Klimanotizen 31
Das Jahr der Negativrekorde wird zum Jahr der Rückschritte in der Vorwärtsbewegung. Für mehr Empörung sorgt derweil die »Letzte Generation«. Brauchen ökologische Bewegungen eine andere Strategie, wo würde man darüber verdichtet lesen können und was hat das alles mit Niklas Luhmann zu tun?
#1 Wo stehen wir? Jedenfalls nicht dort, wo wir müssten. Das Jahr der klimawandelbedingten Negativrekorde ist auch ein Jahr des klimapolitischen Rückschritts. Ein solcher ist nicht nur dann festzustellen, wenn es eine Bewegung zurück hinter den schon erreichten Stand gibt. Denn auch das muss ja festgestellt werden: Es gibt auch Fortschritt, und nicht einmal wenig, siehe etwa der wachsende Anteil der Stromerzeugung aus Erneuerbaren. Rückschritt kann es aber auch in der Vorwärtsbewegung geben, einfach weil das, was getan, vereinbart, umgesetzt wird hinter den stets aufs neue zu taxierenden, sich wandelnden Herausforderungen einer biophysikalischen Existenzkrise zurückbleibt, die sich, das jedenfalls ergibt die Gesamtschau der Daten, beschleunigt. Die Lex Wissing, also das Aushöhlen des Klimaschutzgesetzes, ist dafür nur ein Beispiel, eines freilich, das eine Regierung in Aktion zeigt, die sich sowohl über Physik als auch Verfassungsrechtsprechung hinwegzusetzen bereit ist.
#2 Für mehr Empörung sorgt derweil die »Letzte Generation«, und daran sind zwei Dinge mehr oder weniger interessant. Einerseits etwas, das man Rückspiegelung nennen könnte, bei der die Kritiker den Aktivisten das vorwerfen, was diese an der mangelnden Klimapolitik beklagen: Die »Rücksichtslosigkeit ist das Problem«, heißt es dann zum Beispiel in der FAS und der CDU-Vorsitzende sagt, bei Aktionen wie jener am Brandenburger Tor »hört der Spaß nun wirklich auf. Zumal es wohl eine sehr schwer zu entfernende Farbe ist.« Eine Autorin, die sonst das Thema Ostidentität bewirtschaftet, fragt öffentlich: »Vielleicht stellt sich am Ende heraus, dass die Letzte Generation von einem reichen Rechten finanziert wird, der den Klimaschutz stoppen will.« Lobbyismus, Rücksichtslosigkeit, Blindheit gegenüber den Folgen… Vorwürfe, die der Klimapolitik gemacht werden sollten, werden an die »Letzte Generation« geklebt. Die andere Beobachtung gilt einem Phänomen, das man Motiv-Mimikri nennen könnte: Nur selten kommt Kritik an den Aktivisten ohne den Hinweis aus, diese würden ihrem Anliegen schaden; womit sich die Kritikerposition das Motiv der »Letzten Generation« gewissermaßen aneignet; natürlich nur als Verkleidung.
#3 Die Empörung spielt auf andere Weise zugleich das Spiel der »Letzten Generation« mit, denn sie ist, was diese ja durchaus anstrebt - einen direkten Einfluss auf Klimapolitik hat dieser Teil der Bewegung nicht, es muss ein Umweg über das Feld der Kommunikation gegangen werden, auf dem wiederum Erfolg auch daran geknüpft sein kann, dass man die Aktionen nach dem vermuteten Grad der öffentlichen Reaktionen auswählt. Was an der »Letzten Generation« beklagt wird, wird dann an Fridays for Future vermisst: zu zahm, zu naiv, zu sehr auf die Wirkung wissenschaftlicher Aufklärung und planetarer Vernunft setzend. »Die Rhetorik der Ökologie ist zu einem langweiligen Cocktail von ›sollen‹ und ›müssten‹geworden«, zitiert eine Bewegungsprominente den dänischen Soziologen Nikolaj Schultz, der sich zusammen mit Bruno Latour über die »ökologische Klasse« Gedanken gemacht hat. Luisa Neubauers Beitrag zur Debatte darüber, wie ökologische Bewegungen und Politik erfolgreicher in einem widriger werdenden Umfeld sein können, lässt wiederum erahnen, was für kluge Diskussionen innerhalb einer vielfältigen Bewegung geführt werden - und ja, auch in den Medien, da schreibt ja nicht nur Jasper von Altenbockum den immergleichen Text vom »Bärendienst« und der »radikalen Unwirksamkeit«.
#4 Womöglich fehlt es an einem Ort der Verdichtung und Präsentation, eine Art »Schaufenster« für das, was vor und nach Aktionen, Demonstrationen und Konzerten stattfindet: Verständigung über Strategie, über Konflikte, über eigene Fehler und bessere Vorschläge. Wer viel Zeit und Neugier hat, findet all diese verstreuten Beiträge, die auch dabei helfen, die Falle der Immersion zu umgehen, ein Problem, mit dem nicht nur die Klimabewegung konfrontiert ist: Das von einer mehr an aufmerksamkeitsökonomischen Zielen interessierten Öffentlichkeit erzeugte Bild wird nicht mehr als Produkt, als Behauptung über oder als Ableitung von etwas wahrgenommen, sondern als die Realität selbst. Man kennt das auch von einer sagenumwobenen Parteineugründungsidee: Der diese zentral befeuernde Vorwurf, eine andere Partei würde die soziale Frage vernachlässigt haben, wird nicht mehr als eben dies, also als interessengeleitete Behauptung hingenommen, sondern als die Wirklichkeit. In der »Zeit« konnte man dieser Tage ein schönes Beispiel dafür lesen. Man konnte da aber auch ein Beispiel für jene journalistischen Texte lesen, welche die Diskussion darüber voranbringen, wie man klimapolitisch die richtige Bewegung erzeugt und was die eigentlichen Probleme sind (und davon gibt es gar nicht einmal so wenige, etwa hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier kommt sogar ein Buch zum Thema): »Die eigentliche Demonstration dieser Tage ist also nicht die von Fridays for Future oder der Letzten Generation. Es ist die stille und düstere Demonstration seitens der Regierung, ein Schweigemarsch für das illusionäre Weiter-so.« Lobbyismus, Rücksichtslosigkeit, Blindheit gegenüber den Folgen…
#5 Noch ein kurzer Rückblick. Im Mai 1985 hat Niklas Luhmann auf Einladung der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften über das Thema »Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?« referiert. In erweiterter Form aufs Spannbrett seiner Systemtheorie gezwängt hat Luhmann diese Frage dann ein Jahr später in einem Buch: Viele meinten, heißt es da, »wenn die Gesellschaft sich durch ihre Einwirkungen auf die Umwelt selbst gefährde, dann solIe sie das eben lassen; man müsse die daran Schuldigen ausfindig machen und davon abhalten, notfalls sie bekämpfen und bestrafen. Das moralische Recht dazu sei auf der Seite derer, die sich gegen die Selbstdestruktion der Gesellschaft einsetzen.« Dies aber sei, wenn nicht ein Fehlschluss, so doch mindestens verkürzt, man müsse schon das Ganze in seiner verwobenen Komplexität in den Blick nehmen. Es gehe ja nicht (nur) um Ethik, sondern um Veränderung, die der Selbstdestruktion ein Ende setzt. Luhmann erfasst das Thema im Kern als einen Prozess der Informationsverarbeitung, ein damaliger Rezensent formuliert es so: »Wenn in der Saar Tausende vergiftete Fische treiben, ist dieses unschöne Faktum dem sozialen System zunächst einmal Wurst. Es funktioniert weiter: Ehen werden geschlossen, Reden gehalten, Kredite aufgenommen, Wählerstimmen gekeilt. Erst wenn sich ängstliche und empörte Bürger zusammenrotten, Petitionen schreiben, Parteien reagieren, die Medien berichten, entsteht, systemtheoretisch gesprochen, auf das störende ›Rauschen‹ der toten Fische ›Resonanz‹.« Davon kann es zu wenig oder zu viel geben, dies sind aber keine objektiven Größen, sondern alles hängt von den selektiven und selbstreferentiellen Reaktionen der spezialisierten Teilsysteme ab - unter anderem jenes der Politik. Das wird in seiner Reaktion auf Umweltprobleme durch Eigenschaften behindert (Länge der Legislatur, Kosten, Neigung, den Wähler nicht mit Veränderung überzustrapazieren und so weiter). Das alles könnte man auch 40 Jahre später noch so schreiben, Luhmann hielt es seinerzeit für möglich, »dass dies sich ändert und dass ökologische Themen mit den ihnen eigenen Härtezumutungen« anderen Themen den Platz zuweist. Um Rezepte der Veränderung ging es Luhmann nicht, diese, so meinte er, »lassen sich relativ leicht gewinnen, man müsste nur fordern, dass weniger Ressourcen verbraucht, weniger Abgas in die Luft geblasen« werden, nur mache der, »der das Problem so stellt, die Rechnung ohne die Gesellschaft«. Man muss nicht zum Luhmann-Anhänger werden, um einen Rat darin zu erkennen: Die Herausforderungen der biophysikalischen Existenzkrise laufen letzten Endes auf Probleme der Umsetzung von Veränderungen hinaus; diese aber sollten nicht auf jene zwecks Beschuldigung projiziert werden, die durch ihre Aktionen jene Resonanz erst erzeugen, ohne die Veränderung nicht einmal Wunsch, Ziel oder erkannte Notwendigkeit werden würde.