Die Bereitschaft der anderen

Eine Studie mit Daten aus 125 Ländern zeigt: Die Unterstützung für Maßnahmen des Klimaschutzes ist weltweit hoch. Zugleich belegen die Zahlen erneut: Viele unterschätzen die Bereitschaft anderer, etwas für Klimaschutz zu tun. Woher aber kommt die »Pluralistische Ignoranz«?

Als »Positive Klimanews« zeichnet der RND seine Meldung über die viel beachtete Studie von Peter Andre und anderen aus, die seit einigen Tagen die Runde macht: Bei der Umfrage, an der knapp 130.000 Menschen in 125 Ländern teilgenommen hatten, gaben 69 Prozent der Befragten an, dass sie sich vorstellen können, ein Prozent ihres monatlichen Einkommens für den Kampf gegen die Klimakrise zu berappen. 86 Prozent befürworten klimafreundliche soziale Normen und gaben an, dass ihre Mitmenschen versuchen sollten, etwas gegen die globale Erhitzung zu tun. In 119 der 125 Staaten sprechen sich mehr als zwei Drittel der Befragten dafür aus. 89 Prozent fordern ein stärkeres Handeln ihrer Regierung gegen den Klimawandel. Die Stichprobe umfasst über 90 Prozent der Weltbevölkerung und ist repräsentativ für Länder, die zusammen 96 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen ausstoßen.

Zu der im Fachjournal »Nature Climate Change« publizierten Untersuchung sind allerlei begleitende Gedanken angestellt worden. Etwa über die Gründe für die teils deutlichen Unterschieden bei den Ergebnissen aus den jeweiligen Ländern; diese könnten auf »kulturellen Unterschieden in der Einstellung beruhen. Sie könnten jedoch auch von der stärkeren Neigung herrühren, in Befragungen zustimmend zu antworten«, wird Christine Merk vom Institut für Weltwirtschaft hier zitiert

Für das Science Media Center sind Expertinnen um ihre Einschätzungen angefragt worden; dabei geht es auch um Fragen der Methodik. Zwar wird die Frage zur Bereitschaft, ein Prozent vom eigenen Einkommen zur Bekämpfung der Klimakrise aufzuwenden, als »ziemlich robust gegenüber ökonomischen Unterschieden« bezeichnet; weise aber dennoch starke Limitationen auf. Diese nennt der Biodiversitätsökonom Julian Sagebiel allerdings »nicht weiter schlimm, wenn die Ergebnisse nicht als monetärer Wert, sondern eher als Indikator für eine Einstellung oder Meinung gewertet werden: ›Ich bin bereit, etwas zu opfern, damit der Klimawandel bekämpft wird.‹« 

Der fiktive monetäre Wert kann also nicht in die Praxis übertragen werden, die Fragestellung »Would you be willing to contribute 1% of your household income every month to fight global warming?« lässt auch offen, was mit dem »Beitrag« gemeint sein könnte - eine klimapolitische Abgabe, freiwillige Spenden, höhere Preise? Zudem müsse »besonders bei so einfach gestellten Fragen« davon ausgegangen werden, »dass die Bereitschaft, einen Beitrag zu leisten sowie dessen Höhe überschätzt werden«. Abgesehen davon könnte man hier die Frage anschließen, ob die Abfrage eines individuellen Geldbetrages gegen die Klimakrise nicht auch dazu beiträgt, die Bekämpfung der Klimakrise zu individualisieren, und so von der Notwendigkeit öffentlicher Politiken der Ermöglichung von Veränderung durch strukturelle Maßnahmen und Verfügbarmachung alternativer Infrastruktur ablenkt.

Zurück zur Studie: »Trotz dieser ermutigenden Statistiken dokumentieren wir, dass sich die Welt in einem Zustand pluralistischer Ignoranz befindet, in dem Menschen auf der ganzen Welt die Handlungsbereitschaft ihrer Mitbürger systematisch unterschätzen. Diese Wahrnehmungslücke stellt in Verbindung mit dem bedingt kooperativen Verhalten einzelner Personen Herausforderungen für weitere Klimaschutzmaßnahmen dar«, so die Autorinnen der Studie. Obgleich insgesamt 69 Prozent der Befragten ihre eigene Bereitschaft angeben, ein Prozent für Klimaschutz beizutragen, glaubten insgesamt nur 43 Prozent das auch von ihren  Mitbürgern. »Dieser Pessimismus hinsichtlich der Unterstützung anderer für den Klimaschutz könne Menschen davon abhalten, sich am Klimaschutz zu beteiligen, und somit die negativen Überzeugungen anderer bestätigen«, heißt es dazu beispielsweise in dieser Meldung.

Die Studie kann zwar auf breiter Datenbasis bestätigen, was seit längerem als »pluralistische Ignoranz« auch auf dem Feld des Klimabewusstseins bekannt ist: eine systematische Falschwahrnehmung der Überzeugungen anderer, hier ein »weltweit vorherrschende Pessimismus hinsichtlich der Handlungsbereitschaft anderer«, wie es in der Studie von Andre und anderen heißt. Das Phänomen spielt in der öffentlichen Debatte immer wieder eine Rolle, auch wir haben das schon aufgegriffen - meist verbunden mit der Sorge, dass es auf die Veränderungsbereitschaft negativ wirkt, wenn sich die Gesellschaft »ihrer Bereitschaft, etwas fürs Klima zu tun, selbst nicht bewusst« ist, wie es hier zu neuen Zahlen zum Verhältnis von Klimabewusstsein und der Bewertung bestimmter klimapolitisch wirkendender Maßnahmen heißt. 

Über die Gründe der Wahrnehmungslücke kann die neue Studie von Andre und anderen nichts sagen. Diese seien »wahrscheinlich vielfältig und umfassen Faktoren wie Medien und öffentliche Debatten, die klimaskeptische Minderheitenmeinungen überproportional betonen, sowie den Einfluss der Kampagnenbemühungen von Interessengruppen. Darüber hinaus führen Einzelpersonen in Übergangsphasen möglicherweise fälschlicherweise die unzureichenden Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels auf einen anhaltenden Mangel an individueller Unterstützung für klimafreundliche Maßnahmen zurück.« Deshalb wird »eine konzertierte politische und kommunikative Anstrengung« vorgeschlagen, »um diese Fehleinschätzungen zu korrigieren«. 

Was könnte das bringen? Laut der Studie kann ein Anstieg des wahrgenommenen Anteils anderer, die bereit sind, 1 Prozent ihres Einkommens zum Klimaschutz beizutragen, die Bereitschaft dasselbe zu tun, um 0,46 Prozentpunkte steigern. Insgesamt, so die Autorinnen, könne man also mit »quantitativ großen, positiven Effekte« rechnen. »Anstatt die Bedenken einer lautstarken Minderheit zu wiederholen, die jede Form von Klimaschutz ablehnt, müssen wir effektiv kommunizieren, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen auf der ganzen Welt bereit ist, gegen den Klimawandel vorzugehen, und von ihrer nationalen Regierung erwartet, dass sie handelt.«

Für die Bundesrepublik liegen Daten zur Unterschätzung der Bereitschaft anderer zum Klimaschutz vom Planetary Health Action Survey vor. Ende 2023 sagten dort 43 Prozent, sie würden im Allgemeinen klimapolitische Maßnahmen stark unterstützen - dies wird aber nur von 30 Prozent der anderen geglaubt. Mirjam Jenny vom Institute for Planetary Health Behaviour an der Uni Erfurt unterstreicht, wie zentral die Wahrnehmungslücke ist, es brauche aber »mehr Studien, um den Kausalzusammenhang zu überprüfen«. Sie verweist auf eine Studie aus 2022, die auf eine Negativspirale im Klimadiskurs hinweist, »die man gegebenenfalls mit Kommunikation brechen kann. Eine weitere findet hingegen wenig Evidenz dafür, dass ›social consensus messaging‹ wirksam ist«. 

Insgesamt sei es so: »Je mehr man die eigene Lebensrealität drastisch verändern müsste und je mehr man erlebt, dass die Ökonomie eines Landes die Klimakrise kompensieren kann, desto weniger sind Menschen bereit, Verantwortung als Individuen zu übernehmen«, so Jenny. »Es ist also womöglich gerade in den Ländern mit hohen Einkommen wichtig, Motivation nicht aus der Angst, sondern aus positiven Zukunftsvisionen zu generieren. Wahrscheinlich braucht es mehr positive Zukunftsvisionen, damit die Leute nicht immer nur einen Verlust der Lebensqualität sehen – den Verzicht –, sondern den Gewinn an Lebensqualität, beispielsweise durch sauberere Luft, wie auch, dass die Alternativen gar nicht so weh tun wie erwartet.« 

Dass das Unterstützung durch eine Verringerung der Wahrnehmungslücke finden würde, hatten wir unlängst hier schon angesprochen - in einem Hinweis auf eine Studie zur Gemütslage der Menschen in Sachen Klimaschutz für More in Common aus 2021. Eine Kernerkenntnis sei, viele Menschen »fühlen sich in ihrem Tun häufig vereinzelt und stoßen an die Grenzen ihres individuellen Spielraums, der eben nicht die kollektive Anstrengung ersetzen kann. Es entsteht ein selbstverstärkendes Kooperationsdilemma: Weil man sich inmitten einer gefühlt noch zu untätigen Gesellschaft hilflos fühlt, leidet der eigene Antrieb; dieses Signal wiederum befördert das gegenseitige Zögern.«

Zwar habe sich in vertiefenden Gesprächen mit Focusgruppen gezeigt, dass Befragte »insbesondere in den letzten Jahren mehr Schwung in die Anstrengungen der Einzelnen auch im eigenen Umfeld gekommen« sehen; allerdings fehle »in der Regel dennoch das Gefühl des kollektiven ›Durchbruchs‹. Wie wirkmächtig dieser Umstand ist, zeigt die Tatsache, dass fast niemand in Deutschland meint, beim Klimaschutz persönlich ›weniger‹ als die meisten anderen zu tun (9 Prozent). Im Gegenteil: Im Zweifel tut man gefühlt mindestens genauso viel oder sogar mehr als die anderen, und das über alle Typen hinweg. Es fällt auf, dass insbesondere die progressiven und im Selbstverständnis häufig ökologischen Offenen dieses Vorreiter-Bild pflegen: Von ihnen glauben 34 Prozent, mehr als ihre Mitmenschen zu tun. Hierin liegt immer auch die Gefahr des Schulterklopfens bei sich selbst, und der vorschnellen Abwertung anderer. Die Zahlen zeigen zudem: Individualisierende Aufrufe zum Klimaschutz, die primär auf die Initiative der Einzelnen setzen, zielen an der Wahrnehmung der allermeisten Menschen vorbei, selbst bereits einen verhältnismäßigen Beitrag zu leisten.«

Besonders die »gesellschaftlich unzufriedene und misstrauische Segmente« schrecken »erkennbar davor zurück, auf eigene Faust ›in Vorleistung‹ zu gehen. Aber auch zufriedenere Typen, wie die gesetzt-konservativen Etablierten, scheuen den gefühlten Alleingang und verweisen stattdessen rechtfertigend auf das bereits Geleistete«; so in der Studie von More in common. »Zögern beim weiteren persönlichen Handeln in Sachen Klima beruht also in den meisten Fällen nicht auf einer Ablehnung von Klimaschutz oder einer aggressiven Verantwortungsabwehr. Vielmehr dominiert das (unterschwellige) Bedürfnis nach einem kollektiven Impuls, den man nicht allein leisten kann.« (tos)

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