Schnee von gestern

Was macht die Klimakrise mit uns psychologisch und warum ist das wichtig für Klimapolitik? Über Scham und Schuld, Gefühle des Verlustes, Angst und Verdrängung - nicht nur angesichts kunstverschneiter Pisten in einer »dümmstmöglichen Welt«.

Unlängst machten Bilder von Kunstschnee-Pisten die Runde, und Melanie Mühl fragte sich, was diese »über unser Natur- und Selbstverständnis« aussagen mögen.

Eine Antwort gab Hubert Aiwanger - nachdem wieder Schneefall zu verzeichnen war: Der bayerische Vize-Ministerpräsident fragte in Richtung Grüne, ob diese »schon mitbekommen« hätten, »dass Petrus die Schneekanone wieder eingeschaltet hat? Natürlichen Schnee gibt es ja nach Eurer Ideologie nicht mehr«. Man könne auch wieder Skifahren, das hätte man gerade noch für eine »überholte Sportart angesehen«.

Man könnte die Polemik des Freien Wählers als übliche parteipolitische Attacke in der Hoffnung auf schenkelklopfende Zustimmung bei all denen betrachten, die ohnehin etwas gegen alles Ökologische haben. Man könnte sogar dahinter eine verständliche, etwas ungelenk vorgetragene Sorge vermuten, wie es in Zeiten der Klimakrise mit dem für einige Regionen wichtigen Wirtschaftsfaktor Wintersport weitergehen soll.

Studien zeigen deutlich, »dass sich die Zahl der Tage mit Schneebedeckung bis zum Ende des Jahrhunderts gemittelt über den ganzen Alpenraum« fast halbieren werden. Ohne eine drastische Verringerung der weltweiten Treibhausgasemissionen, so wurde hier unter Berufung auf eine andere Forschungsarbeit berichtet, würden »die meisten der bisherigen Gastgeber von Olympischen Winterspielen am Ende des Jahrhunderts nicht mehr in der Lage« sein, »zuverlässig faire und sichere Bedingungen für Winterspiele zu bieten«.

»Für alle Wintersportarten zusammen« wurden laut Zahlen von 2010 in der Bundesrepublik jährlich 16,4 Milliarden Euro ausgegeben, etwa 20 Prozent »der gesamten auf den aktiven Sport bezogenen Konsumausgaben«. Da hängen Arbeitsplätze dran, lokale ökonomische Subkulturen, es geht um die Zukunft ganzer Regionen. Zugleich steht etwa das Skifahren heute »exemplarisch« dafür, »wie energieintensiv unser Freizeitverhalten geworden ist«, wie der Alpenforscher Werner Bätzing von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sagt: Kunstschnee, Skilifte, die Anreise, die energieintensive Verstädterung der Ski-Tourismuszentren und so weiter.

Was Hubert Aiwangers Äußerung aber über all diese Fragen hinaus ausdrückt, ist vor allem eine psychologische Angelegenheit: Verdrängung, die Unfähigkeit und der Unwillen, im Angesicht der unübersehbaren Folgen der Klimakrise Gefühle und Emotionen zuzulassen, ihnen einen Raum zu geben, der sie auch zu einem Aspekt der politischen Bearbeitung dieser Klimakrise machen könnte.

»Ich will, dass ihr in Panik geratet«, lautet ein berühmtes Zitat von Greta Thunberg von 2020 auf dem Weltwirtschaftsforum. »Dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.« Hubert Aiwanger will das offenkundig nicht. Oder gibt es jedenfalls nicht zu.

Sind Scham und Schuld, Gefühle des Verlustes, Angst und Verdrängung ein klimapolitischer Faktor? Joachim Müller-Jung hat es vor dem Hintergrund der Oder-Katastrophe des vergangenen Jahre mit Blick auf die »vielen geschundenen Fischleiber, die immer noch tonnenweise aus der ohnehin schon malträtierten Oder geborgen und dann entsorgt werden« so formuliert: »Es wirkt so, als wollten die Kadaver zu uns zu sprechen: Sie führen eine stumme Klage über die ökologischen Entgleisungen, die zu der Katastrophe führten und deren Ursachen zugleich schwer zu fassen sind, sie künden von Scham und Schuld.«

Die Psychologin Katharina van Bronswijk hat die Tatsache, dass unsere Gesellschaft insgesamt ›emotionsphobisch‹« ist, als Problem beschrieben, das über die Klimakrisendebatte hinausgeht. »Wir halten uns grundsätzlich für total rationale Wesen und sind fast schon beleidigt darüber, dass wir auch Gefühle haben. Und zwar vor allem so unangenehme wie Wut, Trauer, Schuld oder Scham. Die empfinden wir als unnötig, denn sie passen nicht zu der kapitalistischen Erzählung von möglichst immer währendem Glück, nach der wir leben. Konsum und Arbeit sind da nur zwei der Strategien, um uns nicht mit diesen Gefühlen auseinandersetzen zu müssen.«

Was zu der Überlegung Anlass gibt, dass ausgerechnet jene gesellschaftlichen Bereiche - Konsum und Arbeit -, die Individualität sehr stark prägen, zur Verschlimmerung der Klimakrise und zugleich zur psychischen Kompensationen von Gefühlen beitragen, die von deren unübersehbaren Folgen hervorgerufen werden.

Über die Frage, wie ein anderer Umgang mit solchen Gefühle Impulse für Handeln geben kann, das zur Eindämmung der Klimakrise beiträgt, ist viel geschrieben worden. »Das Problem ist, dass wir die Klimakrise nicht vom einen auf den anderen Moment lösen können«, so Katharina van Bronswijk. »Wenn wir unsere Handlungsoptionen nicht kennen oder sie uns nicht ausreichend vorkommen, dann ist das frustrierend und kann tatsächlich lähmend sein.«

Studien geben hinreichend Auskunft »bezüglich psychischer und emotionaler Auswirkungen der drohenden Konsequenzen von Klimawandel und anderen Umweltproblemen«, vor allem unter jungen Menschen hierzulande gehen diese mit »negativen Emotionen wie Angst, Trauer, Wut und Ungerechtigkeitsempfinden« einher. Engagement gegen die Klimakrise und die Politiken, die nicht angemessen darauf reagieren, wirken zwar in der Tendenz dagegen. »Das Ausbleiben gewünschter Handlungen von Politik und Gesellschaft«, kann aber »auch eine zusätzliche Belastung darstellen«.

Das führt einerseits wieder zu der unter anderem schon hier und hier angesprochenen Frage, was gegen aufkommende Resignation hilft, wie Klimakommunikation darauf reagieren sollte und welche Rolle das Vorhandensein überzeugender gesellschaftlicher Alternativen, praktikable Pfade gelingender Transformation und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit spielen. Dass der Ausweg aus der Klimakrise nicht über individuelle Verhaltensänderungen allein führen kann, ist außerdem richtig. Aber andererseits wirkt eben die schon eingetretene Klimakrise selbst schon auf uns in beträchtlicher Weise ein. Es wird nur zu selten darüber gesprochen.

Eine der lesenswerten Ausnahmen ist Marius Buhl, der unlängst über seine Kindheitserinnerungen an den Südschwarzwald geschrieben hat, über den inneren Riss, der sich auftut jenseits von Diskussionen darüber, ob das mit technischem Riesenaufwand »gerettete« Skifahren heutzutage »die dümmstmögliche Welt« zeigt: die Bilder von Kunstschnee-Pisten.

»Und doch, bei aller Wut«, so Buhl in der FAS, »kommt etwas zu kurz: Trauer über das, was gerade so sichtbar verloren geht.« Ihm fehlten in der öffentlichen Empörung über den Kunstschnee-Wahnsinn »ehrliches Bedauern und Innehalten«.

Was könnte man in sich spüren dabei? »Trauer, klar, aber nicht aktiv, es ist kein Schmerz, der einen kurz aufschreien lässt, mit der Zeit aber verschwindet. Die Trauer über den Verlust des Winters ist profunder, ein dumpfes Hämmern im Bewusstsein, das sich von Jahr zu Jahr verstärkt. Wie Heimweh – aber nach einem Zuhause, das nicht mehr existiert.« Und es hat ja gerade erst richtig angefangen. »Der Urlaubsort in der Toskana, an den man seit drei Generationen fährt? Im Sommer nur mehr eine staubige Wüste. Der Gletscher, auf den ein Kind in Bayern geblickt hat? Geschmolzen. Die Wälder Brandenburgs, in denen man früher gejoggt ist? Gesperrt wegen Waldbrandgefahr. Der Rhein? Ausgetrocknet.«

Dieses Verschwinden, dieser Verlust macht etwas mit uns. Der australische Umweltwissenschaftler Glenn Albrecht hat bei seinen schon einige Jahre zurückliegenden Forschungen über die emotionalen Folgen des Kohleabbaus in New South Wales die Bewohnerinnen und Bewohner des Hunter Valleys erzählen lassen, was in ihnen geschehen ist, seit Felder und Farmen verschwunden sind und nur noch riesige Löcher in der Erde klaffen. »Die physische Zerstörung des Tals zersetzte das Heimatgefühl, das die Menschen empfunden hatten«, wird Albrecht hier zitiert.

Mit dem Heimatbegriff mögen manche berechtigte Schwierigkeiten haben. Dem Gefühl der Solastalgie, wie der Professor für Umweltstudien es nennt, wird man dennoch mehr Aufmerksamkeit schenken müssen: »das durch Umweltveränderungen hervorgerufene Leiden«.

Wenn von den Sorgen und Ängsten, den Gefühlen der Unsicherheit jener die Rede ist, deren Alltag von einer weithin als dringend nötigen Transformation der vorherrschenden Produktions- und Konsumweise betroffen sind und sein werden, dann gehören die Sorgen und Ängste, die Gefühle der Unsicherheit derer aber genauso in den Blick, deren individuelle »Betroffenheit« vorrangig von den immer dramatischer werdenden Auswirkungen dieser Produktions- und Konsumweise ausgeht. In der Regel werden beide Momente ohnehin zusammenfallen, auch ein Kohlearbeiter wird Natur-Verlust spüren.

Man wird dabei in Rechnung stellen müssen, dass große Teilen der Erdbevölkerung weit darüber hinausgehende Sorgen und Ängste haben: weil sie nicht wenigstens teilweise von dem Reichtum profitierten, der seinerseits unvorstellbaren Mangel vor allem im globalen Süden erzeugt. Aber genau darum geht es ja, damit Schluss zu machen, etwas Neues zu beginnen.

Dass die schwer wird, um es zurückhaltend zu formulieren, ist überall sichtbar. Christoph Nikendei vom Zentrum für Psychosoziale Medizin in Heidelberg hat auf ein Dilemma hingewiesen, in dessen Lösung zwar nicht schon die Aussicht auf wirksame Eindämmung der Klimakrise liegt, dessen Verständnis aber zu den notwendigen Wissensbeständen gelingender Klimapolitik gehören sollte:

»So bedrohlich der Klimawandel für uns und unsere Zivilisation sein mag, es könnte kaum eine ungünstigere Passung zwischen der Ernsthaftigkeit der Gefährdung einerseits und unserem Sensorium, auf diese vorhandene Gefährdung adäquat mit einer Alarmreaktion antworten zu können andererseits, existieren, denn: der Klimawandel ist eine elementare, aber schleichende Bedrohung mit

fehlender Unmittelbarkeit, der Klimawandel ist zumeist abstrakt, sehr komplex und aufgrund unzureichender Konkretheit kaum fass- und greifbar, die Auswirkungen des Klimawandels bleiben vage und sind (oft noch) nicht direkt spürbar. Diese spezifischen Charakteristika des Klimawandels verleiten uns dazu, dass wir Menschen einer Reihe von Trugschlüssen und (kognitiven) Verzerrungen unterliegen.«

Auch Nikendei zeigt, »dass die innere (vor-) und unbewusste Beschäftigung mit dem Klimawandel sowie seinen Auswirkungen auf unser persönliches, familiäres und (globales) Sozialsystem und unsere gemeinsame Umwelt und der damit einhergehenden (indirekten und direkten) Bedrohung« tiefgreifende Gefühle von Verlust, Schuld, Angst, Scham, Verzweiflung und Neid hervorrufen kann. »Aufgrund der Unerträglichkeit dieser Affekte müssen diese abgewehrt und aus dem Bewusstsein verbannt werden, denn die umfassende Realisierung des sich abzeichnenden globalen Desasters mit den leidvollen Konsequenzen für all diejenigen, die ›uns lieb und wichtig sind‹, und die Anerkennung unseres eigenen Beitrags zu dieser Entwicklung wären möglicherweise vernichtender und bedrohlicher für uns als die Anerkennung der Bedrohung selbst.«

Seine Vorschläge, darauf aus psychotherapeutischer Sicht zu reagieren, bilden sozusagen die individuelle, psychologische Seite eines Rahmens ab, innerhalb dem sich gelingende Klimapolitik wird bewegen müssen. Nikendei verweist auf Donna M. Oranges »Climate Crisis, Psychoanalysis, and Radical Ethics« und plädiert dafür, »die uns alle durchdringende soziale kollektive Abwehr« zum Gegenstand der Bearbeitung zu machen - »indem wir beginnen, die globale Erwärmung als ein prozesshaftes Geschehen mit all den damit verbundenen Gefühlen anzuerkennen, das Ende der Ära der fossilen Brennstoffe zu betrauern, auf politischer, ökonomischer, technischer, ideologischer Ebene in der Haltung einer radikalen Ethik Ungerechtigkeiten und Glück (auf Kosten anderer) nicht zu tolerieren, kooperative und nicht kompetitive Werte zu vertreten, unsere Beteiligung an dem Desaster des Klimawandels und unsere Emission anzuerkennen, auf der Hut vor unserer eigenen kognitiven Verzerrung zu sein, uns auf eine neue Gesellschaftsorganisation einzustellen, in der Maßlosigkeit keinen Platz hat und die eher aus Teilen, Reparieren und Bewahren besteht – und nicht aus Konsumieren« und schließlich die Natur wieder als etwas wahrzunehmen und zu erfahren, was Nikendei als »Wert« bezeichnet, was aber hier ausdrücklich nicht-monetär gemeint ist: »eine Verbindung zu dem, was wir im Begriff sind zu zerstören«.

Das alles soll kein Plädoyer für eine Individualisierung oder Psychopathologisierung der Klimakrise sein. Wenn es aber richtig ist, dass neben strukturellen Veränderungen auch ein Bewusstseinswandel zwingende Voraussetzung für eine Umkehr ist, die hoffentlich noch rechtzeitig ins Werk gesetzt werden kann, wird man auch jene individuellen Aspekte zum Gegenstand politischer Überlegungen machen müssen, die die Möglichkeit eines solchen Bewusstseinswandel mindestens mitbestimmen. Eben: Scham und Schuld, Gefühle des Verlustes, Angst und Verdrängung. (tos)

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