Transformation wohin?

Wo liegen die Unterschiede, was beschreibt die Gemeinsamkeiten transformativer Politiken, Theorien und Analyserahmen? Teil 1 einer Serie, die Überblick verschaffen soll. Diesmal: Frank Adloff und Sighard Neckel – Modernisierung, Transformation oder Kontrolle? Die Zukünfte der Nachhaltigkeit

In Bruno Latours posthum erschienen, gemeinsam mit Nikolaj Schultz veröffentlichten Memorandum »Zur Entstehung einer ökologischen Klasse« heißt es eingangs: »Erstaunlicherweise sind ökologische Anliegen - auf jeden Fall das Klima, die Energie und die Biodiversität - inzwischen allgegenwärtig. Dennoch hat die Vielzahl an Konflikten nicht, jedenfalls noch nicht, zu einer allgemeinen Mobilisierung geführt, wie es in früheren Zeiten durch die vom Liberalismus und vom Sozialismus in Gang gebrachten Veränderungen der Fall war. In diesem Sinne ist die Ökologie überall und nirgends.«

Anders formuliert: An Aufforderungen, schneller und durchgreifender auf die Klimakrise zu reagieren, besteht kein Mangel. Dass die dabei schon verfolgten oder erst angemahnten Pfade von Veränderung umstritten sind, drückt sich in vielfältigen Diskussionen aus: Ist Nachhaltigkeit noch ein tragfähiges Konzept? Welche Stränge sozial-ökologischer Utopien lassen sich unterscheiden? Wie weit geht welche Idee von Transformation? Wer kann und müsste über die Beschränkung politischer Teilbereiche hinaus Koalitionen bilden? Und so fort.

Im folgenden beginnen wir damit, Texte vorzustellen, in denen Ansätze zu finden sind, die Unterschiede ebenso wie die Gemeinsamkeiten transformativer Politiken, Theorien und Analyserahmen sichtbar zu machen; in denen Vorschläge zur Systematisierung gemacht werden. Was im Folgenden ausschnitthaft zur Erkundung eines großen und vielfältigen Feldes angemerkt wird, erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird künftig fortgesetzt und wo es uns sinnvoll erscheint kommentiert werden. Weiterführende Hinweise sind willkommen.

Frank Adloff und Sighard Neckel: Modernisierung, Transformation und Kontrolle

Frank Adloff und Sighard Neckel gehen vom Begriff Nachhaltigkeit aus, der ungeachtet aller Kritik zu einem »Leitbegriff gesellschaftlichen Wandels auf der Ebene der Weltkultur« avanciert sei. Mit diesem Begriff werde auf Krisenerfahrungen und globale Risiken reagiert, die »wesentlich darin begründet sind, dass sich die Gesellschaften der Gegenwart mit der Vernutzung von Ressourcen konfrontiert sehen, die grundlegend für ihren Bestand sind«. Der Ressourcen-Begriff ist weiter gefasst als natürliche Ressourcen des Ökosystems, es geht ebenso um »ökonomischen Ressourcen gesellschaftlichen Wohlstands, die sozialen Ressourcen von Fürsorge und Solidarität oder die subjektiven Ressourcen von beruflicher Leistungsfähigkeit und privater Lebensführung«. Nachhaltigkeit sei »die Norm, dass die Bedürfnisse der Gegenwart nicht auf Kosten derjenigen zu verwirklichen seien, die zukünftig ihre Bedürfnisse realisieren wollen«.

Zwar habe Nachhaltigkeit »die Gestalt eines weitgehend unbestrittenen Entwicklungsmodells angenommen«, hinter diesem aber würden sich »sehr unterschiedliche Prozesse, Wert- und Zukunftsvorstellungen verbergen: vom Versuch, eine große sozialökologische Transformation einzuleiten, bis hin zu Nachhaltigkeit als Legitimationsfassade, hinter der sich gegenteilige Praktiken vollziehen«. Adloff und Neckel schlagen zur Systematisierung vor, »drei Möglichkeitsräume gesellschaftlichen Wandels« danach zu unterscheiden, »welche Imaginationen von Zukunft aktuell konflikthaft ausgetragen werden«: Modernisierung, Transformation und Kontrolle. Hier anknüpfend wird ein konzeptioneller Vorschlag unterbreitet, »wie die genannten Entwicklungspfade untersucht werden sollten. Die analytischen Begriffe ›Imaginationen‹, ›Praktiken‹ und ›Strukturen‹ werden dabei auf die bereits beobachtbaren Zukünfte von Nachhaltigkeit bezogen. Unser Aufsatz versteht sich als Präsentation eines Forschungsprogramms«, so Adloff und Neckel.

Modernisierung: »Programme einer nachhaltigen Modernisierung beabsichtigen, durch technologische und soziale Innovationen die Ökobilanz moderner Gesellschaften so entscheidend zu verbessern, dass die Tragfähigkeit des Planeten nicht länger überfordert wird. Bestehende Strukturen der modernen Gesellschaft in Politik und Wirtschaft wie liberale Demokratie und kapitalistische Marktwirtschaft sowie zentrale Elemente der modernen Lebensführung wie Individualismus, Konsum, Wohlstandsorientierung und Mobilität sollen dabei nicht grundlegend verändert, sondern den veränderten Rahmenbedingungen ökologischer Restriktionen angepasst werden.«

Innerhalb dieses Teilrahmens, der zur Bezeichnung von Konzepten wie Green Growth und Green New Deal genutzt werden kann, finden sich allerdings qualitative Unterschiede. Zwar gehen beide Konzepte »davon aus, dass mithilfe des technischen Fortschritts das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch und den damit einhergehenden Emissionen abgekoppelt werden kann«. Sie bleiben also »an Wachstums- und Exportförderung gebunden, sodass Steigerungen der Umwelteffizienz womöglich durch die Rebound-Effekte eines wachsenden Konsums zunichtegemacht werden können«.

Allerdings würden die Träger von Green-Growth-Konzepten (»vornehmlich große Unternehmen und Kapitalgruppen«) hier lediglich ihre Strategien »auf einen neuen Weltmarkt für emissionsarme Energieerzeugung, effizienzoptimierte Verfahren und grüne Technologien« ausrichten: »Grüner Kapitalismus verzichtet auf gesellschaftliche Umverteilung und tastet wirtschaftspolitisch den Vorrang der Märkte nicht an. Seine ökonomischen wie ökologischen Kosten und Erträge sind daher gesellschaftlich ungleich verteilt.« Im Unterschied dazu zielten Vorstellungen des »sozial-libertären Green New Deal« darauf, soziale Spaltungen im ökologischen Umbau zu vermeiden. Als wichtigste Träger identifizieren Adloff und Neckel »grüne Parteien, zivilgesellschaftliche Akteure, transnationale Netzwerke und NGOs«. Statt »auf großtechnologische Innovationen wird hier auf die Schaffung kommunaler ökologischer Infrastrukturen abgestellt, die nachhaltige Lebensweisen mit demokratischer Mitbestimmung verbinden sollen«, zudem stünden »regulatorische Korrekturen der kapitalistischen Wirtschaft« im Zentrum.

Transformation: Hierunter werden jene Praktiken und Vorstellungen subsumiert, denen das Modernisierungskonzept von Nachhaltigkeit als ungenügend erscheint, »da es den ökologischen und sozialökonomischen Herausforderungen der globalen Krisenkonstellation nicht gerecht werde«. Alternativ dazu, besser vielleicht: dies überwindend würden »sowohl im Globalen Norden als auch im Süden« Möglichkeiten einer Transformation »hin zu nicht-konkurrenziellen und nicht-wachstumsbasierten Sozialordnungen sowie zu einem radikal anderen gesellschaftlichen Naturverhältnis« diskutiert.

»Gesellschaftliche Transformationen zielen darauf ab, mit der Kultur des Wachstums zu brechen und neue Lebensformen zu erproben.« Dass »die natürlichen und sozialen Grundlagen des planetarischen Zusammenlebens nicht durch Prozesse einer weitergehenden Ökonomisierung von Nachhaltigkeit zu schützen« seien, bilde, bei allen Unterschieden im Detail, den gemeinsamen Bezugspunkt von Décroissance, Postwachstumsgesellschaft, Degrowth, Ansätze sozial-ökologischer Transformation, Tiefenökologie, Ökofeminismus, Konvivialität, Postdevelopment, Buen vivir, Commons, solidarische Ökonomie, Postkapitalismus oder Realutopien im Sinne Erik Olin Wrights, der »systematische Überlegungen zu den institutionellen Problemen von Transformationsstrategien« beigesteuert hat.

Kontrolle: Hierunter fassen Adloff und Neckel verschiedene Varianten eines Möglichkeitsraumes gesellschaftlichen Wandels, den sie zu einem dystopischen Entwicklungspfad rechnen, auf dem bereits Bedingung des ökologischen Notstands herrschen oder sich ausbreiten. » Strukturell steht die Kontrollgesellschaft der Nachhaltigkeit im Zeichen der Katastrophe, der mit infrastrukturell verankerten technischen, militärischen und staatlichen Mitteln begegnet werden soll. Begrenzung und nicht Verhinderung von Katastrophen orientiert die Praktiken der Segregation, der Externalisierung, der Überwachung und des Zwangs.«

Innerhalb dieses Teilrahmens wird eine »autoritäre Zukunftsvariante von Nachhaltigkeit« beschrieben, die »sich auf die Möglichkeit des ökologischen Notstands, der es notwendig mache, Demokratie zumindest partiell zu suspendieren«, beziehe. Hier steht das »Spannungsverhältnis« zwischen den Momenten »Sicherheit und Kontrolle zum Zwecke der Nachhaltigkeit« (oder was unter sich verschärfenden biophysikalischen und dadurch aus gesellschaftlichen Bedingungen noch davon möglich bleibt) und demokratischen Freiheitsansprüchen.

Zum Möglichkeitsraum der Kontrolle wird auch Resilienz gerechnet, also »Formen der Bewältigung von Krisenzuständen und der Anpassung an eingetretene Notstände«, in denen »die Kapazitäten ökologischer oder sozialer Systeme, Stressoren und Schocks zu absorbieren, indem sie sich zwar wandeln, dabei aber grundlegende Strukturen und Funktionen beibehalten«, im Zentrum stehen. »Bei ökologischen Schocks bedeutet resiliente Anpassungsfähigkeit nicht nur, sich an die unmittelbaren Krisenzustände des Erdsystems zu adaptieren, sondern auch deren soziale, ökonomische und geopolitische Folgen zu tragen.«

Ausprägungen fänden sich unter anderem auf dem an Bedeutung zunehmendem Feld der politikberatenden »Climate Security« als »Kernelement nationaler Sicherheit« sowie auf einem technologisch, expertokratischen Feld der von »planbaren Eingriffen in biogeochemische Prozesse« (CDR, Eingriffe zur Verhinderung der Übersäuerung der Meere usw.). Als Problem wird beschrieben, dass »wahrscheinlich einige Bevölkerungsgruppen ihre Anpassungskapazitäten in einem Maße erhöhen, das anderen nicht möglich ist. Dabei hängt die Durch- setzung des Kontrollparadigmas nicht zuletzt von der strukturellen Verteilung von Machtressourcen im globalen Nord-Süd-Verhältnis und den Möglichkeiten zur Enklavenbildung innerhalb von Gesellschaften ab«. Hierin drücke sich das Fundament einer »Nachhaltigkeit durch Kontrolle« auf partikularistischer Ethik aus. (tos)

Frank Adloff und Sighard Neckel: Modernisierung, Transformation oder Kontrolle? Die Zukünfte der Nachhaltigkeit, in: Klaus Dörre et al. (Hrsg.), Große Transformation? Zur Zukunft moderner Gesellschaften, Sonderband des Berliner Journals für Soziologie, 2019.

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