Klimanotizen 15
Von acht planetaren Grenzen sind sieben überschritten. Wie geht es in den sicheren und gerechten Bereich wieder zurück? Über Vorschläge, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, ohne mehr zu produzieren, andere Ökonomie-Fragen und den Kulturkampf darum, nicht mehr Teil der Räuberbande zu sein.
#1 Die Menschheit lebt jenseits der Grenzen des Erdsystems, das ist leider keine Neuigkeit. 2009 haben Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und die Earth Commission, ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen, das Konzept der planetaren Grenzen vorgestellt, deren Überschreiten die Stabilität der Ökosysteme auf der Erde gefährdet. Es umfasst neun Dimensionen, die für die Gesundheit und Überlebensfähigkeit unserer menschlichen Zivilisation entscheidend sind, ausführliche Erläuterungen dazu gibt es etwa hier bei der Helmholtz-Klimainitiative oder vom Stockholm Resilience Center, wie in dieser Übersicht, wo man auch eine Studie findet, die das Konzept der planetaren Grenzen kritisch diskutiert. Nun haben Rockström und Kolleginnen das Modell verfeinert, aktualisiert und um Aspekte erweitert: das Konzept der physikalischen, chemischen und ökologischen Grenzen wird auf den Gesichtspunkt der Gerechtigkeit ausgedehnt. Dies hat Konsequenzen; es »führt zu strengeren Grenzen als die alleinige Betrachtung der Planetaren Grenzen«; so wird etwa vorgeschlagen, die sichere und gerechte Klimagrenze bei oder unter 1 Grad Erhitzung anzusetzen. Von den insgesamt acht sicheren und gerechten Grenzen für das Klima, die biologische Vielfalt, die Verfügbarkeit von Oberflächen- und Grundwasser und die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser durch beispielsweise Stickstoff, Phosphor oder Aerosole sehen die Autorinnen der Studie heute bereits sieben Grenzen überschritten - eine existenzielle Bedrohung. Das Science Media Center hat Expertinnen um eine Bewertung des neuen Modells planetarer Grenzen gebeten; überwiegend wird die Einbeziehung der Gerechtigkeitskomponente gelobt; wie schon beim bisherigen Modell werden aber Schwierigkeiten bei der Setzung von Grenzen im Bereich Biodiversität und Ökosysteme, weil die »örtlich spezifischen Wechselwirkungen in Ökosystemen nur unzureichend verstanden werden«.
#2 Er hoffe, so hat Christian Franzke, Associate Professor und Arbeitsgruppenleiter am IBS Center for Climate Physics auf das aktualisierte Modell planetarer Grenzen reagiert, »dass diese Studie uns alle motiviert, endloses ökonomisches Wachstum – das mit Ressourcenverbrauch einhergeht – kritisch zu sehen und den Erdsystemgrenzwerten mehr Beachtung zu schenken.« Von den unterschiedlichen Ansätzen, Wachstum zu begrenzen, soll hier einmal ebenso abgesehen werden wie von der Diskussion um die Begrenztheit der genutzten Indikatoren. Ein oft gehörtes Argument gegen wachstumskritische Vorschläge lautet, hohe Raten der BIP-Steigerung seien nötig, um die globale Armut zu senken. Diese Behauptung nimmt Arthur Zito Guerriero vom Institut für Sozioökonomie der Unviersität Duisburg-Essen kritisch unter die Lupe und kommt zu dem Ergebnis: »Nur ein minimaler Anteil der neugenerierten Wirtschaftsleistung kam tatsächlich den Armen zugute, während vor allem die reichen Einkommensgruppen profitierten.« Und weiter: »Es wäre sinnvoller, Maßnahmen zu verfolgen, die direkt darauf abzielen, das Einkommen derjenigen zu erhöhen, die es am meisten brauchen, und Wachstum (oder sogar Wachstumsrückgang) als Nebenprodukt zu betrachten. Wenn das Einkommen der Armen steigt, ist es nicht problematisch, dass die Wirtschaft (also, das Durchschnittseinkommen) schrumpft. Angesicht der Umweltkrise sollte genau dies das Ziel sein: die wichtigsten menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, ohne mehr zu produzieren.«
#3 Die große Frage lautet: Wie geht das? »Wenn man diese immer noch verfolgte Entwicklungsrichtung der Nicht-Nachhaltigkeit wechseln möchte, muss die Ökonomie ins Zentrum aller einschlägigen Bemühungen rücken«, dafür plädiert Harald Welzer mit Blick auf die neue Ausgabe von »FuturZwo«. Einfach gesagt: »Wenn wir unseren Stoffwechsel nicht anders zu organisieren lernen als in den letzten zweihundert Jahren, wird das nix mit dem Überleben der Menschen.« Welzer fragt deshalb, was unternehmerische Strategien sein könnten, »so zu wirtschaften, dass man nicht zur Zerstörung beiträgt, sondern sie möglicherweise sogar zu heilen hilft? Welche zur Nicht-Nachhaltigkeit geradezu verpflichtenden Parameter des wirtschaftlichen Handelns müssen so verändert werden, dass der Kapitalismus aufhört, die Natur zu konsumieren? Welches gesellschaftliche Naturverhältnis kann dafür sorgen, dass nicht nur die Zerstörung gestoppt, sondern gleichzeitig das zivilisatorische Projekt fortgesetzt werden kann, in dem Freiheit, Recht und Teilhabe Garantien und nicht Privilegien sind?« Diese Fragen werden nicht zum ersten Mal gestellt, die Antworten darauf gehen vom Ruf nach »Freiheitlicher Klimapolitik«, also Problemlösung im Rahmen »marktwirtschaftlicher« Richtungskonstanz, wie ihn Danyal Bayaz und Ralf Fücks vertreten, auf der einen Seite bis zur in der politischen Linken weit verbreiteten Überzeugung, eine Lösung der biophysikalischen Existenzkrise werde ohne Ausstieg aus dem Kapitalismus nicht zu schaffen sein.
#4 Die Zeit dafür, diesen Streit in der Wirklichkeit zu entscheiden, wird immer knapper. Er wird auch nicht nur auf der grundsätzlichen Ebene geführt, sondern tritt in immer neuen Verkleidungen auf. Zuletzt wieder einmal als Diskussion über die Bepreisung von Emissionen. Philipp Bovermann meint, »Klimaschutz mit den Mitteln des Marktes, das ist keineswegs der Artenschutz für fossile Brennstoffe, den sich viele in der FDP wünschen. Der Emissionshandel könnte sich vielmehr als das schärfste Schwert im Kampf gegen die Klimakrise entpuppen. Und, noch besser: Er könnte dabei helfen, den leidigen Kulturkampf ums Klima zu beenden« - indem aus »einem moralischen ein kühles ökonomisches Kalkül« gemacht wird. Dass dazu nicht nur über den Emissionshandel geredet werden müsste, der ja ohnehin existiert und dessen Ausweitung längst beschlossen ist, sondern auch über das Klimageld und die verwaltungstechnischen Voraussetzungen, ist das eine. Auf weitere Probleme weist Mark Schieritz hin: »CO2-Preis heißt, dass Sachen teurer werden. Sehr viel teurer, wenn man es ernst nimmt.« Was zu der Frage führt, ob man das einer Regierung unter Beteiligung der Tankrabatt-FDP zutrauen kann. Oder: »Die Sache funktioniert nur, wenn die Leute in Erwartung stetig steigender Preise ihr Verhalten anpassen – also heute die Heizung tauschen, weil sie wissen, dass sie sich diese in zehn Jahren nicht mehr leisten können.« Was zu der Frage führt, ob Menschen so rational handeln; und was getan wird, wenn dies nicht so ist, also denn doch wieder Hilfsprogramme und Sonderförderungen gestartet werden, wie beim Gebäudeenergiegesetz, etwas, das durch den Fokus auf die CO2-Bepreisung ja eigentlich überflüssig werden soll. Schieritz hält es für »Klamauk«, dass ein CO2-Preis mit Klimageld »als Ausweg aus der Heizungsmisere« hingestellt wird. Das ist, wenn man es als »der Ausweg« liest, so richtig, wie jeder marktwirtschaftliche Versuch, der Klimakrise beizukommen, auf Ordnungsrecht also Verbote nicht wird verzichten können. Man wird beide Richtungen zugleich verfolgen müssen und eine dritte dabei nicht vergessen dürfen: Ein Leben innerhalb der Planetaren Grenzen wird ein gänzlich anderes sein müssen, andere Produktionsweisen, andere Konsumkulturen, anderes Selbstverständnis usw. Was dazu anregen könnte, den gegenwärtig oft zu hörenden Begriff »Kulturkampf« (um den Verbrenner, um die »Heizungsideologie« usw.) so zu verstehen, wie er im historischen Sinne auch gemeint war: Er bezeichnete nicht nur einen Konflikt zwischen Staat und Kirche (Bismarck, Katholiken), sondern auch eine Umwälzung, in der es um tiefer liegende, sozial geprägte, ökonomisch getriebene Aspekte ging, um sich als marginalisiert betrachtende ländliche Schichten, die im Klerus einen Fürsprecher sahen gegen die sie betreffenden Folgen von Industrialisierung, auch gegen die individuell so erlebte Abwertung von Lebensführungsmodellen, Werten und Normen, für die eine Dominanz städtisch-liberaler Eliten verantwortlich gemacht wurde, was diese auch zur Zielscheibe entsprechender Projektionen machte. Es ist zuletzt geraten worden, diesen Kulturkampf nicht aufzunehmen, weil er die radikale Rechte stärkt. Wie wollen wir dann die Auseinandersetzung um jenes neue menschliche Maß nennen, das wir finden müssen, um wieder zurückzufinden in den Raum sicherer und gerechter Grenzen für das Klima, die biologische Vielfalt, die Verfügbarkeit von Oberflächen- und Grundwasser und die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser?
#5 Apropos Kulturkampf: Adrian Lobe hat unlängst eine mit einem Leben in Planetaren Grenzen verbundene ökonomische Wahrheit ausgesprochen: »Das große Fressen ist vorbei, der Kuchen wird von Jahr zu Jahr kleiner.« Lobe bezieht dies aber auf einen Generationenkonflikt, der auf einer Spaltung in großer Tiefe beruht: »Die Steine, auf denen die Boomer bauten und mit denen sie ihren sozialen Status zementierten, wurden mit billigen fossilen Rohstoffen finanziert – einer ökologischen Hypothek zulasten jüngerer Generationen. Die müssen nun den Überkonsum der Älteren bezahlen – nicht nur mit einem steigenden CO2-Preis, auch mit Einschränkungen ihrer Freiheit. Damit konfrontiert, gehen die Boomer oft in eine Abwehrhaltung, als würde man ihre Lebensleistung infrage stellen.« Hier liegt der Kern des Konflikts unserer heißen Zeiten: Können wir, wollen wir so weitermachen wie bisher? In dieser Frage (und den Antworten) spiegeln sich alle große Debattenthemen dieser Monate; das der globalen Ungleichheit etwa, auch die Diskussion um Migration und Abschottung. Denn das Weitermachen hier wird immer mehr zum Fluchtgrund dort. Ronen Steinke hat vom Unterschied gesprochen »zwischen einer Räuberbande, die nur ihr eigenes, kurzfristiges Interesse zu maximieren versucht - und einem politischen Gemeinwesen, das den Anspruch an sich selbst hat, dass seine Regeln auch unabhängig von der persönlichen, momentanen Interessenlage fair sind«. Darum geht es: Nicht mehr Teil einer Räuberbande sein.