Klimanotizen 4

Kann Wachstum klimagerecht sein? Oder anders herum gefragt: Wäre Degrowth im globalen Maßstab noch klimagerecht? Was steht bei der europäischen Konferenz »Beyond Growth 2023« auf der Agenda? Wie blickt die Zeitschrift spw auf die Wachstumsfrage? Und welche Konferenz steht noch an?


#1 »Kann Wachstum klimagerecht sein?«, fragt sich Malene Gürgen - und das ist nicht dieselbe Frage wie jene, ob Wachstum ökologisch und den planetaren Grenzen entsprechend überhaupt möglich sei oder nicht. Denn mit dem Begriff »klimagerecht« ist eine Erweiterung der Perspektive über den Tellerrand des Globalen Nordens verknüpft: »Was bedeutet es also für die Welt, wenn grünes Schrumpfen gefordert wird, weil grünes Wachstum nicht möglich sei? Was bedeutet eine solche Forderung für ein Land wie Gabun…« Gürgen wirft in fünf Schritten einen »Blick auf die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsleistung, Treibhausgasemissionen und menschlichem Wohlergehen« und kommt zu dem Ergebnis: »Postwachstum ist für Länder wie Deutschland ein wichtiger Impuls«, weil selbst bei einer gelingenden absoluten Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen immer noch Faktoren wirkten, die unendliches Wirtschaftswachstum innerhalb der neun planetaren Grenzen unmöglich machten. »Für den größten Teil der Welt aber ist es keine Option, nicht mehr zu wachsen oder gar zu schrumpfen. Degrowth in Deutschland muss deswegen um eine Perspektive für klimafreundliches globales Wachstum erweitert werden. Aus moralischen und aus Gerechtigkeitsgründen.«

#2 Apropos Wachstum. Mitte Mai wird es auf der europäischen Konferenz »Beyond Growth 2023« darum gehen, wie »soziales Wohlergehen und eine tragfähige wirtschaftliche Entwicklung mit der Achtung der planetarischen Grenzen« in Einklang gebracht werden kann. Mit dabei namhafte Protagonistinnen und Protagonisten der Diskussion um den notwendigen Umbau der Gesellschaft wie Maja Göpel, Tim Jackson, Jason Hickel oder Ann Pettifor - aber ebenso auch hochrangige Vertreterinnen und Vertreter von EU und Europäischem Parlament. Die dreitägige Veranstaltung ist von 20 Mitgliedern des Europäischen Parlaments aus fünf verschiedenen Fraktionen wie etwa der linken und grünen initiiert worden und erfährt Unterstützung von Dutzenden NGOs, Stiftungen und Netzwerken wie Oxfam oder The European Trade Union Institute. Man wolle, heißt es bei den Organisatorinnen und Organisatoren, an den Erfolg der Postwachstums-Konferenz 2018 anknüpfen. Die Leitfragen für 2023 interessieren sich unter anderem für ein mögliches europäisches Narrativ für eine EU, »die auf Wohlstand statt auf Wachstum ausgerichtet ist« oder »für eine europäische Agenda für eine Postwachstumsökonomie«. Ziel der Konferenz ist es, neue Vorschläge »zur Schaffung eines neuen Sozial-, Wirtschafts- und Umweltvertrags« zu formulieren, mit dem »eine echte politische Wirkung« erzielt werden könne.

#3 Auch die Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft blickt in ihrem jüngsten Heft auf die Wachstumsfrage: Olaf Struck, Professor für Arbeitswissenschaft an der Uni Bamberg, sieht jede »Politik, die sich an einem konsequenten Klimaschutz und Biodiversität ausrichtet, um Lebensgrundlagen für Menschen zu erhalten«, in der Pflicht, »schnell zwei glaubhafte Antworten geben« zu müssen: »Wie sinken erstens Treibhausgasemissionen und Umweltgifte und wie werden zweitens erzeugte Güter so hergestellt und verteilt, dass alle Menschen Teilhabechancen und Wohlfahrtsperspektiven erhalten?« Dies, so Strucks Antwort, werde »ohne technisches und wirtschaftliches Wachstum nicht gehen, wobei die hierfür benötigten Energiegrundlagen vorhanden sind«. Der Schwerpunkt der spw-Ausgabe dreht sich um »Nachhaltigkeit als Reformkonzept und als konkrete Utopie«, dies war auch der Titel einer Tagung im vergangenen September zu Ehren des 2012 verstorbenen SPD-Politikers Horst Peter. Tagung und Heft seien »kein Schlusspunkt, sondern eher der Auftakt einer noch zu vertiefenden Diskussion«, so die Redaktion. Was weiter debattiert werden muss? Unter anderem, »ob die Industriearbeiterschaft als Teil der traditionellen Basis von Gewerkschaften und Sozialdemokratie mit ihren Einstellungen und Werten Motor oder Bremse der Transformation ist und ob Gewerkschafts- und Parteiführungen ebenso wie dienstleistungs- und wissenschaftsorientierte Milieus und Bewegungen eher Gefahr laufen, ihrer Basis voran zu eilen oder hinter ihr zurück zu bleiben«.

4# Noch eine Tagung: Nachdem im vergangenen Sommer Dutzende Organisationen aus dem Sozial- und Umweltbereich in einer gemeinsamen Erklärung einen sozialen und ökologischen Neustart gefordert hatten, folgt nun eine öffentliche Konferenz des Bündnisses: »Gerechtigkeit in Zeiten der Transformation – Die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit als zentraler Baustein der sozial-ökologischen Transformation?« Dies soll den Austausch über die gemeinsam publizierten »Zehn Thesen für einen sozialen und ökologischen Neustart« vertiefen und Gelegenheit für Vernetzung und die Planung von Aktivitäten geben. Ausgangspunkt des Vernetzungstreffens im April in Berlin ist der Bericht »Earth for All« an den Club of Rome, in dem unter anderem die wachsende Ungleichheit als Haupthindernis angemessener Maßnahmen gegen die Klimakrise kritisiert wird. Was sogleich wieder zur Wachstumsfrage führt: In »Earth for All« wird davon ausgegangen, dass Ökonomien, die Wachstum brauchen um Wohlstand zu erreichen, dieses weiterhin ermöglicht werden sollte - andere Ökonomien hingegen alternative Wirtschaftssysteme entwickeln müssen, die nicht an Wachstum ausgerichtet sind, aber Wohlstand sichern und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen. (tos)

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