Klimanotizen 6
Weltweit nimmt die Zahl der Klimaklagen zu. Verletzt ein Staat Menschenrechte, wenn er nicht genügend gegen die Klimakrise tut? Das klärt bald der EGMR. Gabriele Britz, »die Mutter des Karlsruher Klimabeschlusses«, wird verabschiedet. Außerdem: Plädoyers für eine ökologische Grundgesetzreform.
#1 Die Vereinbarungen des jüngsten Koalitionsausschusses werden unter Juristinnen und Juristen äußerst kritisch kommentiert. »Ist der Klimaschutz-Rückschritt noch verfassungskonform?«, fragt Lena Bitz auf LTO und kommt zu dem Ergebnis, dass die Ampel mit ihrem »Modernisierungspaket« in Wahrheit »unter Klimagesichtspunkten von grün auf gelb geschaltet hat, im doppelt übertragenen Sinne«. Ähnlich sieht es die Umwelthilfe, die das Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 mit Kindern und jungen Erwachsenen erstritten hatte: »Das geplante Schleifen des Klimaschutzgesetzes aus der Merkel-Ära mit den verpflichtend einzuhaltenden jährlichen Sektorziele« widerspriche »komplett Geist und Inhalt« des von der Organisation als historisch bezeichneten Karlsruher Beschlusses. Im Verfassungsblog hat auch Jan-Louis Wiedmann schwere Zweifel an den Ampel-Vereinbarung geäußert: »Ohne die klare, rechtsverbindliche Verantwortung aller Minister:innen dürfte effektiver Klimaschutz in Zukunft aber noch schwieriger durchsetzbar sein, als bislang schon.« Politisch bewege sich die Bundesregierung »vorwärts in die klimapolitische Vergangenheit«. Maximilian Roth spricht auf Juwiss ebenfalls von einem »Ausverkauf von Klima- und Naturschutz«, der allerdings noch nicht endgültig sei: »Bevor der Teufel noch größer an die Wand gemalt wird: Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses sind bekanntlich kein gültiges Recht. Die jeweils federführenden Ministerien müssen die Ergebnisse, die zum Teil auch einem weiten politischen Interpretationsspielraum zugänglich sein dürften, nun in Gesetzentwürfe gießen.«
#2 Derweil verabschiedet Christian Rath in der Taz die Verfassungsrichterin Gabriele Britz, »die juristische Mutter des legendären Karlsruher Klimabeschlusses von 2021«. Es sei zwar »kein lange gehegter Plan« von Britz gewesen, »als Verfassungsrichterin das Klima zu retten, doch ihre Geschichte lässt sich in fünf Etappen relativ stringent so beschreiben«. Mit Blick auf den Karlsruher Beschluss schreibt Rath, dass diesen »weite Teile der Gesellschaft für radikaler hielten, als er im Ergebnis war« und erinnert daran, dass das Bundesverfassungsgericht seither »wieder auf richterliche Zurückhaltung« gesetzt und mehrere Klimaklagen für unzulässig erklärt habe. »Diese Zurückhaltung entspricht der Grundüberzeugung von Britz, dass sich das Bundesverfassunsgericht nur in seltenen Ausnahmefällen in die Gesetzgebung einmischen sollte.« In einem Fall handelte es sich um eine Verfassungsbeschwerde gegen das gesetzgeberische Unterlassen der Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Bundesautobahnen, die Karlsruhe als unzulässig ablehnte, dabei aber anmerkte, dass »das im Klimaschutzgebot des Art. 20a GG enthaltene Ziel der Herstellung von Klimaneutralität bei fortschreitendem Klimawandel in allen Abwägungsentscheidungen des Staates weiter an relativem Gewicht« gewinne. Rath in der Taz dazu: »Es wird also spannend sein zu sehen, wie das Gericht in einigen Jahren auf die vermutlich weiterhin zögerliche Politik reagieren wird«. Für das Umweltrecht wird in Karlsruhe künftig der von den Grünen ins Rennen gesandte Verfassungsrichter Martin Eifert sein, Britz habe dafür gesorgt, »dass in Karlsruhe ihre Linie tendenziell weiterverfolgt wird«.
3# Derweil hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstmals mit der Frage befasst, ob ein Staat Menschenrechte verletzen kann, wenn er nicht genügend gegen den Klimawandel tut. Anlass sind mehrere Klagen aus der Schweiz, Frankreich und Portugal. In einem Fall argumentieren Klimaseniorinnen, dass sie durch ihr Alter besonders durch die Folgen der Klimakrise gefährdet sind. In einem anderen klagt ein französischer Bürgermeister für die Einhaltung der Pariser Klimaziele, in einem weiteren gehen portugiesische Jugendliche gegen 33 Mitgliedstaaten des Europarats vor. »Das Spektrum der möglichen Entscheidungen, die das Gericht treffen kann, ist daher weit gespannt: Es reicht von der Unzulässigkeit der Klage bis hin zu detaillierten gerichtlichen Vorgaben für die schweizerische Klimapolitik«, wird der Zürcher Umweltrechtler Johannes Reich zu den möglichen Ausgängen zitiert. »Wenn generelle Aussagen getroffen würden, dass Menschenrechte im Klimawandel Pflichten begründen, müssen auch andere Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention diese Art der Auslegung beachten«, ergänzt die Trierer Völkerrechtlerin Birgit Peters. Mit einem Urteil sei frühestens im Herbst zu rechnen, eher wohl erst im kommenden Jahr.
#4 Angesichts der unzureichenden Anstrengungen von Staaten und Unternehmen beim Klimaschutz nimmt unterdessen die Zahl der Klimaklagen weltweit schnell zu. Einen Überblick ermöglicht das Climate Change Laws of the World der Columbia Law School und des Grantham Instituts für Klimawandel und Umwelt. Anfang April sind dort über 2.240 Rechtsstreitigkeiten zum Thema Klima weltweit verzeichnet. Ein Viertel der Klagen ist zwischen 2020 und 2022 erhoben worden, die mit Abstand meisten wurden in den USA eingereicht, danach folgen Australien und Großbritannien, für die Bundesrepublik werden 50 Litigation Cases angezeigt. Drei Viertel der Klagen richteten sich gegen Regierungen, berichtete vor geraumer Zeit die FAZ in ihrem Klimablog. »Seit wenigen Jahren stehen allerdings immer mehr private Akteure vor Gericht. So wurde 2020 in 40 Prozent der Fälle gegen Private geklagt.« Etwas weniger als 60 Prozent der Klagen waren erfolgreich. »Das größte Hindernis ist gerade bei Einzelpersonen, ob die Kläger überhaupt klagebefugt sind. So gestehen in Deutschland weder das Klimaschutzgesetz des Bundes, noch jene der Länder Einzelpersonen das Recht ein zu klagen.«
#5 Noch einen Schritt weiter würde unter anderem Matthias Kramm gehen, der vor dem Hintergrund von Entwicklungen unter anderem in Spanien, den USA oder Ecuador dafür plädiert, »der Natur Rechte zu übertragen«. Die Diskussion läuft schon länger, Kramm fasst nun in der Taz noch einmal Argumente dafür zusammen: »Könnte Deutschland das Wattenmeer oder den Hambacher Forst zur Rechtsperson erklären, sodass Meer und Wald vor Gericht ziehen können?« Das möge zwar »zunächst abwegig klingen«, doch die Kodifzierung von Rechten der Natur, etwas indem einzelnen Ökosystemen Rechtspersönlichkeiten zuerkannt werden, seien eine »Option für effektiven Naturschutz«. Solche Reformen könnten »die Umwelt juristisch wehrhafter« machen. Kramm knüpft dabei unter anderem bei dem Münchner Rechtsexperten Jens Kersten an, der schon länger für eine umfassende ökologische Grundgesetzreform plädiert. Für die angesichts der biophysikalischen Existenzkrise nötigen fundamentalen Veränderungen bilde eine »ökologische Transformation unserer Verfassung« einen zentralen Baustein: »Wir müssen also zwei Dinge gleichzeitig tun: unsere Verfassungsordnung ökologischer und zukunftsoffener gestalten. Ein ökologisches Grundgesetz wäre zugleich auch ein zukunftsoffenes Grundgesetz«, so hat es Kersten vor einem Dreivierteljahr in den »Blättern« in seiner Skizze für »Die dritte Revolution« formuliert.