Klimanotizen 14

Waldbrände in Kanada, Brandsmog in New York, wochenlange Trockenheit wo man selbst wohnt - es ist ja nicht so, dass man nicht wüsste, welche Folgen die Klimakrise schon hat. Doch die Umkehr geht viel zu langsam voran oder wird blockiert, auf Kosten von Minderheiten und des globalen Südens.

#1 In den »Frankfurter Heften« kritisiert Johano Strasser das alte Fortschrittsdenken im Allgemeinen und die BIP-Wachstumsfixierung im Besonderen als »höchst fragwürdiges Heilsversprechen, das uns daran hindert, unser Wirtschaftssystem und unseren Lebensstil kritisch zu hinterfragen«. Das ist einerseits nicht neu, muss aber offenbar immer wieder betont werden; Strasser kommt andererseits aber auf den zentralen Punkt: das Versprechen der wirtschaftlichen und sozialen Kontinuität ist heute unhaltbar geworden. Indirekt ruft der Sozialdemokrat nach einer »Zeitenwende«, die »die fragwürdigen ökonomischen und anthropologischen Grundannahmen unseres Wirtschaftssystems und für unseren Konsum- und Lebensstil« überwindet. Nur wie? »Halbheiten« lehnt Strasser aus gutem Grund und den Zeitfaktor im Augenwinkel ab; an Degrowth-Ansätzen sieht er den Mangel, dass »glaubwürdige Vorschläge für ein gutes Leben nach der Ära des selbstzerstörerischen Wachstums« fehlten. »Welche halbwegs realistische Vorstellung von einem guten, womöglich gar einem besseren Leben können wir den Menschen anbieten, wenn die bisherige Wirtschafts- und Lebensweise nicht mehr haltbar ist?« Was er als Antworten kurz skizziert - konsequente Politik der Gleichheit, Revitalisierung der Nahbereiche, Dezentralisierung, Konvivialität im Sinne Ivan Illichs -, bleibt den Nachweis besserer Glaubwürdigkeit indes schuldig; jedenfalls in dem Sinne, dass dies Mehrheiten nicht nur für vorstellbar halten, sondern auch tun.

#2 Solange freilich nicht nur Friedrich Merz und seine CDU dafür mit wachsender Zustimmung rechnen dürfen, den Leuten weis zu machen, dass das »Klimaproblem« nicht mit »Verboten und Drangsalierung der Bevölkerung, sondern mit einer guten Rahmengesetzgebung und vor allem mit technischen Innovationen« zu lösen sei, und das dann mit Phrasen von den »damit einhergehenden Herausforderungen, insbesondere die wirtschaftlichen und sozialen« garniert wird, die man »mitdenken« müsse, bleibt nicht einmal alles beim Alten - sondern wird schlimmer. »Es ist eben gerade nicht so, dass morgen die Welt untergeht. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem guten Weg«, sagt ja nicht nur Merz. Die Wahrheit lässt sich als Volumenanteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre messen und dieser hat im Mai 2023 seinen bisherigen Höchststand erreicht: 424 ppm. Seit Mai 2022 wurde der »viertgrößte jährliche Anstieg der Spitze der Keeling-Kurve in den Aufzeichnungen der NOAA« gemessen; der Kohlendioxidgehalt ist heute um mehr als 50 Prozent höher als vor dem Beginn des Industriezeitalters.

#3 Waldbrände in Kanada, Brandsmog in New York, wochenlange Trockenheit wo man selbst wohnt - es ist ja nicht so, dass man nicht wüsste, welche Folgen die sich zuspitzende Klimakrise hat, immer mehr Menschen erleben es inzwischen auch im globalen Norden. Und trotzdem wird lagerübergreifend gegen Maßnahmen Front gemacht, die einen winzigen Eingriff in den »Konsum- und Lebensstil« darstellen gemessen an dem, was die Klimakrisenfolgen alles ändern werden. »Alle Verkehrsinfrastrukturen sind von klimainduzierten Störungen betroffen. Steigen die Temperaturen, gibt es mehr heiße und trockene Tage, können sich Straßen und Schienen verformen. Oder es kommt zu Böschungsbränden. Extreme Regenfälle können Hänge ins Rutschen bringen, die dann Straßen und Schienen blockieren«, sagt Lara Klippel, Koordinatorin eines Expertennetzwerks des Bundesverkehrsministeriums im Themenfeld Klimawandelfolgen und Anpassungen. Die Betroffenheit hiervon dürfte schon bald weitaus gravierender sein als jede der mehrheitlich verdammten Aktionen der »Klimakleber«. Sicher ist: »Wer versucht, sich an starke klimatische Veränderungen anzupassen, muss viel Geld ausgeben«, wie es gerade in einem Text über Frankreich hieß, wo Umweltminister Christophe Béchu keine Illusionen mehr verbreitet: Man müsse mit einer vier Grad höheren Temperatur rechnen. »Deutschland hat bislang keine genauen Angaben dazu gemacht, auf wie viele Erwärmungsgrade sich das Land vorbereiten will« - und vielleicht ist das auch ein Grund dafür, wie die hiesige Debatte läuft.

#4 Was bevorsteht? Es kommen immer neue Erkenntnisse dazu, zum Beispiel diese: Blitzdürren entstehen, wenn Böden trocken sind und Temperaturen schnell steigen; sie setzen Ökosysteme, Landwirtschaft und Anwohnerinnen noch stärker unter Druck. »Selbst wenn die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius gehalten werden kann, werden Blitzdürren laut der Studie bis zum Jahr 2100 um etwa sechs Prozent zunehmen. Unter einem Weiter So-Szenario können es über acht Prozent werden«, wird hier berichtet, Beispiele über ökonomische Kosten solcher Flash Droughts finden sich in diesem schon etwas älteren Bericht. Oder: »Krankheitserregende Bakterien können sich künftig in Deutschland durch den Klimawandel besser vermehren. Die steigenden Temperaturen begünstigen darüber hinaus die Ausbreitung von Virus-Überträgern wie Zecken und Mücken und den Anstieg von antimikrobiellen Resistenzen«, wie es im Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit unter Koordination des Robert Koch-Instituts heißt, wie hier ausführlich berichtet wird.

5# Um die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise geht es auch in dieser aktuellen Studie - und um die Ungleichheit dieser Folgen. Ergebnis: »Wir haben festgestellt, dass rassisch benachteiligte Gruppen, Migranten und indigene Gemeinschaften in verschiedenen Kontexten einer unverhältnismäßig hohen Krankheits- und Sterblichkeitslast aufgrund des Klimawandels ausgesetzt sind.« Außerdem veranschaulicht die Studie »die unverhältnismäßig hohe Krankheits- und Sterblichkeitslast, der der globale Süden aufgrund des Klimawandels ausgesetzt ist« und diskutiert »die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Diskriminierung und Gesundheit in den am stärksten betroffenen Gebieten«. Das gehört zu den »fragwürdigen ökonomischen und anthropologischen Grundannahmen unseres Wirtschaftssystems und für unseren Konsum- und Lebensstil«, die weiter verdrängt werden. Die Opfer werden von Friedrich Merz mit dem Satz vom »guten Weg« verhöhnt.

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