Handwerk hat grünen Boden

»Hauptberuflich Klimaschutz«: Eine sozial-ökologische Transformation ist ohne die eine Million Betriebe des Handwerks nicht umsetzbar. Und im Handwerk stecken gesellschaftliche Richtungspotenziale, die mehr Aufmerksamkeit und Förderung verdient haben: soziale, lokale, planetare.

»Hunderttausende neue Wärmepumpen sollen laut Regierung jedes Jahr installiert werden. Doch wer soll die einbauen?« Die Frage lässt sich in einem allgemeineren Zusammenhang formulieren: Die sozial-ökologische Transformation, ganz egal ob »grüne Modernisierung« oder strukturverändernder Umbau (siehe dazu etwa hier), ist nicht ohne das Handwerk umsetzbar.

Rund eine Million vor allem kleiner und mittelgroßer Handwerksbetriebe beschäftigen etwa 5,5 Millionen Beschäftigte, das sind rund 12 Prozent der Erwerbstätigen hierzulande. Aktuell werden etwa 360.000 Lehrlinge in über hundert Berufen im Handwerk ausgebildet - überdurchschnittlich viel im Vergleich mit anderen Sektoren. Dadurch hat das Handwerk eine Rolle als »Fachkräftelieferant« für andere Bereiche der Wirtschaft inne.

Aber auch im Handwerk machen sich der demografische Wandel und der Arbeitskräftemangel bemerkbar. Laut Zentralverband Sanitär Heizung Klima, um ein für die Wärmewende besonders relevantes Metier herauszugreifen, wird zwar derzeit jede bestellte und verfügbare Wärmepumpe auch eingebaut, aber 67 Prozent der Betriebe haben offene Stellen. Bis 2030 bestehe allein in diesem Bereich ein Zusatzbedarf von 60.000 Fachkräften.

Dass auch noch viele Lehrlinge die Ausbildung in für den ökologischen Umbau relevanten Handwerksberufen abbrechen, wie es in diesem Überblick geschildert wird, deutet auf Probleme hin, die durch den innovationsgetriebenen Wandel des Handwerks hinzukommen.

Im Fall des Einbaus von Wärmepumpen: Frühere Lehrberufe wie die zum Heizungsbauer und zum Gas-Wasser-Installateur sind in der Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik zusammengefasst worden, die verlangten Kompetenzen in Bereichen wie Elektrik werden umfangreicher. Derzeit bricht rund ein Drittel der Lehrlinge die Ausbildung zum Anlagenmechaniker SHK ab; aus verschiedensten Gründen. Allerdings bestehen auch immer noch fast 85 Prozent derer, die zur Prüfung antreten.

Einen geradezu programmatischen Einstieg in das Thema »Handwerk und ökologische Transformation« haben Kilian Bizer, Jörg Thomä und Anita Thonipara unlängst in der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung gegeben. Darin wird nicht lediglich die zahlenmäßige und fachliche Bedeutung des Handwerks für einen sozial-ökologischen Umbau deutlich gemacht. Sondern auch mehrere organische Qualitäten ins Licht gerückt, die Voraussetzungen für bestimmte - soziale, lokale, planetare - Richtungsqualitäten oder -potenziale des Handwerks darstellen.

Diese lassen es sinnvoll erscheinen, dem Handwerk auch aus der Perspektive progressiver Ansprüche an die ökologische Transformation und darüber hinaus mehr Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Im Umfeld der Grünen gibt es beispielsweise mit HandwerksGrün einen Verein »für alle Handwerker:innen, die grün denken«. Deren Vorsitzende Astrid Hilt sagt: »Viele Grüne haben die politische Bedeutung des Handwerks noch nicht verstanden.« Das dürfte auf andere Parteien, die sich für schnellere sozial-ökologische Transformation aussprechen, ebenso zutreffen.

Bizer, Thomä und Thonipara unterscheiden erstens einen bestimmten Modus der Innovation, bei dem sich das Handwerk vom produzierenden Gewerbe unterscheidet. Ist dort der Science-Technology-Innovation-Modus dominierend, bei dem Forschungsabteilungen, Kooperationen mit Universitäten und externen Wissenschaftseinrichtungen im Zentrum stehen, ist Innovation beim Handwerk durch den Doing-Using-Interacting-Modus geprägt: Die praxisnahe Anwendung mittels immer wieder erweiterter Könnerschaft und personengebundenem Erfahrungswissen ist Kern der handwerklichen Innovation, wobei interaktives Lernen zwischen Mitarbeitenden, Kunden, Zulieferern und anderen eine wichtige Rolle spielt. Dies spielt das Handwerk innerhalb des gesamten Innovationssystems als »Multiplikator und Mittler« bei der »volkswirtschaftlich wichtige(n) Diffusion von neuem technologischem Wissen« aus.

Könnerschaft und personengebundenes Erfahrungswissen spielen zweitens auch im Selbstverständnis des Handwerks eine Rolle - und dies mit politischen Implikationen unter anderem zum »Beitrag des Handwerks auf dem Weg zu einer nachhaltigen Arbeitswelt«. Einerseits wird dem »Wunsch, auf selbstbestimmte Weise zu arbeiten und das eigene Erfahrungswissen bei der Schaffung eines neuen oder verbesserten Produkts beziehungsweise einer Dienstleistung einzusetzen« im Handwerk eine verbreitete Bedeutung zugemessen. Diese ist mit Handwerkerstolz, beruflicher Identität und Arbeitszufriedenheit verknüpft. Modellhaft findet dies im »Craft Entrepreneur« Ausdruck, einem »spezifischen Typus, der eher nach persönlicher Autonomie und Selbstentfaltung als nach Profit und Wachstum strebt«.

Dies wiederum spielt – drittens – für die Bedeutung des Handwerks im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Da soziale Bindungen, persönliche Beziehungen, gegenseitiges Vertrauen, lokale Verankerung bestimmender sind als in anderen Sektoren, hält das Handwerk in Krisenzeiten »länger an den eigenen Mitarbeiter*innen fest als andere Wirtschaftsbereiche«, verhilft »mehr Menschen mit Migrationshintergrund zu einer erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt und zu wirtschaftlich-gesellschaftlicher Teilhabe als andere Wirtschaftszweige« und erweist sich als gesellschaftspolitisch »stabilisierender Faktor von Regionen, weil die Bereitschaft, sich im persönlichen Arbeits- und Lebensumfeld ehrenamtlich oder freiwillig zu engagieren, unter den im Handwerk tätigen Personen weit verbreitet ist«. Die überdurchschnittlich hohe Ausbildungsquote im Handwerk sprechen auch Bizer, Thomä und Thonipara in diesem Zusammenhang an.

Mit Könnerschaft und personengebundenem Erfahrungswissen ist viertens eine - mindestens Offenheit, womöglich Nähe zu Themen wie Ressourcenschutz verbunden. Die überdurchschnittlich erfahrene Sinnstiftung im Handwerk hängt damit zusammen. Nicht nur aber auch deshalb hat das Handwerk im kreislaufwirtschaftlichem Sinne eine wichtige Funktion: als reparierendes Handwerk. Allein »46.000 Handwerksbetriebe mit etwa 213.000 Angestellten bieten ausschließlich Reparaturdienstleistungen an«. Politisch kann dieser Teilbereich etwa durch Förderungen wie dem Reparaturbonus unterstützt werden, bei dem Kundinnen und Kunden in Thüringen bis zu 100 Euro für die Reparatur ihres defekten Gerätes erhalten. In den vergangenen zwei Jahren wurden fast 20.000 entsprechende Anträge bewilligt.

Eine Studie der IKK zeigte gerade, dass viele Handwerkerinnen und Handwerker Klima- und Umweltschutz als wichtig bis sehr wichtig erachten - mehr als 83 Prozent und damit ein leicht höherer Anteil als in der Gesamtbevölkerung. Mehr als 78 Prozent fühlen sich zudem gut über das Thema informiert. Nicht wenige von ihnen spüren den Klimawandel bereits. Insgesamt sagten gut 27 Prozent, sie würden einen Einfluss des Klimawandels auf die tägliche Arbeit spüren - knapp 22 Prozent »weniger« und gut 50 Prozent »gar nicht«. Die erfahrene Betroffenheit war aber je nach Sektor sehr unterschiedlich, »über 47 Prozent der Befragten im Holzgewerbe, gut 39 Prozent der Befragten aus dem Nahrungsmittelgewerk und über 35 Prozent der Befragten im Bau- und Ausbaugewerbe gaben an, den Einfluss des Klimawandels stark bis sehr stark zu erleben«.

In einer Befragung von handwerklich Beschäftigten aus den Bereichen Dach, Fassade, Gebäudetechnik, Innenausbau und Bauelemente wurde unlängst unter anderem die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten abgefragt: »55 Prozent der Handwerker registrieren ein zunehmendes Interesse der Auftraggebenden an nachhaltigen Produkten. Drei Viertel gaben an, ihre Kunden aktiv auf nachhaltige Lösungen hinzuweisen, sofern es solche Lösungen gibt und diese lieferbar sind.« In Sachen Digitalisierung zeigt sich eine wachsende Nachfrage nach Nutzung mobiler Endgeräte in der Steuerung oder Kundenbetreuung, aber auch bei der Arbeitsorganisation und Werbung.

Der enge Zusammenhang zwischen sozial-ökologischer und digitaler Transformation lässt sich schon am Beispiel des technischer, also auch digitaler gewordenen Ausbildungsberufes zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik erahnen. Aber Digitalisierung müsse nicht »automatisch zu einer Schwächung des DUI-Innovationsmodus führen«, sondern - über Mitarbeiterbeteiligung und experimentelle Freiräume, zu »lernfreundlicheren Arbeitsumgebungen« führen. »Digitale Innovationen, die ausschließlich auf Standardisierung, Automatisierung und Effizienzgewinne zielen, sind nicht automatisch vorteilhaft für die Gesellschaft und das Gemeinwohl. Diese Bedingung ist vielmehr erst dann erfüllt, wenn auch ökologische und soziale Auswirkungen angemessen berücksichtigt werden«, so Bizer, Thomä und Thonipara. Dazu gehört auch, die Vorteile des auf Könnerschaft und personengebundenem Erfahrungswissen beruhenden speziellen Innovations- und Expertise-Modus des Handwerks zu bewahren.

Schon in der dena-Leitstudie »Aufbruch Klimaneutralität« von 2021 war auf die wichtige Rolle des Handwerks auf dem Weg zu den klimapolitisch vereinbarten Zielen hingewiesen worden - und auch auf die kommenden Probleme etwa in Sachen Arbeitskraft: »Mit Blick auf sich verändernde Arbeitsmärkte sollte zudem stärker berücksichtigt werden, inwiefern Arbeitskräfte aus anderen Sektoren, die angesichts ihrer vorangegangenen beruflichen Ausbildung gut im Gebäudebereich tätig sein könnten, mittel- und langfristig auch dort eine gute Perspektive finden können. Im Zusammenhang mit der Ausbildung von Handwerkern ist vor dem Hintergrund des Akademisierungstrends der vergangenen Jahre die berufliche Bildung auf Augenhöhe mit der akademischen Bildung zu stärken.«

In diese Richtung gehen auch die Appelle des Handwerks selbst. ZDH-Präsident Jörg Dittrich wird in einem Interview unter der Überschrift »Im Handwerk hauptberuflich Klima schützen« mit den Worten zitiert: »Dafür müssen aber wieder mehr junge Menschen die Werkbank dem Hörsaal vorziehen. Wir als Handwerk tun mit unseren Nachwuchsinitiativen und -kampagnen bereits das unsere, um für Nachwuchs zu sorgen. Nun sind Politik und Gesellschaft gefragt: Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, die der gleichermaßen großen Bedeutung von beruflicher und akademischer Bildung Rechnung tragen, und Politik muss beide Bildungswege gleichwertig fördern und finanziell ausstatten.« Und Dittrich weist neben anderen auch auf diese Anreizsstruktur bei der Berufswahl hin: »Handwerkerinnen und Handwerker verdienen entgegen der landläufigen Meinung keineswegs grundsätzlich weniger als Absolventinnen und Absolventen eines Studiums. Laut einer IW-Studie bewegt sich das Lebensarbeitskommen von einem Meister und einem Bachelor auf Augenhöhe.« Allerdings sei nicht nur das Lohnniveau von Branche zu Branche sehr unterschiedlich, sondern dies gelte zudem für deutliche Unterschiede nach »regionalen und tariflichen Gegebenheiten«.

Bei der Böll-Stiftung ist mit Blick auf den Mangel an Arbeitskräften im Handwerk von einem »Heinzelmännchenmoment« die Rede: Zu lange wurde über den Sektor »hinweggesehen und seine Existenz als selbstverständlich hingenommen. Nun folgt ein bitteres Erwachen«. Um das Ruder herumzureißen seien auf allen drei Ebenen - Handwerkerinnen und Handwerker, Handwerksbetriebe und Handwerksinstitutionen - Maßnahmen nötig, »um die Transformationspotenziale des Handwerks zu heben«.

Dabei geht es unter anderem um »gesellschaftliche Wertschätzung, die sich in sozialem Prestige und guter Bezahlung äußert« sowie »Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, die für vielfältige Zielgruppen attraktiv sind«; auch für Frauen, deren Anteil in den »Engpassgewerken der Gebäudeelektrik und des Sanitär-, Heizung- und Klimahandwerks bei unter 1,5 Prozent« liegt. Für die meist kleinen Handwerksbetriebe müssten zudem »faire ökonomische und regulatorische Ausgangsbedingungen« (keine Größendiskriminierungen, weniger Fixkosten durch Bürokratie ua.), Maßnahmen zur betriebswirtschaftlichen Rentabilität von ökologische Dienstleistungen gegenüber nichtökologischen Produkten und Dienstleistungen sowie, für das kleinteilige Handwerk noch wichtiger, Stabiltität von Regulierungs- und Finanzierungsstrukturen angestrebt werden. Was die Institutionen des Handwerks angeht, sollte höhere Leistungsfähigkeit, mehr Mitbestimmung für Mitglieder und stärkere (und frühere) Einbindung der Organisationen des Handwerks durch die Politik erreicht werden. (tos)

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