Problemdruck, Konflikte, Perspektiven
Was können wir aus der Untersuchung sozial-ökologischer Auseinandersetzungen lernen, die im Rahmen der »grünen« Modernisierung des Kapitalismus ausgetragen werden? Die neue Ausgabe der »Prokla« hat sich verschiedene »Transformationskonflikte« vorgenommen.
Für die jüngste Ausgabe der einst »Probleme des Klassenkampfs« diskutierenden Zeitschrift wäre eine Umbenennung in »ProTra« denkbar gewesen - das Heft befasst sich nämlich mit Problemen »sozial-ökologischer Transformationskonflikte« und sieht den aktuellen Schwerpunkt »als Auftakt zu einer Debatte über die ökologische Krise«, die in den kommenden Heften weitergeführt werde. Ein Versprechen, auf dessen Umsetzung man sich freut, denn, um das schon vorweg anzumerken, die jüngste »Prokla«-Ausgabe ist lesenswert.
Der gemeinsame Ausgangspunkt der Texte ist ein dreifacher: Erstens wird »der ökologische Problemdruck« umfassend und illusionslos beschrieben, was selbst in linken Diskussionen heute keinesfalls schon Standard ist. Zweitens argumentieren die Autorinnen und Autoren von der Überzeugung aus, dass »wirksame Gegenmaßnahmen« in Zeiten der biophysikalischen Existenzkrise im Rahmen von Strategien einer grünen »Modernisierung« zu kurz greifen, weil sie auf eine technologische Anpassung ohne Wandel grundlegender gesellschaftlicher Strukturen beschränkt bleiben.
Drittens und trotzdem aber richtet sich das Interesse des Schwerpunkts auf jene Auseinandersetzungen und Widersprüche, die im Zuge der »grünen« Modernisierung »ausgelöst, geprägt, hervorgebracht oder dynamisiert werden«. Das ermöglicht Erkenntnisse, die für die gegenwärtig als Zielvorstellungen, noch nicht jedoch als Praxis existierenden »Transformationen« wichtig sind. Denn eine »radikale, strukturelle und paradigmatische Umwandlung von Gesellschaften und ihrer Teilsysteme« (Umweltbundesamt), das darf angenommen werden, wird mit noch größeren Auseinandersetzungen und Widersprüchen einhergehen.
Die Untersuchung »sozial-ökologischer Modernisierungskonflikte« eröffnet also Wissenszugänge und mögliche politische Schlussfolgerungen für die kommenden »sozial-ökologischen Transformationskonflikte«. Um kurz bei einer Begriffsfrage innezuhalten: Von »sozial-ökologischen Transformationskonflikten« zu sprechen, sofern diese sich auf Auseinandersetzungen beziehen, die durch »ökologische Modernisierung« hervorgerufen werden, zieht Probleme der Unschärfe auf sich. Nicht umsonst gibt es Kritik an einem inflationären Transformationsbegriff, dem es an Unterscheidung entlang von Reichweite des Umbaus und Veränderungstiefe mangelt. Natürlich ist eine schlichte Trennung von »Transformation hier - Modernisierung da« ebenfalls nicht sinnvoll, kommt es doch auf Kräfteverhältnisse und Gelegenheiten an, das Noch-zu-kurz-Greifende über sich selbst und damit über seine Begrenztheit hinauszutreiben; insofern schlummert in der Modernisierung immer auch die Transformation.
Am Beispiel der im »Prokla«-Editorial vorgeschlagenen Typologisierung von Transformationskonflikten lässt sich das Motiv für den hier formulierten (eher nebensächlichen) Einwand aber deutlich machen: Dort werden »der Charakter und die Richtung der Konflikte« als ein Kriterium der Unterscheidung von »Transformationskonflikten« genannt, also die Frage danach, ob sich in ihnen »herrschende soziale Verhältnisse über ihre Veränderung stabilisieren« oder ob sie »transformatives Potenzial« haben bzw. »den Horizont für grundlegende Veränderungen« öffnen. Wenn diese Unterscheidung von Modernisierung und Transformation richtig ist, dann doch auch bei der Analyse der damit einhergehenden Konflikte - und also auch bei der Begriffsbildung.
Freilich, das zugegeben, ist es auch nicht so einfach, einen, wie Dennis Eversberg in dem Heft schreibt, »in jüngster Zeit als Sammelbegriff für ein breites Spektrum von Auseinandersetzungen« etablierten Begriff aufzugeben. Am Ende kommt es auch mehr darauf an, welche Einsichten und Perspektiven unter dem Dach des Begriffes ermöglicht werden.
Kim Lucht und Steffen Liebig, die anhand einer ÖPNV-Kampagne von ver.di und Fridays for Future »strategische und lebensweltliche Herausforderungen, unterschiedliche Bewertungen und Zukunftsaussichten« der Akteure diskutieren, fragen sich, ob »anlässlich der kommenden großen Tarifrunden im ÖPNV in den Jahren 2023/24« an diese Bündnisarbeit angeknüpft werden kann. Es gebe »nach Einschätzung von beteiligten Akteuren erste Anzeichen dafür, dass sich eine Strategie des ›bargaining for the common good‹ – verstanden als Arbeitskämpfe für das Allgemeinwohl – herausbilden könnte.«
Nach Drucklegung des Beitrags zeigte sich: Im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung hat ver.di die Bündnisarbeit mit Fridays for Future fortgesetzt - Warnstreik und Klimastreik gemeinsam. Auf Kapitalseite wurde dies umgehend als »gefährliche Grenzüberschreitung« zurückgewiesen, da »Arbeitskämpfe und allgemeinpolitische Ziele miteinander vermischt« würden.
Dem ist berechtigterweise widersprochen worden, mehr noch aber wird es darauf ankommen, worauf Hans-Jürgen Urban unlängst in den WSI-Mitteilungen hingewiesen hat: Wenn Gewerkschaften »vor der historischen Aufgabe« stehen, »ihren Beitrag zum Übergang von der gegenwartskapitalistischen Wachstumswirtschaft in ein sozial und ökologisch nachhaltiges Entwicklungsmodell zu leisten«, erfordere dies »eine entsprechende Strategiebildung auf der Grundlage eines erweiterten politischen Mandats«. Die Gewerkschaften sollten sich »über die Wahrung von Beschäftigungs-, Einkommens- und Sozialinteressen ihrer Mitglieder hinaus an der Konzipierung, Legitimierung und Realisierung des neuen Entwicklungsmodells beteiligen«. Zum Beispiel auf der Straße gemeinsam mit anderen.
Zwei Beiträge der neuen »Prokla« nehmen sich die Automobilbranche vor. Julia Kaiser untersucht am Beispiel zweier Bündnisse aus Klimabewegung und von Entlassung bedrohter Beschäftigter »Potenziale und Grenzen der Konversionsbestrebungen«. Lennart Michaelis, Thomas Rehfeldt, Genevieve Schreiber und Johanna Sittel diskutieren anhand von 74 Interviews mit Expert*innen, Management, Gewerkschaftsvertreter*innen, Beschäftigten und Betriebsräten vor allem in Thüringer Betrieben, welchen tatsächlichen Beschränkungen »Qualifizierung als Lösungsansatz für die sozial-ökologische Transformation« unterliegt. Auf der Basis ihrer Feldforschung unterbreiten die Autor*innen Vorschläge, wie vor Ort wirksame Qualifizierungsprogramme entwickelt und durchgesetzt werden könnten.
Der Beitrag macht nicht nur klar, dass »die Wirklichkeit« unter den Zentralbegriffen der Modernisierung und Transformation weniger glänzend und recht widersprüchlich ist; was auf offene Punkte der politischen Bearbeitung hindeutet. Er kann auch anhand des konkreten Themas Qualifizierung Studien wie jene von Stefan Schmalz, Sarah Hinz, Ingo Singe und Anne Hasenohr gut ergänzen, die am Beispiel Ostthüringen Zusammenhänge von Demografie, Arbeit und politischen Einstellungen vor dem Hintergrund sich verändernder Bedingungen untersucht haben.
Anne Tittor blickt auf die widersprüchlichen Folgen gegenwärtiger Politiken der Dekarbonisierung: Diese erzeugen nicht nur zusätzliche Bedarfe an unterschiedlichsten Rohstoffen und benötigen perspektivisch sehr viel alternative Energie, was mit einem immensen Landbedarf und einer Zunahme der Nutzungskonflikte einhergeht. Dadurch werden auch sozial-ökologische Transformationskonflikte im globalen Maßstab neu gerichtet und befeuert. Das spezifische Nord-Süd-Verhältnis innerhalb dieser Konflikte, die extraktive Verhältnisse fortschreiben, fasst Tittor als »postfossilen Extraktivismus«. Tobias Kalt stellt am Beispiel von Konflikten entlang der »Konfliktlinie Arbeit versus Klima« Konfrontation und Kooperation von Gewerkschaften und Klimabewegung in Südafrika vor und betont dabei die Möglichkeit von Lernprozessen.
In ihrem Text zur ökologischen Dimension der Wohnungsfrage zeigen Rosalie Arendt, Tobias Gralke und Lisa Vollmer wie durch politische Regulierung der Wohnraumversorgung institutionalisierte Zielkonflikte auf unterschiedlichen Ebenen - Effizienz, Suffizienz - wirken und welche sozialen Stratifikationen bzw. ökologischen Widersprüche in diese eingeschrieben sind. In diesem »Transformationskonflikt« geraten Interessen der Klima- und Mietenbewegung aneinander - müssen aber nicht notwendigerweise auf Dauerkonkurrenz gestelltsein. Zwar befinde sich »eine sozial-ökologische Wohnraumbewegung noch ganz am Anfang«, so die Autor*innen, die sich selbst an dieser Schnittstelle politisch engagieren. Aber: Das »Potenzial in ökologischer Hinsicht« könne entfesselt werden.
Dennis Eversberg stellt in seinem Beitrag drei »Lager« sozial-ökologischer Mentalitäten in der deutschen Bevölkerung »und verortet sie in einem sozialökologisch erweiterten Bourdieuschen Sozialraum«. Auf der Basis von Daten zum Umweltbewusstsein unterscheidet er zuvor »sechs tieferliegende Dimensionen oder grundlegende ›Züge‹ sozial-ökologischer Haltungen«, und kommt nach Bearbeitung auf »elf unterschiedliche Typen oder Syndrome sozial-ökologischer Mentalitäten« - die sich dann »entlang grundlegender Ähnlichkeiten ihrer Haltungen zu Transformationsfragen« zu diesen drei großen Lagern gruppieren lassen.
Eversberg unterscheidet ein ökosoziales Lager (rund ein Drittel der Befragten), das sich »weit links im sozialen Raum« positioniert und »deutlich mehrheitlich Frauen sowie überdurchschnittlich viele hoch Gebildete und Menschen aus Großstädten« umfasst; ein regressiv-autoritäres Lager (knapp 25 Prozent der Befragten), das seinen »Schwerpunkt rechts und unten, bei älteren, moderat qualifizierten Beschäftigten und vor allem bei manuell Tätigen mit niedrigen bis mittleren Einkommen, besonders in ländlichen Gebieten und in Ostdeutschland« hat; sowie ein liberal-steigerungsorientiertes Lager (rund 37 Prozent der Befragten), das »die Mentalitäten derjenigen« bündele, »die in den Jahren zuvor das deutsche Kapitalismus- und Wachstumsmodell aktiv gestützt und davon profitiert haben und weiter auf technologische und marktbasierte Krisenlösungen hoffen«. Im weiteren werden Anpassung, Verteilung und Externalisierung als drei Dimensionen des Transformationskonflikts und die jeweils unterschiedlichen, auch widersprüchlichen Haltungen der Lager diskutiert.
Die so entstehende Landkarte der Lebenshaltungen, Denkweisen und Prioritäten eröffnet nicht nur analytische Einblicke; sondern zielt auch auf politische Praxisfragen ab: Welche gesellschaftlichen Bündnisse sind möglich, welche Repräsentationslücken gibt es, welche Kommunikationserfordernisse ergeben sich?
Christiane Gerstetter zeichnet nach, wie vermehrt versucht wird, auf juristischem Wege »Regierungen und Unternehmen zu ambitioniertem Klimaschutz zu zwingen«. Neben der Darstellung von vier Gründen für diese Entwicklung - zunehmend gesellschaftliche Diskussionen um die Klimakrise, Zurückbleiben von Regierungspolitik hinter den wissenschaftlich begründeten Erfordernissen von Klimapolitik, Prozesse der gegenseitigen Inspiration, Verbesserung der faktischen Ausgangslagen für Klimaklagen durch klimafreundlicher werdende Rechtsordnungen - diskutiert Gerstetter, »inwieweit Hoffnung in Gerichtsverfahren als Motor sozial-ökologischer Transformationsprozesse gesetzt werden« könne - mit dem Ergebnis, dass es zwar eine Vielfalt taktischer Ansätze brauche, in bestimmten Konstellationen Gerichtsverfahren aber eine gute Wahl sein können.
Zwar »außerhalb des Schwerpunkt« aber mittendrin im Thema steht der Beitrag von Michael Heine und Hansjörg Herr, die mit einer Skizze für eine »ökonomische Regulierung in der sozial-ökologischen Transformation« aufwarten. Davon ausgehend, dass nur angebotsseitige Lösungen unzureichend sind, sollte nach Auffassung der Autoren »das Wachstum durch eine Nachfragesteuerung in den Ländern des Globalen Nordens auf ein niedriges Niveau oder auf null gesteuert werden« - indem »Investitionen durch ein makroökonomisch gegebenes Kreditvolumen, staatliche Unternehmen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben und eine Veränderung der Eigentumsstruktur von Aktiengesellschaften gesteuert werden« und die Einkommens- und Vermögensverteilung deutlich angepasst wird. Gleichzeitig werden »massive technologische Erneuerungen und Veränderungen der Produktions- und Konsumstruktur« als notwendig beschrieben.
»Das skizzierte Modell einer Niedrigwachstumsökonomie sollte nicht mit einer Planwirtschaft verwechselt werden«, so Heine und Herr. Ihr Vorschlag - an anderer Stelle ist von »Vision« die Rede - impliziere »nach wie vor einen großen Sektor mit kleinen und mittleren Unternehmen, die in Märkten mit freier Preisbildung agieren«; auch müssten »für zahlreiche Aktiengesellschaften keine quantitativen Planvorgaben gesetzt werden« und die Kreditallokation könne »in weiten Teilen innerhalb des makroökonomisch gesetzten Rahmens auf mikroökonomischer Ebene entschieden werden«. Vor dem Hintergrund der biophysikalischen Existenzkrise fehlten aber bisher weitgehend konkrete Vorstellungen, »wie eine Makroökonomie etwa mit Nullwachstum aussehen könnte«. Diese sei aus Gründen stofflicher Endlichkeit und planetarer Grenzen nötig. Der Text von Heine und Herr erinnert an Diskussionen in der BRD der 1970er und 1980er Jahre über Investitionslenkung - freilich waren diese damals noch nicht der Erkenntnis ausgesetzt, dass für gravierende gesellschaftliche Veränderungen eher schnell als langsam die Zeit ausgeht. (tos)