Klimanotizen 10
Winterdürre und Hitzeflation: Die Klimakrise bringt neue Begriffe hervor und wird – neue Negativrekorde – immer mehr zum Experiment auf gewaltiger Skala. Geht das gut? Eher nicht. Ein »planetarischer Journalismus« und ein psychologischer Blick auf aufgehetzte Wutbürger könnten helfen.
# 1 Das Ausmaß der Trockenheit in mehreren Ländern Europas in den vergangenen Monaten wird unter anderem dadurch illustriert, dass etwa in Frankreich die Menschen »sogar ein neues Wort dafür fanden: Die Winterdürre«, wie in den »Blättern« Annika Joeres berichtet. In einer Illustrierten hieß es zu der erheblichen Wasserknappheit in Teilen Italiens, Spaniens und Frankreichs, ein Klimaexperte gebe »Entwarnung«. Worin diese bestand? In dem Hinweis, die Trockenheit dauere schon viel länger, Winterdürre sei daher ein Modewort. Hm. Der Begriff »Mode« passt sogar ganz gut, denn er stammt von lateinisch modus ab, was »Gemessenes« bezeichnet. Und nicht nur die Trockenheit kann man messen, sondern auch ihre Folgen. Das hat zum Beispiel die Koordination der Bauern- und Viehzüchterorganisationen Spaniens vor ein paar Tagen gemacht: die anhaltende Dürre habe bereits 60 Prozent der spanischen Agrarproduktion »erstickt«, es wird mit irreversiblen Verlusten auf mehr als 3,5 Millionen Hektar Anbaufläche für Weizen und Gersten gerechnet. Deutlich betroffen sind auch die Aussichten für Nüsse und Oliven, die Schafhaltung… für Imker droht bereits die dritte Saison ohne Ernte. Aufgrund eingeschränkter Verfügbarkeit von Wasser wird mit einer Reduktion der Anbauflächen von Sommeraussaaten wie Mais, Sonnenblumen, Reis und Baumwolle gerechnet. Dass solche, zunehmende Folgen der Erderhitzung nicht nur die unmittelbaren Produzenten betreffen, ist klar. Weshalb wir uns mit einer nächsten Neuschöpfung - nun ja - anfreunden müssen: der »Hitzeflation«. So nennt Lara Williams bei Bloomberg anhand des Beispiels Spanien die Folgen der Dürre für Lebensmittelpreise in der ganzen EU.
# 2 Wie lange die Dürre in Teilen Europas schon anhält, das ist das eine. Das andere ist: Vermutlich geht das Desaster weiter. »Mittelfristig werden sich die Bedingungen wahrscheinlich noch verschlechtern. Wissenschaftler sagen die Ankunft von El Niño voraus, einem natürlich auftretenden meteorologischen Ereignis, das zu einem Anstieg der globalen Temperaturen führt.« Dass die global gemittelte Oberflächentemperatur der Ozeane mit 21,1 Grad Celsius noch nie so hoch lag wie im April 2023 tritt als Fakt hinzu; und wenn man in Zeitungen liest, dass Klimaforscherinnen und andere Experten »erstaunt« sind, sollte man sich wirklich Sorgen machen: Wir treten mehr und mehr in Bereiche, in denen das bisherige Wissen nicht mehr ausreicht, um noch belastbare Zukunftsaussagen zu treffen. In der SZ spricht Christoph von Eichhorn mit Blick auf den Rekordwert der Oberflächentemperatur der Ozeane von einem »Experiment auf gewaltiger Skala«, man solle »sich lieber nicht darauf verlassen, dass es glimpflich ausgeht«. 89 Prozent der Erderhitzung durch Klimawandel nehmen die Meere auf, dies verstärkt die Biodiversitätskrise, führt zu heftigeren Unwettern, marine Hitzewellen können auch jene an Land verstärken.
# 3 Apropos Hitzewellen. »Die Klimakatastrophe hat längst begonnen«, heißt es bei der »Letzten Generation«, die wieder ein paar Tage lang durch Protestaktionen in Berlin Aufmerksamkeit erzeugte und nicht nur diese. Dazu gleich noch einmal, zuerst aber sagt Raphael Thelen, der als Sprecher der Aktivistinnen firmiert, dass Hitze und langanhaltende Dürren »dieses Jahr zu Ernteausfällen in Spanien und damit zu steigenden Lebensmittelpreisen bei uns« führen würden. Siehe oben. Man solle deshalb mit der »Letzten Generation« »auf die Straßen Berlins« strömen und »für einen Gesellschaftsrat Klima« werben. In der FAZ hat Christine Landfried die Forderung ernst genommen und unter anderem am Beispiel Irlands erläutert, wie »repräsentative, direkte und beratende Demokratie miteinander kombiniert« werden können. Das kann man auch als Antwort auf schnappatmige Vorwürfe in Richtung Klimabewegung lesen, deren Forderung nach einem »Gesellschaftsrat« als Gefährdung der Demokratie zurückgewiesen oder als »schlichte Idee« distanziert beäugt wurde. »Wie kann es gelingen, dass die neuen Beteiligungsformate tatsächlich dazu beitragen, die repräsentative Demokratie und die politische Öffentlichkeit zu stärken?«, fragt stattdessen Landfried und hofft, dass unterschiedliche Verfahren der Bürgerbeteiligung nicht »gegeneinander ausgespielt werden«. Und man erinnert sich: Es gab doch auch hierzulande schon 2021 ein Experiment mit einem »Bürgerrat Klima«, in dem 160 zufällig ausgewählte Menschen diskutiert und Empfehlungen formuliert haben, was ihrer Meinung nach bei der Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens beachtet werden sollte. Nun plant auch der Bundestag die Einsetzung eines Bürgerrates - Thema noch offen.
# 4 Weil gerade Raphael Thelen als Sprecher der »Letzten Generation« zitiert wurde, passt es gut, hier einmal auf die Frage journalistischer Neutralität oder Objektivität zu sprechen zu kommen. Das ist eine alte Diskussion, mit der biophysikalischen Existenzkrise hat sie neue Umdrehungen gemacht, und Thelen hat mit dafür gesorgt, denn er hat »die Seiten gewechselt« - vom Journalist zum Aktivist. Er sei an die Grenzen seiner Möglichkeiten gestoßen, zwischen Ausmaß des planetaren Problems und Wahrnehmung entsprechender Informationen sei die Lücke im größer geworden. Auch habe sich Thelen immer wieder anhören müssen, er sei aktivistisch und nicht objektiv. Harald Staun hat in der FAS den Faden dankenswerter Weise noch einmal aufgenommen. »Veränderungsresistente Medien und notorische Freiheitsjournalisten« würden zwar gern »Hanns Joachim Friedrichs’ legendär missverstandenes Gebot, sich nicht gemein zu machen mit einer Sache« zitieren, aber wohin führe »ein derart simples Verständnis von Objektivität«? In »eine ideologische Haltungslosigkeit«, die unter dem Strich »Aktivismus für den Status Quo« ist. Die Frage ist ja ohnehin eher, warum sich »Journalismus« nennen darf, was man beispielsweise in »Bild« lesen muss: einen Feldzug gegen die »Letzte Generation«, in dem Autofahrer auf die Aktivistinnen gehetzt werden. Nun muss man publizistische Einheiten wie die »Bild« ja nicht zu den Medien zählen, sondern kann es wie der Spiegel 2011 als ein Blatt beschreiben, das »immer wieder die Rolle einer rechtspopulistischen Partei« übernimmt. Allerdings gab es eine solche, leider erfolgreiche damals noch nicht. Das hat sich inzwischen geändert, nicht aber das Auftreten von »Bild«. Dass selbst bei dieser Zeitung noch die Möglichkeit des Nach-rechts-Abbröckelns besteht, siehe frühere Leitungskader und ihre neuen Projekte, macht die Sache nicht besser.
# 5 Staun zitiert übrigens den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der sich einen »planetarischen Journalismus« vorstellen kann, welcher »Nachhaltigkeit als Nachrichtenfaktor begreift«. So etwas gibt es natürlich schon, auch wenn es derzeit schwerfällt, in all dem Geschrei - »Heiz-Diktat«, »Klima-Chaoten«, »Habeck-Rücktritt« - noch das auch wachsende Gute zu bemerken. Staun argumentiert eher mit Blick auf »die Großen«, was sinnvoll ist, weil das, was in den nächsten 20 Jahren erreicht und also schon in den nächsten 5 bis 10 Jahren beschlossen werden muss, breite Mehrheiten braucht, die bis dahin wahrscheinlich nicht alle »Klimareporter« oder ähnliches lesen. Staun formuliert ein paar Fragen, über die mit größerer Reichweite diskutiert werden solle: »Ob es überhaupt noch sinnvoll ist, das 1,5-Grad-Ziel erreichen zu wollen, oder ob man eher über Möglichkeiten der Anpassung nachdenken sollte? Ob man soziale Gerechtigkeit und Weltrettung gegeneinander ausspielen muss? Ob man auf Degrowth setzen sollte oder auf Green New Deals, auf Biolandwirtschaft oder industrielle Proteinproduktion? Und, statt auf Psychologie, vielleicht doch eher auf Politik?« Zu letzterem ein kurzer Antwortvorschlag: auf beides. Das könnte helfen zu begreifen, »warum gerade die Klimaaktivisten diese Aggressionen auf sich ziehen«. Seine Antwort hat Peter Körte als Fragen aufgeschrieben: »Ist es den Wutbürgern unerträglich, ständig daran erinnert zu werden, dass nicht nur die Politik, sondern letztlich wir alle hinter dem zurückbleiben, was getan werden müsste, um den Klimawandel aufzuhalten, der am Ende jeden betrifft? Projizieren sie die Wut über die eigene Ohnmacht auf die Aktivisten?« Nachzulesen in der FAS, die ihre Ausgabe mit »Rücksichtslose Klimaaktivisten« aufmacht.