Klimanotizen 75

Zur Macht von Infrastrukturen im planetaren Wandel, zu den Grenzen der Kommunikation in der Klimapolitik, zur Frage von Klimakrise und Ungleichheit, zur Rolle der Bevölkerungszahl und zur »gläsernen Decke der Transformation«. Und zu neuen Büchern von Philipp Staab und Andreas Diekmann.

Infrastrukturen sind für planetaren Wandel von zentraler Bedeutung – auf widersprüchliche Weise. »Für ihre Erzeugung, ihre Erhaltung und ihren Betrieb sind kontinuierlich große Mengen an Materialien und Energie erforderlich. Durch ihre lange Lebensdauer beeinflussen daher Bestände, die bereits vor Jahren oder Jahrzehnten aufgebaut wurden – etwa Energie- oder Mobilitätsinfrastrukturen – den aktuellen und zukünftigen Ressourcenverbrauch« (Krausmann 2024). Je nach dem, ob es sich um »fossile« (zB das bestehende Tankstellennetz) oder »solare« Infrastrukturen (zB Radschnellwege) handelt, resultieren aus Infrastrukturen außerdem sehr unterschiedliche Pfadabhängigkeiten – sobald sie soziale Ermöglichung im planetaren Sinne begünstigen, könnte man von Pfadgelegenheiten sprechen (Seemann 2025). 

Infrastrukturen sind aber auch nicht verteilungspolitisch neutral. Leon Wansleben und Carlotta Terhorst haben in der »Zeitschrift für Soziologie« nun »die prädistributive Macht von Infrastrukturen« analysiert, ein Beitrag zur Erhellung von »Ungleichheiten in der grünen Transformation«: Ihr »Argument lautet, dass sie sich danach unterscheiden, wie stark sie diverse Akteure an fossile Energien binden und inwiefern sie von Profit- oder Gemeinwohlmotiven getragen werden. Gemeinwohlorientierte Infrastrukturen, deren modularer Umbau Dekarbonisierungskosten begrenzt und/oder deren sozio-materielle Eigenschaften erlauben, Kosten bei Versorgern zu konzentrieren, können zentrale Träger von inklusivem Klimaschutz sein. Bei Infrastrukturen mit hohen und breit gestreuten Abschreibungs- und Investitionsbedarfen, deren Umbau von Profitinteressen getragen wird, besteht ein hohes Risiko für eine verteilungspolitisch motivierte Gegenbewegung, einen Backlash.« Die Autorinnen wollen damit die Perspektive auf sozial ex- oder inklusiven Klimaschutz über konventionelle Umverteilungspolitiken hinaus erweitern.

Wansleben und Terhorst gründen ihre Studie auf eine komparative Analyse der Wärmewenden in Dänemark und der Bundesrepublik. Man präsentiere damit »eine eigene Interpretation der massiven Opposition gegen das ›Heizungsgesetz‹ in Deutschland. Diese wurde von einer breiten Infrastruktur-Allianz rund um Erdgas getragen, die das Argument der Sozialverträglichkeit gegen Klimaschutzbemühungen ausspielte«. Wäre die Auseinandersetzung anders ausgegangen, wenn Bürgerinnen nur besser informiert gewesen wären? Markus Dertwinkel-Kalt und Max R. P. Grossmann haben sich im »Wirtschaftsdienst« jetzt »die Grenzen von Kommunikation in der Klimapolitik« angesehen: »Erhöhen sachlich korrekte und umfassende Informationen über das GEG die Zustimmung zur Maßnahme und beeinflussen sie das Verhalten? Das zentrale Ergebnis überrascht: Information allein reicht nicht aus – die Akzeptanz hängt vielmehr maßgeblich von den ideologischen Grundüberzeugungen der Befragten ab. Diese Erkenntnis ist insbesondere für wirtschaftspolitische Entscheidungsträger relevant, die vor der Herausforderung stehen, transformative Klimapolitik zu gestalten und durchzusetzen.«

Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser kartieren im »Berliner Journal für Soziologie«, wie »Klimakonflikte mit Formen sozialer Ungleichheit verwoben sind«. Dabei wird die Forschung von Klaus Dörre und anderen zu betrieblichen Transformationskonflikten erweitert. Skizziert werden vier Formen gesellschaftlicher Ungleichheit, »die in Auseinandersetzungen um das Klima virulent werden: die ungleiche Verursachung von Klimaschäden, die ungleichen Betroffenheiten, die ungleichen Transformationslasten und die ungleichen ökologischen Distinktionsgewinne«. Es seien »diese Ungleichheiten und ihre politische (Nicht‑)Bearbeitung«, die ausschlaggebend »dafür sind, wie Bürger:innen verschiedener Klassen über die Klimapolitik streiten«. Der Text ist Teil eines Schwerpunkts, in dem Wulf Hopf »Einstellungen zu sozialen Ungleichheiten und die Frage von ungleicher Macht« einer Tiefenbohrung unterzieht und damit eine Leerstelle schließen will, welche die »Triggerpunkte« von Mau, Lux und Westheuser noch nicht geschlossen haben. Nicole Mayer-Ahuja kommentiert hier, dass das in der Dörre-Studie entfaltete Jenaer Klassenschema »den analytischen Blick auf Prozesse von Klassenformierung« verstellt.

Und wie reagieren Parteien auf Ungleichheit? In der »American Political Science Review« stellen Alexander Horn, Martin Haselmayer und K. Jonathan Klüser die Ergebnisse ihrer Auswertung von 850.000 Äußerungen aus Parteien aus zwölf OECD-Staaten vor. Dabei wurde zwischen wirtschaftlichen Gleichheitsforderungen und allgemeiner Rhetorik zu Gleichberechtigung unterschieden. Das Ergebnis wird unter anderem hier zusammengefasst: »Wirtschaftlicher Egalitarismus nahm von den 1980er Jahren bis 2000 ab, stieg danach wieder an, während die Rhetorik zu Gleichberechtigung kontinuierlich zunahm.« Die zentrale Erkenntnis sei aber: »Linke Parteien betonen wirtschaftliche Gleichheit verstärkt, wenn die Ungleichheit sichtbar zunimmt – insbesondere wenn der Einkommensanteil der unteren Hälfte der Bevölkerung sinkt. Ist die Ungleichheit jedoch bereits verfestigt, neigen diese Parteien dazu, Umverteilungsmaßnahmen weniger stark zu betonen. Rechte Parteien reagieren hingegen kaum – unabhängig von der Entwicklung der Ungleichheit.«

Hätte ein absehbarer globaler Bevölkerungsrückgang Auswirkungen auf den Klimawandel? Hannah Ritchie hat sich die Datenlage angesehen und kommt zu dem Ergebnis, »dass Bevölkerungsveränderungen keinen besonders bedeutenden Einfluss auf die globalen Temperaturen haben werden. Wenn wir den Klimawandel bekämpfen wollen, müssen wir unsere Volkswirtschaften dekarbonisieren; nur so kommen wir aus der Krise heraus«. Sowohl für eine Sichtweise, die eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums als Schlüssel zur Bekämpfung der Klimakrise ansieht, als auch für eine, die darauf hofft, dass eine schrumpfende Bevölkerung die Erreichung von Klimazielen deutlich voranbringt, gelte: Beide überschätzen die Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung. Erstens seien die Geburtenraten in vielen Ländern bereits sehr niedrig oder sinken rapide, zweitens treten die Auswirkungen dieser Veränderungen zu langsam ein, um nennenswerte Auswirkungen auf das Klima zu haben. 

Niklas Stoll hat auf Bluesky kurz und knapp noch einmal das Problem der »gläsernen Decke der Transformation« skizziert: Demnach kann der nötige, durchgreifende Wandel nicht stattfinden, »weil demokratische Staaten (und in ihnen Parteien und Regierungen, die (wieder)gewählt werden wollen) auf Legitimation durch ihre (Wahl)Bevölkerungen angewiesen sind. Weil im kapitalistisch-demokratischen Staat Legitimation fundamental an die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Akkumulation, des Wirtschaftswachstums gebunden ist, kann die notwendige Schrumpfung des materiellen gesellschaftlichen ›Durchlaufs‹, des Ressourcenverbrauchs etc. nicht stattfinden«. Auf diese Weise blieben transformative Eingriffe in die Wirtschafts- und Produktionsweise »strukturell blockiert«, der demokratische Kapitalismus befände »sich in einem Teufelskreis, der nicht ohne Weiteres durch politischen Willen oder marginale politische Reformen durchbrochen werden kann«. 

Ein Ausweg, so Stoll, führe über steiniges Gelände: »Ohne gesellschaftliche Debatten über die (Il-)Legitimität von Bedürfnissen (siehe dazu auch hier) und Konsummustern, die Angemessenheit ökonomischer Maximen, die tolerablen Grenzen der Nutzung/Aneignung der Natur etc. lassen sich die kulturellen Voraussetzungen einer sozialökologischen Transformation nicht befördern.« In Zeiten, die weithin als »Demokratiekrise« beschrieben werden, dürfte das noch schwieriger sein als ohnehin. Oder haben die »Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus« bereits in eine fundamentale Systemkrise geführt, aus der es keinen Ausweg mehr gibt – jedenfalls nicht Richtung »Zukunft«?

Das ist das Thema von Philipp Staabs neuem Buch, das an »Anpassung« anschließt. Auch darin ging es bereits um die Überlagerung der individuellen und kollektiven Selbstentfaltung durch eine von der biophysikalischen Existenzkrise aufgezwungene Orientierung an Selbsterhaltung, an Stabilisierung einer prekär werdenden Ordnung. Nun wird das Problem noch einmal anders als Identitätskrise der Gesellschaft durchleuchtet. »Das etablierte Modell der Legitimationsbeschaffung durch Versprechen auf eine bessere Zukunft dürfte an durch Klimawandel und Ölkrise verunsicherte Lebenswelten nicht mehr anschlussfähig sein.« Die Klimakrise tauche »die gesamte Kultur und mit ihr alle politischen Fragen in die Farben des Überlebens«. 

Im Gespräch mit Harald Staun weist Staab den Wunsch nach »Gegenwartsverlängerung« nicht nur dem »Team Gegenwart« zu, sondern auch dem »Team Zukunft« – beide leite nicht mehr  »die Hoffnung auf eine bessere, sondern die Angst vor einer schlechteren Zukunft«. Es gebe einfach kein »plausibles Angebot politischer Art« mehr – das der ökologischen Modernisierung sei zwar ein solcher Versuch gewesen. Aber nicht einmal das Versprechen, »dass eine Fortsetzung unserer Lebensweise auf der Basis grünen Wachstums möglich ist«, »dass sich nichts ändern muss«, habe es nicht geschafft, »Gefolgschaft zu erzeugen«.

Was wir unter anderem hier und hier als »blockierte Transformationskonflikte« beschrieben haben, bezieht auch Staab auf die planetare Krise: »Die Rechte hat es verstanden, diese Ängste auf handhabbare Probleme zu verschieben, indem sie alle Konflikte im politischen Raum wie Konflikte um Selbsterhaltung behandelt. Sie spricht von Kulturkampfthemen, Gender, Geschlecht und Identität, als ginge es da um fundamentale Selbsterhaltungsfragen… die fundamentalen Selbsterhaltungsängste formatieren alle Arenen des politischen Raums. Die Sorgen über die Zukunft sind nicht verschwunden, sie werden verstoffwechselt und in andere Bereiche überführt.«

Dirk Knipphals ist in der TAZ verhalten optimistisch: »Man kann nach dieser Lektüre aber auch denken, dass es strukturelle Ähnlichkeiten unserer Gegenwart mit den 1970ern gibt, in der Habermas seine Legitimationskrise analysierte. Nachdem sich 1968 die Revolutionshoffnungen zerschlagen hatten, mussten damals die emanzipativen Aufbrüche in einem kleinteiligen gesellschaftlichen Prozess Schritt für Schritt erstritten werden. In der Legitimationskrise der Gegenwart hat sich die Hoffnung etwa der Realo-Grünen zerschlagen, die ökologischen Probleme vernünftig und mit möglichst wenig Nebenfolgen für die Bevölkerung zu lösen. Vielleicht markiert ein zurücktretender Blick aufs Ganze, wie Staab ihn skizziert, ja – dem gegenwärtigen Augenschein zum Trotz – den Beginn eines langwierigen Prozesses, neue, zeitgemäße Konfliktlösungen einzuüben.«

Christoph Deutschmann ist bei Soziopolis weniger überzeugt: »Resümierend ist festzuhalten, dass Staab in seiner Studie zwar eine Fülle aufschlussreicher Einzelerkenntnisse und empirischer Beobachtungen präsentiert. Aber die angestrebte theoretische Integration der Ergebnisse wird man kaum als gelungen bezeichnen können. Der Theoriesalto, den Staab mit Habermas zu schlagen versucht, beeindruckt zwar auf den ersten Blick: Behauptet wird eine fundamentale Systemkrise, die freilich – ganz anders als bei Habermas – nicht auf die Unterdrückung emanzipativer Impulse durch das System, sondern im Gegenteil auf die Selbstabkapselung einer sich konservativ einigelnden Lebenswelt gegen das System zurückzuführen ist. Aber die Absturzgefahren, in die Staab sich mit diesem Salto begibt, sind nicht zu verkennen.«

Stattdessen wäre es Deutschmann zufolge »sinnvoller gewesen, sich zunächst einmal nach alternativen Theorieangeboten umzuschauen? Zu denken wäre hier vor allem an Luhmanns vor fast vierzig Jahren erschienene Studie über Ökologische Kommunikation. Ausgehend von seinem Konzept der Gesellschaft als eines Ensembles funktional differenzierter Systeme (natürlich bedeutet ›System‹ hier etwas ganz anderes als bei Habermas) hatte Luhmann damals zu erklären versucht, warum die moderne Gesellschaft zwar bei der Bearbeitung von funktional spezifizierten Problemen ungemein erfolgreich ist, jedoch bei der Bewältigung von Herausforderungen wie der Umweltkrise, die sie als Ganzes betreffen, versagt.« Ähnliche Perspektiven haben Jens Beckert (dazu etwa hier) oder Reinhard Olschanski (etwa hier) eingenommen. Deutschmann kommt am Ende aber zu einem ähnlichen Ergebnis wie Knipphals: »Um einer Lösung solcher Probleme näherzukommen, gibt es keinen anderen als den mühsamen und zeitraubenden Weg der Übersetzung des Gesamtproblems in die Programme und Codes der wirtschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen etc. Teilsysteme.«

»Wie kann die Transformation zu einer CO2-neutralen Wirtschaft und Gesellschaft noch gelingen?«, fragt auch Andreas Diekmann in seinem neuen Buch, das »Auswege aus dem Dilemma« sucht. Marco Sonnberger bespricht den Band in der »Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie« als »eine sehr gut nachvollziehbare, sozialwissenschaftlich fundierte und empirisch wohl begründete Auseinandersetzung mit bestimmten politischen Instrumenten zur Bekämpfung des Klimawandels«. Kritisch bewertet er, dass Diekmann »beispielsweise die Beharrungskräfte der schieren Materialität von fossilen Infrastrukturen und den darin eingelagerten wirtschaftlichen und politischen Interessen weitestgehend außer Acht« gelassen habe – siehe oben. Es gehe hinten heraus, so Sonnberger, nicht nur um die »richtige« Gestaltung von Preisen oder zukunftsorientierten Politiken. »Sondern es bedarf auch einer bewussten und notwendigerweise konflikthaften Demontage und Abschaffung (Stichwort ›Exnovation‹) von nichtnachhaltigen Infrastrukturen und Praktiken… Hierbei stellt sich dann die zentrale Frage, wer die treibenden Akteure sein könnten und wie Blockaden überwunden werden können.« (tos)

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