Trauerarbeit und strategischer Schwenk

50 Jahre nach Enzensbergers »ökologischer Hypothese«: Ein Teil der Klimabewegung hat die kommenden Risse im gesellschaftlich als »normal« Gekannten in den Blick genommen und bereitet sich vor: als Kollapsbewegung. Eine kleine Zeitungsschau.  

Das vielfach als tiefer gehende strategische Krise wahrgenommene Auslaufen des letzten Zyklus der Klimabewegung hat eine politische Ausdifferenzierung vorangetrieben: Während die Fridays weiter Einfluss durch öffentliche Protestaktionen zu nehmen versuchen, sollte bei der Letzten Generation nach dem Ablegen des Namens »etwas Neues entstehen, etwas Großes« enstehen, unter anderem von Bürger- oder Gesellschaftsräten war die Rede. Diskutiert wird vor dem Hintergrund der Renaissance politischer Klasse-Bezüge auch, ob man mit »Klimapopulismus« weiter kommt. Ein anderer Teil der Klimabewegung hat die potenziellen Risse im gesellschaftlich als »normal« Gekannten in den Blick genommen und bereitet sich vor: als Kollapsbewegung.

Ende August fand in Brandenburg das erste »Kollapscamp« statt, rund 800 Menschen kamen. Unter anderem die TAZ war dabei und berichtet über »Workshops zu praktischer Katastrophenhilfe« und zu »Trauerarbeit«, bei vielen der jahrelang Aktiven habe sich angesichts der verbreiteten Verdrängung »Verzweiflung« eingestellt. Aufgefallen ist der Zeitung »das hohe Durchschnittsalter für ein Klimacamp, es dürfte über 40 liegen. Die meisten sind Akademiker:innen: Ingenieurinnen, Physiker, Ärztinnen. Hört man sich um, sind viele hier seit Jahren in der Klimabewegung aktiv.« 

Aus deren Krise solle der »strategische Schwenk« führen: »Man will nicht länger an die bürgerliche Politik appellieren, so wie es letztlich noch die Protest­aktionen der Klimabewegung taten.« Man habe »zu lange auf Mehrheiten geschielt und versucht, alle mitzunehmen«; nun soll es mehr darum gehen jene zu unterstützen, die von der Klimakrise am härtesten betroffen sein werden. Ob das dann auch eine »Klimabewegung« ist oder nicht, darüber wird kontrovers diskutiert (»Buhrufe und wütendes Gejohle«). Als positive Aussicht erfährt man: »Wenn es uns gelingt, solidarische Strukturen aufzubauen, können unsere Kinder noch im Kollaps besser leben als im Wohlstandskapitalismus.«

Auch die »Zeit« war dabei und beschreibt das Leitmotiv des Camps so: Es gehe »um Schutz. Darum, sich und andere zu versorgen, wenn Dürren und Fluten Landstriche verheeren. Darum, sich zu organisieren, käme ein feindseliges Regime an die Macht«, auch um Selbstverteidigung gegen Neonazis, um Funkerei. Cindy Peter, eine der Sprecherinnen, wird mit den Worten zitiert, man betrachte den Kollaps nicht als den einen Moment, an dem alles zusammenbreche, sondern als eine stetige Verschlechterung des Alltags. Zwar sei Kollaps »ein heftiges Wort. Aber man muss vielleicht auch ein bisschen die Angst vor solchen Begriffen verlieren.« Zudem: »Kollaps und genussvolles Leben, so lautet eine von vielen Botschaften hier, schließen einander nicht aus.«

»Es ist das erste große Treffen einer wachsenden Menge an Menschen, die überzeugt sind: Der Kampf gegen die Klimakrise kann nicht weitergehen wie bisher«, erfährt man aus dem nd. Wenn man über das »Kollapscamp« spreche, komme »man an dem Namen Tadzio Müller nicht vorbei«, dessen Buch »Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps« hätten entscheidend beigetragen. Es geht auch um Differenzen – etwa was die Wirkung von Rhetorik, die Bewertung des Standes der Klimabewegung oder den Stellenwert lokaler Resilienz im Verhältnis zu globalem Klimaschutz angeht. Oder den Begriff Kollaps: »Manche sehen darin eine weitere zugespitzte Formulierung Müllers, doch es gibt mit der Kollapsologie ein ganzes Forschungsfeld, das den Begriff aufgreift und sich mit möglichen gesellschaftlichen Umbrüchen befasst.«

Zwei Ergänzungen dazu: Schon 1973 hat Hans Magnus Enzensberger vorgeschlagen, mit der zentralen »ökologische Hypothese«, derzufolge »der heutige Industrialisierungsprozess, wenn er sich quasi naturwüchsig fortsetzt, in absehbarer Zeit zu katastrophalen Konsequenzen führen wird«, nach Art der Pascalschen Wette umzugehen: »So lange die Hypothese nicht eindeutig widerlegt ist, wird es heuristisch notwendig sein, jeder Überlegung, die sich auf die Zukunft bezieht, ihre Aussagen zugrundezulegen. Nur wenn man sich so verhält, ›als ob‹ die ökologische Hypothese zuträfe, kann man sie auf ihre gesellschaftliche Dimension hin überprüfen.« Heißt dann auch: Die je für richtig angenommenen Politiken entwerfen, Strategien entwickeln. Wenn man, nur als Beispiel, die erlernten Funkttechniken dann doch nicht braucht, war ihr Erlernen dennoch nicht unnütz.

Zweitens: Selbst bei konservativer Betrachtung wird man kaum sagen können, dass sich die gesellschaftlichen Bedingungen seither bedeutsam zugunsten der klimapolitischen Ziele verbessert hätten. Deshalb ist die Frage völlig opportun: Welche Vorstellungen von der Katastrophe, eines »Climate Endgame« haben wir überhaupt? Wie lange dauert so eine »Implosion«, gibt es dann noch Notausgänge, auf welche regionalen Maßstäbe bezieht sich der Katastrophenbegriff, und ab wann sprechen wir überhaupt davon? Welche sich dynamisch oder nicht entwickelnde Trends mit sozialen Kipppunkten, regional ausdifferenzierte Überschreitungen von Grenzen der Klimaanpassung und so weiter müssen als plausible Möglichkeit angenommen werden? Wie über Begriffe wie Katastrophe oder Zerfall in der sozialwissenschaftlichen Literatur nachgedacht wird, haben wir hier vor einiger Zeit schon einmal angerissen

Auch der Anbieter »für die entscheidenden Köpfe« hat zum »Kollapscamp« berichtet. Michael Seemann war auch auf dem Camp und sein »Eindruck war: Endlich normale Leute!« Seine Erfahrung: Um Kollapsprognosen sei es weniger gegangen, aber es gab »das allgemeine Bewusstsein, dass gerade ›etwas‹ zusammenbricht. Wie weit dieser Zusammenbruch geht, wann er angefangen hat, wo er aufhört, was er alles betreffen wird, ist derzeit nicht wissbar. Mit der politischen Ökonomie der Abhängigkeiten würde ich Kollaps abstrakt definieren als erheblichen Einschnitt in die Transition-Matrix der Pfadgelegenheiten. Entsprechend ist die Vorbereitung auf den Kollaps der Versuch, alternative Pfadgelegenheiten zu schaffen und weiterzugeben und ich fand, das hat gut funktioniert.« 

Subjektive Erfahrungen vom Camp teilen unter anderem Annette Schlemm (hier), die auch eine Antwort auf die Frage gesucht habe, »ob die Akzeptanz von Kollapsen Fatalismus, Resignation und Passivität befördert. Dies wird den kollapsbewussten Menschen oft vorgeworfen. Die Antwort war eher: Das wird alles eher befördert, wenn die hohe Wahrscheinlichkeit baldiger Kollapse verleugnet wird, weil man sich dann nicht darauf vorbereiten kann. Die Anerkennung der Gefahr ist eine Voraussetzung für echtes Engagement.« Auch Julia (hier) oder Berit Müller von der DGS Berlin (hier) berichten. Die Orgacrew hat hier Bilanz gezogen: »In diesem Raum der Kollapsakzeptanz traf sich eine große Anzahl von Menschen, die nicht nur in Workshops sitzen und diskutieren, sondern die ihre Energie zunehmend in den Aufbau von Sicherheits- und Solidarstrukturen für die Zukunft investieren wollen.«

Politische Idee der »Kollapspolitik« und Einschätzungen zum Stand der Klimabewegung machten auch schon vor dem Camp die Runde. Hier im Gespräch mit Cyndi Peter, hier im Doppelinterview mit Peter und Tadzio Müller. Letzterer gab schon vor knapp einem Jahr hier Auskunft über seine Sicht auf das  »Scheitern der Klimaschutzbewegung und das solidarische Leben, das daraus entstehen könnte«. Die TAZ hatte eine neue Bewegung aufkeimen sehen. 

Und in diesem »neu« steckt zugleich ein »alt«, das zumindest am Rande eine manchem wichtige Frage aufgeworfen hat: Wie stehen Kollapsbewegung und Klimabewegung zueinander im Verhältnis? Müller erklärt sich unter anderem hier: »Wenn der Hebel nicht mehr zieht, ist jeder Aktivismus dieser Art notwendigerweise Ressourcenverschwendung.« Meint: Aufgabe der Klimabewegung sei es gewesen, die Gesellschaft vom Klimaschutz zu überzeugen – aber diese Gesellschaft will von dem Thema weit überwiegend nichts mehr hören, habe sich für Don’t look up entschieden, Müller nennt sie »Arschlochgesellschaft«. Deshalb: Kollapspolitik.

Das ist nicht unumstritten. Müller hatte vor knapp einem Jahr in der WOZ seinen Punkt verteidigt. Dem hatten Julian Genner und Ulla Schmid vehement widersprochen, es zeige sich, »wie wenig sich apokalyptische Visionen als Ausgangspunkt für eine progressive Politik eignen und wie sehr sie Vorstellungen exklusiv-identitärer ›Solidarität‹ befördern«. Bettina Dyttrich versteht beide Seiten, was sie »stört, ist das Entweder-oder: als müssten wir uns entweder für globale Gerechtigkeit oder für solidarische Selbstorganisation entscheiden. Das lässt sich doch nicht trennen.« Den Begriff »Preppen«, den die Kollapsbewegung durch ein vorangestelltes »solidarisch« rehabilitieren möchte, sieht Dyttrich allerdings als »zu sehr von rechtsextremen Rambos besetzt, als dass es sich noch von links aneignen ließe«.

Jan Ole Arps hat dazu vor einiger Zeit bereits interessant eingeordnet: »Es ist nicht die erste Wende nach innen in der Geschichte der Linken. Der Rückblick zeigt: Anklang fanden solche Ansätze vor allem in Phasen von Zukunftspessimismus und Enttäuschung.« Vieles am neuen Prepping-Diskurs erinnere »an einen anderen Wendepunkt vor 50 Jahren«, als eine ausgedehnte Alternativszene entstand, die »eine Erfahrung des Scheiterns« verarbeitete: »Die Revolution, auf die viele nach 1968 gehofft hatten, war ausgeblieben«. Dass die fortschreitende Erderwärmung neue Strategien erfordere, sei kaum von der Hand zu weisen, so Arps – aber: »Das Problem ist, dass die Vorschläge den Bezug auf Klassenkämpfe aufgegeben haben – und damit auch die Perspektive, diejenigen zu gewinnen, die der Klimakollaps besonders hart treffen wird und die sich am schlechtesten dafür rüsten können. Im schlimmsten Fall kreist die ohnehin akademisch geprägte Klimabewegung fortan vor allem um sich selbst.«

Kritik an der Kollapspolitik hatte auch schon Christian Zeller hier formuliert, es brauche »eine ökosozialistische Strategie«. Johanna Schellhagen plädierte hier dafür, »statt sich in Katastrophenstimmung zur Preppergemeinschaft zusammenzurotten, muss eine linke Klimabewegung die Produktion übernehmen«. 

Die vorletzte Ausgabe der »Prokla«, die das Thema »Sozial-ökologische Bewegungen im Spannungsfeld von Staat und Demokratie« bearbeitet, hat Beiträge zu »drei Leitfragen« versammelt: »Wie verändern sich die Dynamiken innerhalb der sozial-ökologischen Bewegungen im Kontext veränderter gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen?  Welche Transformationsstrategien und Allianzen verfolgen die  Bewegungen? In welchem Verhältnis stehen die Bewegungen zum kapitalistischen Staat und zur Demokratie?« 

Johannes Siegmund wendet sich im Schwerpunkt der Frage »Preppen for Future?« und also solidarischen Kollapspolitiken in der Klimakrise zu. Eine gekürzte Fassung ist hier erschienen: »Vielleicht kommen die Diskurse und das Experimentieren mit Praktiken solidarischer Kollapspolitiken zu früh, schaffen es nicht aus ihren Nischen und verpuffen. Es ist aber anzunehmen, dass sich solidarische Kollapspolitiken im Globalen Norden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit einer weiter eskalierenden Vielfachkrise und der unweigerlich zunehmenden Frequenz von Kollapssituationen verbreiten werden.« Der Nischendiskurs könne sich dann »zu einem breiten öffentlichen Diskurs und einem neuen Zyklus der Klimabewegungen entfalten«.

Kersten Augustin diskutiert hier »Populismus oder Preppen« als zwei gegensätzliche Lösungen im »Kampf gegen die Klimakrise«. Hier kritisiert die Fridays-Campaignerin Magdalena Hess, dass in progressiven Debatten die biophysikalische Existenzkrise kaum noch vorkomme. Heute werde viel über soziale Gerechtigkeit gesprochen, »viele Aktive sind in Strukturen eingebunden, die sich auf soziale Themen und Antifaschismus konzentrieren«. Aus linker Perspektive scheine »das Thema zum vernachlässigbaren Nebenwiderspruch geworden zu sein – nach dem Motto: Wenn wir erst mal den Kapitalismus abgeschafft haben, löst sich das Klimapro­blem von selbst.« Die SZ hat hier ausführlich über den Stand der Klimabewegung geschrieben, sie scheine »gescheitert zu sein, ihre Erfolge werden rückabgewickelt«. Auch da spielt der Fokuswechsel eines Teils des ökologischen Lagers eine Rolle. Tadzio Müller unterzieht hier einige von ihm so betrachtete »Klimabewegungsmythen« einem Realitätscheck. Es geht um »vier repräsentative Verdrängungsmythen«, darunter »Wenn Klimaschutz nicht durch ›normale‹ Politik erreichbar ist, dann braucht es jetzt eine ›Revolution‹.« 

Anton Benz hatte bereits hier nach dem Ende der Letzten Generation bilanziert: »Was hat der Protest bewirkt?« und dabei auch Forschungsergebnisse einbezogen. David Zauner sieht die Ankündigung aus der Letzten Generation, »etwas Neues, etwas Großes« anzustoßen, »trotz vieler Fragezeichen« als etwas Hoffnung machendes: »Es darf nicht darum gehen, einen unmöglichen Status quo vor der Klimakrise zu retten. Es geht um das gute Leben für alle. Oder anders: Es gibt alles zu verlieren, aber auch so viel zu gewinnen.« (tos)

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