»Erschreckend angemessene Weise«
Was war dieser Koalitionsausschuss? Ein Abbruchunternehmen für den Klimaschutz, ein Fiasko für die Grünen, ein Sieg der Verdränger. Die Vereinbarung weckt Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit. Aber sie drückt auch aus, wo diese Gesellschaft und wer wo in ihr steht. Ein Blick in die Zeitungen.
So ein Koalitionsausschuss muss sich Aufmerksamkeit nicht suchen. Für die unterschiedlichen Raster medialer Widerspieglung bot die Marathonsitzung jede Menge und so liest sich das dann auch bisweilen - sogar Lindners Zahnarztfrage wurde, Achtung schlechter Wortwitz: behandelt.
Das 16-seitige Ergebnispapier sorgte für Entsetzen im ökologischen Lager. Die Reaktionen der an den Verhandlungen Beteiligten dienten mehr oder weniger der jeweiligen Imagepflege.
Robert Habeck beschied der FDP in Verlängerung grüner Kritik, »dass die dort verabredeten Maßnahmen in keinem Fall dazu führen, dass Deutschland seine Klimaziele im Verkehrsbereich einhalten kann«. Christian Lindner und Volker Wissing variierten eine parteiinterne Sprachregelung, laut der nicht FDP-Minister die Klimaziele verfehle, »sondern die Gesellschaft insgesamt« bzw. »es sind die Bürgerinnen und Bürger, die die Klimaziele nicht erreichen«.
Von dieser Sichtweise wird man noch öfter hören, es steckt da ja mehr drin als eine kritikwürdige Haltung der FDP was das Verhältnis von staatlicher Rahmensetzung und individuellem Klimaverhalten angeht, oder so gesagt: um öffentliche Ermöglichung. Und es ist nicht nur peinliche Schuldabwälzung, auch wenn sie das natürlich zuerst ist.
Was da aber auch mitschwingt, sagt Olaf Scholz in seiner Rekapitulation des Koalitionsausschusses, »der mühselige Arbeits- und Verhandlungsprozess«, so der SPD-Kanzler, »ist ja stellvertretend für die ganze Gesellschaft«. Ähnlich haben sich die Grünen geäußert, allerdings mit weit deutlicherer Betonung der Frage, wer in diesen Konflikten stellvertretend Interessen der Gesellschaft verfolgt.
Von denen mag es viele geben, dass die Einhaltung von Klimazielen und die durchgreifende Veränderung unserer Art zu leben, zu produzieren, zu arbeiten an oberster Stelle dazugehört, wird man nicht bezweifeln wollen. Jedenfalls nicht jenseits von FDP, SPD und anderen Parteien.
Dass die Grünen bei der politischen Vertretung dieser Interessen nicht gut dastehen würden, hat die Reflexionen über den Koalitionsausschuss mit am stärksten dominiert. Das Ergebnis sei »eine enorme Schlappe« für die Partei heißt es da, und dort wird kommentiert, Habeck sei als »Bettvorleger« gelandet, was mit dem vielsagenden Zusatz ergänzt wird: »jedenfalls in den Augen derer, für die die reine grüne Lehre nach wie vor erste Richtschnur allen politischen Handelns ist«.
Wer von der reinen grünen Lehre spricht, meint das nicht positiv, sondern will sagen, dass man mit der Physik des Planeten ja doch diskutieren kann - oder er weiß, dass das nicht so ist, dann wird die »reine grüne Lehre« eine zwar gegen andere gerichtete Parole der eigenen Verdrängung: Man wirft denen, die es zumindest versuchen, wenn auch mitunter mit falschen Mitteln, vor, das eigentliche Problem zu sein. Wenn es nicht »die Moral« ist, oder »die Umerziehung«, dann ist es wie hier »die Ideologie«.
Anderswo interessiert man sich eher für die mehr taktische Frage: »Wie will die Partei weitermachen?« (Oder in dieser Magazin-Titelstory.) Da kommen dann alle zu Wort, die, die das Ergebnis des Koalitionsausschusses verteidigen müssen, und jene, die mit ihrer internen Kritik an den Verhandlungen zugleich zu einem von den Grünen erwünschtem Bild in der öffentlichen Arena beitragen.
»Die Grünen werden alles dransetzen müssen, dass die Defizite der Regierung beim Klimaschutz nicht mit ihnen verbunden werden«, heißt es in einer Betrachtung. Das werde auch deshalb nicht einfach, weil »SPD und FDP im jetzt anstehenden Kampf um die Interpretation alles versuchen werden, um sich als zwingend nötige Kontrolleure einer ansonsten ausufernden Klimaschutzpolitik zu präsentieren«. (Was sonst als ausufernde Politik wäre angemessen, schaut man sich den Rückstand auf die Notwendigkeit an?)
Was noch einmal zurückführt zu der Frage, was eigentlich »stellvertretend für die ganze Gesellschaft« in einem solchen »mühseligen Arbeits- und Verhandlungsprozess« eigentlich herauskommen sollte? Die Annahme, es sei irgendwie »pragmatisch« oder »realistisch«, nicht zu einer radikalen Klimapolitik zu drängen, ist so unvernünftig wie es richtig ist, dass die gesellschaftlichen Konflikte bisher umso größer werden, je stärker der Regler »Klimapolitik« in die Richtung der Interessen der Gesellschaft gedreht wird.
Denn egal welche das sind, ohne eine innerhalb von zwei Jahrzehnten wirklich umgesetzte Kehrtwende, ohne eine klimapolitische Revolution, wird der Raum für die künftige Wahrnehmung von Interessen immer kleiner. Hier bietet sich an, die Vereinbarung des Koalitionsausschusses im Lichte des Karlsruher Klimaurteils von 2021 zu messen, das vom heute nötigen Schutz künftiger - hallo FDP! - Freiheitsressourcen handelt. Welche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorhaben aufkommen, die erst noch Gesetzesform annehmen müssen, kann man unter anderem hier nachlesen. (Oder hier.)
Fragen der Interessen der Gesellschaft berühren auch Beobachtungen, laut denen der Koalitionsausschuss ein weiterer Beleg dafür sei, dass Klimaschutz hierzulande »zu einem polarisierenden Ziel mit starker Korrelation zum Links-Rechts-Schema« werde. Da steckt eine interessante Frage drin, nämlich was »links« in Zeiten des ökologischen Paradigmas heißen kann.
Wenn »die Politik von SPD, Grünen und FDP«, wie hier berechtigt angemerkt wird, »nicht nur die Erderhitzung voran, sondern auch die soziale Spaltung der Gesellschaft« vorantreibt, wäre eine linke Funktion, die Frage der Gleichheit ins Zentrum zu stellen, allerdings nicht bloß national gedacht, sondern planetar. Dies kann glaubhaft wiederum nur als Kraft innerhalb des ökologischen Lagers gelingen, mit Parolen wie »Heizdiktat« sicher nicht.
Wenn man dem Koalitionsausschuss etwas Positives abgewinnen will dann, dass er einen wichtigen Beitrag zur Ent-Täuschung leistet. Also jene Täuschungen zu zerstören hilft, die man auch in sich selbst mit herumträgt. Was den Zeitfaktor angeht. Was die bevorstehenden Konflikte angeht. Was die Schwierigkeiten von praktischer Transformation angeht.
Die Bundesregierung habe in ihrem Koalitionsausschuss ein »Spiegelbild verbreiteter Unsicherheiten und Orientierungsschwierigkeiten in der Vielfachkrise« gegeben. Sie repräsentiere »auf erschreckend angemessene Weise die Gesellschaft, deren notwendiger Umbau an einer Mischung aus Angst vor Veränderung, mächtigen Interessen und fehlendem Reformwillen scheitert«, heißt es in dieser Analyse. Die Mehrheit im Land habe »leider die Regierung, die zu ihr passt«, sie repräsentiere »die vorherrschenden Kräfte der Gesellschaft, nur diejenigen, die auf den notwendig radikalen Umbau drängen, repräsentiert sie nicht.«
Aber wer könnte dies tun? Und was hieße das zum Beispiel für das praktische Verhältnis zu den Grünen? Für die kleine parteipolitische Münze und für die gesellschaftspolitische Großfrage: Wich side are you on?
Aus der Umweltfrage ist »eine Umsetzungsfrage« geworden, die Klimaziele seien mit dem Koalitionsausschuss »in der Gegenwart angekommen«, das ist nicht der einzige gute Satz in dieser lesenswerten Beobachtung. Dass »das ökologische Lager so vollumfänglich in die Defensive geraten ist, beeindruckt vielleicht Politiker, nicht aber das Klima«. Es gehe nun »um den Alltag der Mehrheit, um die handfesten Symbole des Wohlstands, um Heim und Auto« und »kein Mensch« wisse, »wie der neue Zeitdruck in die Demokratie integriert werden kann«. Immerhin sind einige der Aufgabenstellungen klar. Aber das waren sie auch schon vor dem Koalitionsausschuss. (tos)