologischer Anpassung ohne Wandel grundlegender gesellschaftlicher Strukturen.

Rehm, Huwe und Bohnenberger begründen in ihrem Papier, dass die »zentrale Annahme« der Green-Growth-Position - die empirisch überprüfbare Entkopplungsthese - nicht (mehr) haltbar ist. Um als »ausreichend zu gelten, muss die Entkopplung absolut, hinreichend stark, global, lang anhaltend und außerdem schnell genug erfolgen«. Aber: »Neueste wissenschaftlich fundierte Forschung ist sich inzwischen einig, dass diese Effizienz- und Konsistenzstrategien zwar notwendig, aber nicht mehr hinreichend sind, um eine gefährliche Klimaerhitzung von mehr als 1,5 Grad verhindern zu können.« Dies liegt unter anderem am Mangel absoluter Entkopplung und daran, dass die in Zukunft erwarteten Entkopplungsraten »selbst bei optimistischen Annahmen hinsichtlich der Technologie- und Effizienzentwicklung« nicht ausreichend wären. Hinzu kommen die Folgen bisheriger Unterlassungen: die neueste Klimawissenschaft schätze die Grenze für gefährliche Klimakipppunkte inzwischen niedriger ein.

Die Schlussfolgerung der Studie: ein ergänzender Fokus auf nachfrageseitige Reduktionsstrategien, die bisher in Green-Growth-Ansätzen ausgeklammert wurden, sei für eine Begrenzung der Klimaerhitzung auf 1,5 Grad inzwischen unerlässlich. Auch eine »Reduktion der Nachfrage nach Energiedienstleistungen und damit des Energie- und Ressourcenverbrauchs« sei inzwischen unausweichlich. Rehm, Huwe und Bohnenberger sind allerdings durchaus optimistisch: »Der ungenutzte Beitrag von Nachfragestrategien ist enorm.« Entsprechend sollten »effektive (und ungleichheitsreduzierende) Klimaschutzmaßnahmen« auf vier Ebenen ansetzen. Kurz angerissen werden dann der Rückbau fossiler Infrastruktur und den Aufbau klimaneutraler Versorgungssysteme sowie die Reduktion der ökonomischen Ungleichheit allgemein.

Außerdem plädieren die Autorinnen für einen Wechsel der Perspektive weg vom »bisherigen Fokus auf technische Maßnahmen« hin zu mehr Aufmerksamkeit für »nachfrageseitige Reduktionsstrategien«. Bei ersterem werden soziale Konflikte von Klimaschutzmaßnahmen entpolitisiert oder als Begründung für Taktiken der Verzögerung in Stellung gebracht - eine Verzögerung, die mit der Blockade von wirksamen Klimaschutzmaßnahmen nur unzureichend beschrieben wäre. »Die Verhinderung einer gefährlichen Klimaerhitzung entwertet Teile des bestehenden Kapitalstocks ebenso wie fossile Reserven und das dazugehörige Explorationskapital«, und das wiederum stiftet hinreichend Anreize für Blockadepolitik.

Die andere Perspektive, so Rehm, Huwe und Bohnenberger, stellt Suffizienzmaßnahmen mit ins Zentrum, die menschliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen ermöglichen, indem die Nachfrage nach Energie und Ressourcen reduziert wird. Wenn Zeitfaktor und Begrenztheit des bisher vorherschenden Modernisierungskurses zu einer »raschen und vollständigen Dekarbonisierung« zwingen, müsste neben die Senkung der Treibhausgasintensität »auch die Senkung des Energieverbrauchs« treten, womit neue Fragen im Raum stehen, etwa »wie die verbleibende Energie verteilt wird« und was als das »Genug« gilt - die Autorinnen beziffern dies nicht, verweisen aber darauf, dass dieses Genug »zwischen Unter- und Überkonsum angesiedelt ist«.

Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen: Es müsste eine gesellschaftliche Verständigung ermöglicht werden, das Maß »gewisser ökologischer Mindestbedarfe, die notwendig sind, um ein gutes Leben zu führen« aber auch« das Maß für »einen ökologischen Maximalkonsum« zu ermitteln. Hierbei wären neben Faktoren der gegenwärtigen Ungleichheit nicht nur im nationalen, sondern auch im globalen Rahmen auch biophysikalische Grenzwerte zu berücksichtigen. Das heißt, so wie Klimaschutzinstrumente nötig sind, »die die Emissionen von Haushalten am oberen Ende der Einkommens- und Vermögensskala wirksam adressieren«, etwa durch Eindämmung von Emissionen auf der Produktionsseite, bei der Herstellung und Vertrieb besonders klimaschädliche oder energieintensive Luxusgüter eingeschränkt wird.

Das bedeutet im Globalen Norden aber eben auch »für die meisten« und nicht nur für bisher konsumstarke Personen eine Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs. An dieser Stelle noch einmal der in der Studie zitierte Befund: In der Bundesrepublik hat aktuell weniger als 1 Prozent der Bevölkerung einen 1,5-Grad-kompatiblen CO2 -Fußabdruck. Politische Reflexe, die jegliche Diskussion über »Verzicht« ablehnen, sind da nicht sehr hilfreich - weder von jener Seite, die darin angeblich überzogenes Verbotstum sieht, noch von jener, die dann darauf hinweist, dass die unteren Einkommen gar nichts mehr zu erübrigen hätten.

Dass Suffizienzmaßnahmen »im Kern die Verteilungsfrage von Ressourcen und Emissionen stellen«, wird bei Rehm, Huwe und Bohnenberger ausreichend oft betont. Ihre Studie ist geradezu eine Aufforderung, gleichheitspolitische Hebel nicht als »Zusatz« oder »Kompensation« von Klimapolitik zu begreifen, sondern als diesen Hebel selbst. Entsprechend wird die Behebung der existierenden Energie- und Mobilitätsarmut als sehr wichtig dargestellt. Dies ändert aber nichts an einem bestens hergeleiteten anderen Punkt der Studie: Es wird darum gehen müssen, »die Nachfrage auf das Maß anzupassen, das für menschliches Wohlergehen notwendig ist«. Und dieses Maß wird, ja müsste zwingend ein anderes sein als bisher. Es geht um nicht weniger als eine Diskussion darüber, was ein solches, neues »menschliches Maß« wäre, das mit den planetaren Grenzen der neun biophysikalische Subsysteme vereinbar ist. (tos)

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