»Wir haben das Ende der Zukunft erreicht« (2013)

Da sich der Planet verändert, müsse sich auch die Linke verändern, schrieb Alyssa Battistoni vor zehn Jahren im »Jacobin« und warnte: Nostalgie nützt uns heute weniger denn je. Eine neue Utopie werde anders aussehen müssen und sich manchmal wie ein Verlust anfühlen. Aus dem Archiv linker Debatte.

// Wer sich regelmäßig mit den neuen Erkenntnissen über den Klimawandel beschäftigt oder auch nur gelegentlich einen Blick auf eines jener erschreckenden Diagramme wirft, der kann kaum umhin, zu dem vernünftigen, wissenschaftlich begründeten Schluss zu gelangen, dass wir tatsächlich im Arsch sind. (…)

Die Aussicht, dass uns bestenfalls ein paar Jahrzehnte bleiben, bevor die Lage wirklich kritisch wird, hat für die Linke über den Umweltschutz hinaus Bedeutung. Seit Beginn des Stadiums des »alternativlosen« Kapitalismus ist die Linke in der Defensive, und die Bandbreite der möglichen Zukünfte wird immer schmaler. Daher sprach der Kunsthistoriker T. J. Clark in der New Left Review von einer »Linken ohne Zukunft«, womit er sagen wollte, dass unsere Aufgabe darin besteht, einen tragischen Antiutopismus zu verfechten und uns auf die einzelnen gegenwärtigen Aufgaben zu konzentrieren, ohne uns Illusionen darüber zu machen, dass sich die Situation in absehbarer Zukunft bessern wird. Aber was ist die Aufgabe der Linken, wenn nicht nur sie selbst, sondern auch die Welt anscheinend keine Zukunft mehr hat? Mit anderen Worten: Wie sollte eine langfristig ausgerichtete Politik aussehen, wenn der Bogen des Universums beängstigend kurz zu wirken beginnt? (…)

Da sich der Planet verändert, muss sich auch die Linke verändern. Nostalgie nützt uns heute weniger denn je: Wir müssen die alten Ziele einer kritischen Neubewertung unterziehen und unsere Politik auf ein neues Fundament stellen, da die einst stabilen Eiskappen zusammenschmelzen und sich im Ozean auflösen. Wir müssen fragen: Was könnten wir tun, wenn wir uns alle darin einig wären, dass jetzt der Augenblick zum Handeln ist? Aber anstatt die gesamte linke Politik dem Kampf gegen den Klimawandel unterzuordnen oder ihn als getrenntes Problem zu behandeln, müssen wir den Klimawandel zum Hintergrund unserer gesamten Politik machen. Wie können wir den Klimawandel, anstatt uns von ihm entmutigen zu lassen, als Hebel einsetzen, um neue Möglichkeiten zu eröffnen? Wie können wir ihn als Schutzschild gegen Marginalisierung, als Zeitmaschine für die Reise in unsere Zukunft und als Werkzeug zur Veranschaulichung der Probleme der Gegenwart nutzen? (…)

Man hatte uns erzählt, wir seien am Ende der Geschichte angekommen, und nun stellt sich heraus, dass wir in Wahrheit das Ende der Zukunft erreicht haben - zumindest der Zukunft, die wir kannten. Die Erfahrung wird desorientierend wirken. Wir müssen überdenken, was Fortschritt bedeutet, und unseren Blick auf einen anderen Horizont richten, während wir unsere Ansprüche an die Gegenwart ändern. Es wird sich manchmal wie ein Verlust anfühlen. Wir werden Dinge ausprobieren müssen, und sie werden nicht immer funktionieren. Es gibt keine Gewissheit. Aber wir müssen damit anfangen, dass wir begreifen, was auf dem Spiel steht. (…)

Utopien werden normaler weise als Betätigungsfeld für Optimisten mit glänzenden Augen betrachtet, aber um robustere Utopien zu entwickeln, brauchen wir eher scharfsichtige Pessimisten. Die neuen Utopien werden nicht so aussehen wie die alten: Sie werden kaum Reiche des endlosen Überflusses sein. Aber wenn wir uns vom Imperativ des politischen Realismus befreien, haben wir Spielraum, über das nachzudenken, was tatsächlich möglich ist.

Die Anerkennung der ökologischen Grenzen könnte uns helfen, die politischen Grenzen zu beseitigen: Wenn kein anderer Planet möglich ist, dann ist eine andere Welt nötig. Die Errichtung einer neuen Gegenwart auf den Ruinen der alten Zukünfte mag eine beängstigende Aufgabe sein, aber haben wir eine andere Wahl? Die Alternative besteht darin zuzusehen, wie der prognostizierte Schrecken der Zukunft näher rückt, darin, unsere eigene Zukunft durch das Prisma des Leids anderer zu betrachten, darin, im Dunkeln zu pfeifen und Fredric Jamesons Bonmot zu zitieren, dass man sich das Ende der Welt leichter vorstellen kann als das Ende Kapitalismus. Das gilt inzwischen vermutlich sogar für die Linke. Aber niemand hat behauptet, dass es leicht werden wird. Wir haben nichts zu verlieren und eine Zukunft zu gewinnen. //

Alyssa Battistoni ist Assistenzprofessorin für Politikwissenschaft am Barnard College und lehrt über Klima- und Umweltpolitik, Kapitalismus, Marxismus, Feminismus und andere Themen des zeitgenössischen sozialen und politischen Denkens. Ihr Beitrag »Zurück in keine Zukunft«, aus dem dieser Auszug erschien in Jacobin Nr.10 (Frühling 2013) und in deutscher Übersetzung in der Anthologie »Jacobin« bei Suhrkamp (2018).

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