Klimanotizen 2
Was ist die größte Gefahr für die Demokratien? Was wäre, wenn SUV ein Staat wären? Wird die kommende Gesellschaft der Anpassung auch Freiheitsgewinn bringen? Wann begleicht der Globale Norden seine Klimaschulden? Und wie schlimm wird die nächste Dürre?
#1 Was ist die größte Gefahr für die Demokratien? Der australische Politologe John Keane nennt »die Zerstörung der lebendigen planetarischen Umwelt« als die langsamste und zugleich beunruhigendste »Form des Demozids«. Umweltschocks seien »manchmal durch beängstigende Quanteneigenschaften gekennzeichnet, die einen eigenen Willen zeigen«, schreibt Keane im Eurozine. Aber das sei »noch nicht alles. Es gibt noch weitere, unmittelbar zu beobachtende antidemokratische Auswirkungen der Verwüstung unseres Planeten«: Folgen der Klimakrise würden als katastrophische Ereignisse »das Gewebe aus Vertrauen und Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft durch Gier und Korruption, Angst und Krankheit« zerreißen, der Ausnahmezustand werde in einer Welt, in der »Extremwetterereignisse« keine Ausnahme mehr sind, »normalisiert«: »Notstandsregelungen gewöhnen die Menschen an Unterordnung. Sie ist die Mutter der freiwilligen Knechtschaft.« Auch »Zwangssolidarität, die Leszek Kołakowski als eine durch Zwang degradierte Form der Solidarität beschreibt, wird standardisiert«. Keanes Warnung: »Die Demokratien spielen auch mit ihrem eigenen Verschwinden, wenn die Bürger und ihre Vertreter nicht nur die antidemokratischen Auswirkungen von extremen Wetterereignissen, Artensterben, Seuchen und anderen Umweltkatastrophen gedankenlos und blindlings ignorieren.«
#2 Keane im Kopf lässt sich eine der schlimmsten Seuchen automobilistischer Verdrängung als Demokratiegefährder-SUV bezeichnen: 2022 war der Anstieg der Verbreitung von »Sports Utility Vehicles« für »ein Drittel des Anstiegs der weltweiten Ölnachfrage verantwortlich«, wie der »Guardian« berichtet. Die klimawirksamen Emissionen der rund 330 Millionen SUV weltweit summieren sich auf fast 1 Milliarde Tonnen Kohlendioxid. Wären SUV ein Staat, stünde dieser »weltweit an sechster Stelle der Verschmutzer«. Der Absatz solcher Riesenblechwagen wuchs von 20 Prozent Anteil an allen Neuwagen im Jahr 2012 auf 46 Prozent aller Autos im vergangenen Jahr. Dass rund jeder sechste 2022 verkaufte SUV elektrisch angetrieben wurde, macht die Sache nicht viel besser. Laut der International Energy Agency werden die E-SUV zwar »immer beliebter, aber nicht schnell genug, um den steigenden Ölverbrauch und die Emissionen der gesamten Fahrzeugflotte auszugleichen.« Außerdem übt »ein wachsender Markt für Elektro-SUVs zusätzlichen Druck auf die Lieferketten für Batterien« aus, also auf die Nachfrage nach den für die Herstellung der Batterien benötigten Mineralien.
#3 Der Soziologe Philipp Staab meint, »im 21. Jahrhundert werden wir zu ständiger Anpassung gezwungen sein und dazu, nach Techniken der Mitigation zu suchen, die die Klimaerwärmung abschwächen oder mildern«. Im Gespräch mit Ulrike Baureithel über sein neues Buch erläutert er, warum Anpassung »Leitmotiv der nächsten Gesellschaft« sein wird - und nicht schon dieser: »Im Moment dominiert eher Anpassungsverdrängung. Dem wird auch politisch Vorschub ge leistet, etwa indem man grünes Wachstum ohne Wohlstandsverlust verspricht. Aber auch wenn wir alles richtig machen würden und vielleicht unter den avisierten zwei Grad Temperaturanstieg blieben, haben wir es dennoch mit einer Welt zu tun, in der die akuten Probleme unsere ganze Aufmerksamkeit fressen«. Der Krisendruck steige - »deshalb gewinnen die Probleme der Stabilisierung im Vergleich zu denen der Selbstentfaltung. Es handelt sich um eine Verschiebung der Prioritäten.« Das »Hineinwachsen« in eine Gesellschaft der Anpassung werde unsere Handlungsspielräume bestimmen. Ob das als Einengung verstanden wird, kommt auf den Standpunkt des Beobachters an: Staab ist »überzeugt, dass daraus auch Freiheitsgewinne entstehen«, nämlich »indem die Pathologien der Freiheit, die die bisherige Gesellschaft hervorgebracht hat, zurückgedrängt werden. Und ich bin überzeugt, dass daraus auch Freiheitsgewinne entstehen.«
#4 Der 70. Jahrestag des Londoner Abkommens über die Schulden der Bundesrepublik von 1953 vor wenigen Tagen ist von Aktionen für einen Erlass der Schulden des globalen Südens bei der Weltbank und beim Internationalen Währungsfonds begleitet worden. »Die Klimaschulden des Globalen Nordens hängen mit seiner Schuld für die Jahrhunderte der Sklaverei und des Kolonialismus zusammen«, sagt der südafrikanische Mitgründer der Kampagne »Debt for Climate«, Sunny Morgan. »Die Ausbeutung von Ressourcen des Globalen Südens, beginnend mit der industriellen Revolution, hat die Klimakrise herbeigeführt. Der Wert dieser extrahierten Ressourcen, die bis heute aus dem Süden in den Norden fließen, stellt also eine noch immer nicht beglichene Schuld dar«. Zugleich würde ein solcher Schuldenerlass direkt dem Klimaschutz zugute kommen, »denn Schulden und Klima hängen zusammen: Der Globale Süden muss fossile Brennstoffe für den Export finden und fördern, um durch ihren Verkauf Deviseneinninnahmen zu erzielen. Diese Einnahmen fließen oft direkt in den Schuldendienst, meist für Zinszahlungen. Die massiven Schuldenrückzahlungen aber lähmen die Länder des Globalen Südens«, so Morgan im Gespräch mit Nadja Charaby. Ein Schuldenschnitt würde es diesen Staaten unter anderem ermöglichen, »soweit möglich auf erneuerbare Energien umzusteigen und eine nachhaltige Infrastruktur aufzubauen«.
#5 Der letzte Dürresommer ist noch in Erinnerung, die nächste Trockenheit kündigt sich bereits an. Europaweit schlagen Meteorologen und Umweltorganisationen Alarm: Die vielerorts nur geringen Schneedecken und sehr wenig Regen würden schon bald zu massiver Trockenheit führen. In Frankreich sei die Lage aktuell so außergewöhnlich, berichtet Annika Joeres, dass dafür der Begriff »Winter-Dürre« neu erfunden werden musste: Viele Regionen befänden sich über 30 Tagen ohne Niederschlag. Nicht nur die letzten Wochen stellen ein Problem dar, sagt der Klimaforscher Andreas Marx, »sondern auch die Tatsache, dass die Niederschlagsdefizite und die Hitze der letzten Jahre dazu geführt haben, dass sich langsam ein großes Wasserdefizit aufgebaut hat«. Schon die Dürre in Deutschland 2018 bis 2020 war so stark, dass man dafür keine ähnlichen Vergleichswerte in Mitteleuropa zurück bis ins Jahr 1766 finden konnte. Wie schlimm die Trockenheit 2023 sein wird, »das kann man jetzt noch nicht mit Sicherheit sagen«, so Marx. Was bereits sicher ist, sind die Folgen der Dürre im vergangenen Jahr. Da wurden zum Beispiel insgesamt 3,8 Millionen Tonnen weniger Gemüse geerntet als im Jahr davor. (tos)