Was nicht bis morgen warten kann. Ja was?

Ein Umlenken in der Klimapolitik sei höchst dringlich, da die CO2-Reduzierung stagniere, sagt eine Linke. Ein anderer Linker sagt, die Ampel habe »fahrlässig Zeit verschenkt«, die Vollauslastung einer Öl-Raffinerie zu garantieren. Über Schwierigkeiten, parteipolitische Kompetenzen zu erkennen.

Der FDP-Verkehrsminister »verstößt gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes«, wird unter Berufung auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags gemeldet. Von links ist dazu nicht allzu viel zu hören. Ein Bundestagsabgeordneter der Linkspartei fordert »eine 180-Grad-Wende hin zu einer Politik für den Klimaschutz und die Verkehrswende«, andernfalls müsse Volker Wissing »seinen Stuhl freimachen«. Und eine der Vorsitzenden erklärt mit Blick auf neue Daten, »die Reduzierung der CO2-Emissionen stagniert und die Ampel legt die Axt an den Klimaschutz«. Im Modus als kraftvoll angesehener Sprachbilder geht es weiter: »Dabei schreien die Emissionszahlen regelrecht nach einem Räumungsmoratorium und Umlenken in der Klimapolitik der Ampel.« So ist dann auch der Bogen zum von Abbaggerung bedrohten Ort Lützerath geschlagen, für den sich Klimaaktivistinnen einsetzen. Die Linkspartei solidarisiere sich mit den Protesten gegen die Räumung. »Klimaschutz kann nicht bis morgen warten«, heißt es bei der Partei.

Die öffentlichen Adressen in Richtung Bewegung sind das eine, dass im Bundestag zugleich von links Sondersitzungen des Ausschusses für Energie und Klimaschutz verlangt werden, um eine »stabile Versorgung von Ostdeutschland mit Erdöl« zu erreichen, etwas doch ziemlich anderes. »Die Bundesregierung hat fahrlässig Zeit verschenkt und das zu Lasten des größten Raffineriestandortes in Ostdeutschland. Von den Themen Arbeitsplatzsicherheit, Versorgungssicherheit und Preisstabilität ganz zu schweigen.« Oder vom Thema Klimaschutz, um den es zumindest in Sachen Öl offenbar nicht so sehr geht; während dieser insgesamt und bei der Braunkohle unter nordrhein-westfälischem Sand nicht warten können soll. Wer das für widersprüchlich hält, wird womöglich den Hinweis zu hören bekommen, dass sich die Linken im Bundestag sehr wohl auch für sozialökologische Transformation der fossilistischen Industrieinseln im Osten einsetzen. Nur wird das nicht genauso laut ausgesprochen wie jene Doomszenarien, die »eine beispiellose Unterversorgung mit ölbasierten Kraftstoffen« behaupten, »die in ihrer Folge zu einer erneuten Deindustrialisierungswelle in Ostdeutschland« führen würden.

Einmal unterstellt, bei solchen Formulierungen gehe es nicht um die populistische Trommel, sondern tatsächlich um klimagerechte Übergänge für Regionen und ihre Bewohnerinnen, ließe sich dennoch fragen, warum Letzteres nicht vorrangig betont, sondern der Eindruck erweckt wird, einem Teil der Linken im Bundestag gehe es vor allem um die »Vollauslastung der PCK Raffinerie«, die zu garantieren die Bundesregierung »fahrlässig Zeit verschenkt« habe. Auch bei freundlicher Würdigung bleibt unterm Strich übrig, dass hier Eilbedürftigkeit in entgegengesetzte Richtungen propagiert wird - mal für schnelleren und wirksameren Klimaschutz, mal für schnellere und das fossilistischen Drama verlängernde Absicherung des ölverarbeitenden Status quo.

Alban Werner hat dieser Tage noch einmal daran erinnert, ein »Strukturproblem« der heutigen Linken sei es, »keine sachlichen Kompetenzen zu den Mega-Trends zugesprochen zu bekommen« - zu denen er im Anschluss an Göran Therborn auch die »Klimafrage« zählt. In einer Umfrage beschieden unlängst nur zwei Prozent der Partei entsprechenden Sachverstand; sie landete sogar noch hinter der rechtsradikalen AfD und der FDP des bundestagsoffiziell rechtswidrig agierenden Verkehrsministers. Man mag das vor dem Hintergrund von linken Forderungen, Papieren und so fort für ein ungerechtes Ergebnis halten; aber wer auf die bessere Beschlusslange verweist, wird ja trotzdem nicht von der Frage entlastet, warum in der Öffentlichkeit das Bild entstanden ist, dass ausgerechnet jener Partei in Sachen Klimaschutz nichts zugestanden wird, die in ihrem Programm von der »Zentralität der ökologischen Frage« spricht.

Polemisch gewendet: Vielleicht wird der Begriff »Zentralität« aktuell von den linken Akteuren falsch verstanden - nämlich im Sinne eines Mittelpunkts, von dem in beliebiger Richtung abgewichen werden kann. Angenommen aber, das ist nur ein Missverständnis, bliebe doch offen, wie der von Alban Werner formulierte Anspruch in Zeiten großer Komplexität der gesellschaftlichen Herausforderungen erfüllt werden soll, nämlich, die »Alltagssorgen der Leute« ernst zu nehmen, und zugleich »eine hinreichende Resonanz für klimapolitischen Handlungsbedarf« sowie »wirksamen politischen Druck gegenüber politischen Institutionen und regierenden Mehrheiten« zu finden. »Eine diffuse gesellschaftliche Mehrheit reicht nicht«, so Werner mit Blick auf die verbreitet hohe Zustimmung zur Notwendigkeit einer wirksamen Klimapolitik. Schon richtig, aber eine gegenüber dem ökologischen Paradigma diffuse parteiförmige Linke eben auch nicht. (tos)

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