Klimanotizen 13

Die Emissionen der hierzulande neu zugelassenen Pkw steigen. Viele Staaten haben Probleme, ihre Emissionen zu erfassen und zu melden. Es werden immer noch 1.000 Milliarden US-Dollar in Fossile investiert. Ist das Glas wirklich schon halbvoll - oder glaubt die Welt zu sehr an »Wunder«?

#1 In Umweltpsychologie und Klimakommunikation spielt die Frage eine wichtige Rolle, ob man das schon Erreichte und damit den Pol der Hoffnung stärker herausstellen sollte - oder ob schonungslose Ehrlichkeit angesagt ist über den Stand der biophysikalischen Existenzkrise und das Zurückbleiben gesellschaftlicher Anstrengungen zu ihrer Eindämmung. Vielleicht ist so etwas wie dialektischer Realismus ein guter Mittelweg, der beides zusammenbringt und so Appelle der Dinglichkeit mit dem Optimismus der Möglichkeiten verbindet. Aber leicht fällt es nicht: Zwar werden laut Prognose des World Energy Investment Reports der Internationalen Energieagentur global gesehen die »Investitionen in saubere Energien« in diesem Jahr auf 1,7 Billionen US-Dollar steigen; werden Investitionen in Solarenergie zum ersten Mal jene in die Ölproduktion überholen; wird das größere Momentum der jährlichen Zuwachsraten bei den Investitionen in »sauberen Energien« liegen, (zu denen die IEA auch Atomstrom und emissionsarme Kraftstoffe) zählt - aber aber aber: Über eine Billion US-Dollar fließt 2023 weiterhin in Kohle, Gas und Öl; was einmal investiert ist, betoniert fossile Strukturen und sorgt auch künftig für Emissionen; und das Investitionswachstum bei den »Sauberen« würde sich in diesem Jahr auch merklich verlangsamen. Die IEA weist zudem darauf hin, dass die erneuerbaren Investitionen global sehr ungleich verteilt sind und »die ernste Gefahr besteht, dass es zu neuen Trennlinien in der globalen Energiewirtschaft kommt, wenn die Umstellung auf saubere Energien nicht auch anderswo an Fahrt gewinnt«. Außerdem: Bei den fossilen Investitionen sind wir derzeit noch in der Phase der »Erholung« nach der Covid-Delle, dies bedeutet laut Energieagentur, »dass diese bis 2023 auf mehr als das Doppelte des Niveaus ansteigen werden, das im Szenario ›Netto-Null-Emissionen bis 2050‹ der IEA für 2030 benötigt wird. Die weltweite Kohlenachfrage erreichte 2022 ein Allzeithoch, und die Kohleinvestitionen werden in diesem Jahr fast das Sechsfache des im Netto-Null-Szenario für 2030 vorgesehenen Niveaus erreichen.«

#2 Apropos »neue globale Trennlinien«. Die sind auch auf einem anderen Feld der Klimapolitik unübersehbar, wie Chisa Umemiya vom Institute for Global Environmental Strategies gerade ausführlich dargelegt hat: Die Hälfte der so genannten Entwicklungsländer habe Probleme, Treibhausgasemissionen zu melden wie im im Rahmen des Klimaabkommens von Paris vereinbart. Umemiya hat mit Molly White vom Greenhouse Gas Management Institute untersucht, wie sich die Erstellung regelmäßiger Treibhausgasinventare zwischen 1997 und 2019 in 133 Staaten entwickelt hat. »Insgesamt haben wir festgestellt, dass mehr als die Hälfte der Entwicklungsländer, darunter kleine Inselstaaten im Pazifik und in der Karibik sowie mehrere afrikanische Länder, Schwierigkeiten haben, ihre Emissionen zuverlässig zu melden.« Das ist für die erste »globale Bestandsaufnahme« auf der COP28 in Dubai Ende dieses Jahres von großer Bedeutung, da Emissionsinventare »letztlich ein wichtiger Bestandteil der Informationen« sind, »die in diese Bewertung der Fortschritte bei der Erreichung der globalen Klimaziele einfließen«. Oder eben: die Anzeigen, wie weit die klimapolitischen Maßnahmen und ihre Umsetzung hinter den immer noch wachsenden Herausforderungen zurückbleiben. Ab Ende 2024 greift der »erweiterte Transparenzrahmen«. Für die vorzulegenden Daten braucht es Kapazitäten - und die fehlen vielerorts. Zwar tragen eine Reihe jener Länder mit geringen Kapazitäten »nur geringfügig zu den Gesamtemissionen bei. Einige Länder mit relativ hohen Emissionen, wie Venezuela und die Philippinen, haben jedoch ebenfalls nur geringe Kapazitätsverbesserungen zu verzeichnen«. Umemiya und White formulieren vor diesem Hintergrund »zwei wichtig Bedenken«: Mangelnde Inventarkapazitäten und Qualitätslücken beeinflussen unweigerlich die Fähigkeit von Staaten, seine Klimaziele (NDCs) wirksam zu verfolgen. Und außerdem wird die alle fünf Jahre terminierte globale Bestandsaufnahme des Pariser Abkommens dadurch unscharf und verzerrt. Was wiederum politische Schlussfolgerungen erschwert, wenn man nicht einmal genau sagen kann, ob das Glas halb voll oder halb leer ist.

#3 Deutschland ist derweil dabei, in einem wesentlichen Sektor das Glas zu leeren, statt es zu füllen: Die 2023 bisher zugelassenen Pkw stoßen laut Kraftfahrtbundesamt deutlich mehr CO2 aus als 2022: Waren es im Schnitt des vergangenen Jahres 109,6 Gramm pro Kilometer, sind es in den ersten vier Monaten 2023 123,2 Gramm pro Kilometer gewesen. Als Hauptursache wird in Medien auf den Rückgang des Anteils von reinen Elektroautos und Plug-in-Hybriden seit Beginn des Jahres verwiesen; hier ging der Anteil der Neuzulassungen von rund 30 auf etwa 20 Prozent zurück. Ein Grund ist das Zurückfahren der staatlichen Förderungen, mit denen insgesamt die Subventionierung verringert und auf ein bestimmtes Gesamtbudget begrenzt werden. Zu den ersten, die ein Ende der staatlichen Förderung des Verkaufs von Elektroautos gefordert haben, gehörte die Linksfraktion im Bundestag, die darin eine »Umverteilung von unten nach oben« sah; ein Argument, das sich dann auch der FDP-Finanzminister auf seine Weise zu eigen machte: »Da können wir Milliarden sparen, die wir sinnvoller einsetzen können.« Inzwischen sind wir zwei Schritte weiter und es könnte einen Kürzungshaushalt geben, bei dem dann nur das »Sparen« bleibt. Derweil werden Autos verkauft, apropos Investitionen, die nun einige Jahre mit ihren erhöhten Emissionen auf der Straße bleiben.

#4 Zwischen Zielsetzung und Zielerreichung können jede Menge Schwierigkeiten liegen; und das immer mit der Potenz, sich zu echten Problemen auszuwachsen. Über eines davon hatten wir an dieser Stelle einige Anmerkungen gemacht, die Frage der verfügbaren Arbeitskräfte und ihre Einfluss auf die Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen. Das Prognos-Instituts hat sich jetzt »zentrale politische Ziele, die die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag konkret formuliert hat« angesehen und auf das Risiko hin überprüft, wie Arbeitskräftemangel »potenziell die Zielerreichung wichtiger politischer Vorhaben gefährdet«. Das gerade veröffentlichte Ergebnis ist für wichtige Vorhaben wie die Energiewende teils niederschmetternd, hier »halten wir die Personalsituation für derart knapp, dass eine kurzfristige Lösung der Situation wenig wahrscheinlich und damit die Zielerreichung nach heutigem Wissensstand gefährdet ist«. Auf welche Pointe die Schlussfolgerung von Prognos hinausläuft, »dass die Bundesregierung ihre Ziele aus dem Koalitionsvertrag neu bewerten sollte, denn es reicht nicht, Ziele zu definieren, sie müssen auch umsetzbar sein«, ist das eine. Das andere ist die Bedeutung der Arbeitskräftefrage, und hier wäre dem Institut unumwunden zuzustimmen: Es ist eine nicht sinnvolle Engführung, wenn die Diskussion vor allem darüber stattfinden, wie viel Klimamaßnahmen »wir uns leisten« wollen. Auch in einer Welt ohne Schuldenbremse, mit Superreichensteuer und anderen umverteilungspolitischen Wünschen wäre der Arbeitskräftemangel immer noch ein Hemmfaktor. Das auch mit Blick auf die Frage, wie angekündigte Klimamaßnahmen in der Bevölkerung bewertet werden. Denn hier gibt es ein ganz gutes Bauchgefühl darüber, »was funktioniert« und was nicht.

#5 Abschließend noch ein Hinweis aus der Abteilung »schonungslose Ehrlichkeit«: Im Zuge einer Diskussion über absichtlich oder versehentlich falsch verstandene Aussagen und ein Forschungspapier von 2022 hat sich James E. Hansen zu Wort gemeldet, einer der »alten Hasen« der Klimawissenschaften. Um Fragen der Gleichgewichtserwärmung, der Aerosole usw., die in dem Disput eine Rolle spielen, soll es hier nicht gehen, sondern um die »schonungslose Ehrlichkeit«. Mit Blick auf die Forschungsarbeit von 2022, in der Hansen und andere zu dem Schluss gekommen waren, »dass die Fortsetzung der Treibhausgasemissionen auf dem derzeitigen Weg zu einem Stillstand der Umwälzzirkulationen (Nordatlantik und Südpolarmeer) in diesem Jahrhundert und einem Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter auf einer Zeitskala von 50 bis 150 Jahren führen wird«, schreibt er: »Bislang hat sich wenig geändert, um uns von diesem Weg abzubringen.« Zwischen der realen Welt und »dem RCP2.6-Szenario, das im AR5-Bericht des IPCC als Szenario zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf etwa 2 Grad verwendet wird«, habe sich »eine enorme Lücke aufgetan«. Hier werde mit »Wundern« operiert, so Hansen, etwa die optimistischen Annahme über negative Emissionen durch Kraftwerke, die Biokraftstoffe verbrennen und das CO2 abfangen, oder die teils völlig in der Luft hängenden nationalen Pläne über »Netto-Null-Emissionen« (siehe auch diese Klimanotizen). Laut Hansen »funktioniert der derzeitige politische Ansatz nicht und wird wahrscheinlich auch nicht funktionieren«. Und er nennt Behauptungen »ungeheuerlich«, laut denen die aktuelle wissenschaftliche Literatur darauf hinweise, dass die globale Erwärmung letztendlich »deutlich unter 2 Grad« gehalten werden könne. Dies »stellt eine unkritische Akzeptanz der Modelle und der Annahmen dar, die ihnen zugrunde liegen«.

Subscribe to linksdings

Don’t miss out on the latest issues. Sign up now to get access to the library of members-only issues.
jamie@example.com
Subscribe