Klimanotizen 3
Ist es etwa irrational, Angst vor der Klimakrise zu haben? Die Klimanotizen heute zur »ökologischer Psychiatrie«, zu riesigen Methan-Lecks, Rekord-Emmissionen aus borealen Bränden, verheerenden Agrokraftstoffen und Versuchen der Fossil-Partei FDP, eine Tempolimit-Studie zu diskreditieren.
1# Über den Stand der ökologischen Psychiatrie spricht der Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, Andreas Meyer-Lindenberg, mit Joachim Müller-Jung. Ob »Klimaangst eine Diagnose wird«, ist sich der Mannheimer Psychiater noch nicht sicher; darüber, dass das Verständnis von Risiko- und Resilienzfaktoren besser werden sollte auch im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt, aber schon. Natürlich kommt das Gespräch nicht an den »jungen Klimaaktivsten« vorbei. Ob deren Verzweiflung auch damit zusammenhänge, dass die Medien »das Thema so hochspielen«, wird der Fachmann gefragt. Welches Thema? Und: »hochspielen«? Meyer-Lindenberg hält »die Evidenz für den menschengemachten Klimawandel für bombenfest, und ich denke auch, dass das zu erheblichen negativen Konsequenzen führen wird, gerade auch für die Psyche. Wenn man das so sieht, dann ist die Klimaangst zunächst einmal rational begründet. Die Emotion Angst signalisiert eine Gefahr und soll damit bewirken, dass ich damit umgehe. Dafür ist Angst in der Evolution da, wie der Schmerz auch. Unangenehm, aber notwendig, um zu handeln. Das muss ich also noch nicht pathologisieren. Es hat im Gegenteil eine überlebenswichtige Funktion. Irrational ist eher der, der keine Angst davor hat.«
2# Apropos irrational: Obwohl man diesen Krisenverstärker vergleichsweise leicht eindämmen könnte, wird weiter das stark wirksame Treibhausgas Methan aus zahlreichen gewollten und ungewollten Lecks in die Atmosphäre entlassen, hauptsächlich aus Öl- und Gasanlagen, wie unter anderem der Guardian unter Berufung auf neue Satellitendaten des französischen Unternehmens Kayrros berichtet. Um die Dimension klarzumachen: Aus einem (!) detektierten Leck in Turkmenistan seien zeitweise 427 Tonnen Methan pro Stunde in die Atmosphäre geströmt; die Verschmutzung belief sich auf eine Menge, die 67 Millionen fahrenden Autos entspricht. Methan-Emissionen machen nur einen Anteil von etwa drei Prozent des anthropogenen Treibhausgasausstoßes aus; ihr Beitrag zur globalen Erhitzung wird aber auf 0,5 Grad der bisherigen etwa 1,1 Grad Celsius taxiert. Seit 2007 steigen die Zahlen »beängstigend« an, so Forscherinnen und Forscher. Die Bekämpfung der aufgelisteten Leckagen wäre ein sehr schneller und vergleichsweise billiger Weg, die Klimaziele zu erreichen.
3# Extreme Waldbrände treten immer häufiger auf und wirken sich zunehmend auf das Klima der Erde aus. Wie jetzt am Beispiel der Feuer in borealen Wäldern in Sibirien, Alaska und Kanada im Sommer 2021 festgestellt werden konnte, wurden dabei Rekordmengen an CO2-Emmissionen freigesetzt. Boreale Brände, die normalerweise 10 Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen aus Bränden ausmachen, trugen im vorvergangenen Jahr mit 23 Prozent zum weitaus höchsten Anteil seit 2000 bei. »Diese ungewöhnlich hohe Gesamtzahl ist auf das Zusammentreffen von Wasserdefiziten in Nordamerika und Eurasien zurückzuführen«, heißt es in »Science«, was »eine ungewöhnliche Situation« darstelle. Noch, wird man hinzufügen müssen; die Zahl extremer Waldbrände steigt mit zunehmender globaler Erhitzung und beschleunigt diese wiederum. Hier liege »eine echte Herausforderung für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels«.
#4 Einer Studie der Umwelthilfe und des NGO-Dachverbands Transport & Environment zufolge werden weltweit 9,6 Millionen Hektar Agrarland für den Anbau von Soja, Raps, Getreide und Co. belegt, um daraus Agrokraftstoff für die EU zu machen. Das hat verheerende Folgen, wie die Expertise des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg belegt: Unter Berücksichtigung der Landnutzungseffekte ist die Klimabilanz von Agrosprit noch schlechter als die fossiler Kraftstoffe. »Wertvolle Flächen mit Monokulturen für die Agrokraftstoffproduktion zu blockieren, ist für den Klimaschutz die völlig falsche Wahl«, heißt es bei den Organisationen. »Renaturierung könnte auf einer Fläche dieser Größe zwei- bis dreimal mehr CO2 einsparen. Die Ergebnisse belegen außerdem, dass sich erneuerbare Antriebsenergie für Fahrzeuge auch ohne immense Flächenverschwendung herstellen lässt: Für die gleiche Kilometerleistung benötigt die Erzeugung von Solarstrom für E-Fahrzeuge 97,5 Prozent weniger Fläche als die Produktion von Agrokraftstoff für Verbrennerfahrzeuge.« Hingewiesen wird darauf, dass das Umweltbundesamt die staatliche Förderung von Agrokraftstoffen bereits seit 2008 als klima- und umweltschädliche Subvention einstuft. Die Förderung gibt es aber immer noch.
#5 So wie es immer noch kein Tempolimit auf Autobahnen gibt, das der brisanten Lage einer sich immer noch weiter über die planetaren Grenzen hinaus ausdehnenden Gesellschaft entsprechen würde: also zum Beispiel maximal 120 auf Autobahnen und 80 außerorts. Das wäre leicht umzusetzen und würde etwas bringen, doch der dagegen geführte Kulturkampf ruft nicht nur »Freiheit«, sondern stellt auch Forschungsergebnisse in Abrede. So geschehen mit einer Studie des Umweltbundesamtes, die das Potenzial, durch Tempolimits Treibhausgase zu sparen, deutlich höher ansetzte, als bisher angenommen: Man könnte auf 8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr weniger kommen. Die »Welt«, die sich der Verteidigung der fossilistischen Gesellschaft verschrieben hat, streute ebenso Zweifel wie eine von der FDP beauftragte Gegenstudie, bei der nicht nur interessant war, was die Autoren früher so geschrieben haben und in welchem politischen Umfeld. Der liberalen Benzinpartei war das Papier dennoch ausreichend, dem Umweltbundesamt »bewusste Irreführung« vorzuwerfen, wie es ein Magazin formulierte. Nun haben sich Markus Friedrich von der Universität Stuttgart und Umweltbundesamt-Präsident Dirk Messner noch einmal zu Wort gemeldet - und zeigen, was die FDP-Studie so alles falsch macht: diese sei »klar fehlerhaft«, verwende falsche Werte, basiere auf inkorrekten Herleitungen und so fort. Friedrich und Messner: »Wenn ein Tempolimit politisch-gesellschaftlich keine Akzeptanz findet, müssten die Emissionen anders gemindert werden. Tempo 120 auf Bundesautobahnen und Tempo 80 auf Außerortsstraßen könnte von 2024 bis 2030 insgesamt rund 47 Millionen Tonnen CO2 sparen – das ist immerhin ein Sechstel der 271 Millionen Tonnen, um die die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis 2030 laut Klimaschutzgesetz sinken müssen. Entscheidet sich die Politik gegen Tempo 120 auf Autobahnen, muss sie andere Lösungen finden, um die aktuelle Lücke zu stopfen.« Mit der dafür zuständigen FDP wird das nichts. (tos)