Oder in Würde scheitern

Was tun nach Belém? Das neue Buch von Frank Adloff zur Hand nehmen. Es ist der schier unauflösbaren Blockade zwischen dem, was geht, und dem, was gehen müsste, gewidmet. Was trennt »Wirkliches und Mögliches«? Und was, wenn »strategische Bricolage« nicht der »konvivialen Freiheit« zum Sieg verhilft?

Es hätte sicher nicht erst noch der COP30 in Belém bedurft, in die Nähe schierer Verzweiflung zu geraten: Wenn doch einerseits alles bekannt ist, das man wissen muss, und andererseits die Verhältnisse derart beschaffen sind, dass trotzdem nicht die nötigen Schritte unternommen werden – bleiben da nicht nur Aussichtslosigkeit, Niedergeschlagenheit? Selbst wenn man sich das vernünftigerweise zurechtrücken möchte, weil man ja ebenso weiß, dass Fatalismus nicht hilft, dass die nicht ausreichenden Schritte immerhin Schritte sind, dass »jedes Zehntel Grad wichtig ist«, dass sich »der Markt doch längst entschieden« hat, dass sogar auf dem östlichen Land überall Wärmepumpen und Solaranlagen aus dem Boden schießen, dass die Mehrheiten für eine andere Klimapolitik zwar skeptischer werden, was die Umsetzung angeht, aber immer noch Mehrheiten sind – dann bleibt doch das Gefühl, nicht recht zu wissen, wie man mit dem offenbar unauflösbaren Widerspruch umgehen soll, der »Wirkliches und Mögliches« trennt. 

Ein guter Rat mag daher sein, nach Belém das neue Buch von Frank Adloff (hier im Open Access) zur Hand zu nehmen, das dieser nicht bloß operativen, nicht einfach durch »bessere Entscheidungen« oder »richtige Politik« aufzulösenden Blockade zwischen dem, was geht, und dem, was gehen müsste, könnte gewidmet ist. Der Untertitel verspricht »Perspektiven der Sozialwissenschaften im ökologischen Wandel« – und so kann man das durchaus auch lesen: Der in Hamburg lehrende und durch langjährigen Fokus auf planetare Fragen ausgewiesen, führt durch verschiedene theoretische Ansätze, »Gesellschaften des Klimawandels« zu begreifen ebenso wie er methodische und normative Fragen des Wissenschaftlers im politischen Handgemenge thematisiert. Die Chancen und Grenzen der bekannten politökonomischen Optionen von grüner Modernisierung bis Degrowth werden diskutiert. Es tauchen alle maßgeblichen deutschen Veröffentlichungen der vergangenen Jahre dazu auf – von Nassehi, Blühdorn über Beckert bis zu Staab, Lessenich, Neckel, Brand und Wissen, die internationale Debatte wird geschildert. Bekannte Aspekte wie Fortschrittsglaube, unterschiedliche Historizitätsregime, die Diskussion über Freiheitsverständnisse tauchen auf. Es werden sonst nur randständig behandelte Fragestellungen hervorgehoben wie die sozialwissenschaftlich und gesellschaftspolitisch unterschätzten existenziellen Risiken, Stichwort Kollapsologie und Kollapsbewegung. Es ist in dieser Hinsicht eine wirklich gute Einführung in den Stand der Dinge.

Adloffs Essay ermöglicht aber auch eine Introspektion, eine wenn man so will auf sich selbst gerichtete Perspektive im Sinne von perspicere: Was lässt sich mit der Lektüre an einem selbst erkennen, wahrnehmen? Es dürfte doch so sein, dass das Panorama an wissenschaftlicher Erkenntnis, theoretischer Literatur und normativem Anspruch, das Adloff auf nicht einmal 250 Seiten zusammenbringt, den Suchbewegungen vieler entspricht. Man hat diese Bücher ja auch gelesen, sich  ja auch diese Fragen gestellt, sich an den strukturellen Blockaden und politischen Unzulänglichkeiten die Zähne ausgebissen. Was an den Schlussfolgerungen Adloffs hilft dem interessierten Laien gegen, siehe oben: Aussichtslosigkeit, Niedergeschlagenheit?

Seinen Essay beschreibt Adloff als »einen tastenden Versuch«, was nicht nur angenehm ist in Zeiten allgegenwärtiger lautsprecherischer Wahrheitshuberei (und ebenso fatalistischer Schonalleswisserei), sondern auch das eigene Gefühl epistemischer Unsicherheit anspricht. Es ist ja nicht unbedingt einfacher, sich ein Urteil zu bilden und Maßstäbe zu entwickeln, wenn man sich die Prognoseschwierigkeiten vor Augen führt, mit denen sowohl Naturwissenschaft als auch Gesellschaftstheorie konfrontiert sind: Man mag sagen können, dass es schlimm werden kann - aber wie genau das dann aussehen wird, dieses Schlimm-Sein, gerade in Hinblick auf soziale, ökonomische Fragen, ist gar nicht einfach zu sagen. Was dazu führt, dass auch es auch schwer zu sagen ist, wie man – Stichworte Resilienz, Anpassung usw. – vorausschauend darauf reagieren soll. In jedem als richtig bezeichneten Schritt lauert auch das Potenzial seines Gegenteils, wer zum Beispiel schnellerer Ausbau der Erneuerbaren sagt, muss auch die Möglichkeit neuer Ressourcenkonflikte mitdenken. Wir können ebenso wenig sagen, welche möglicherweise auf Natur oder andere Fragen bezogene, nicht intendierte Folgen die weiter ausgreifenden Vorstellungen von Veränderung nach sich ziehen würden, die in der Debatte ihren Platz haben: Wird wirklich schon alles besser, weil »kein Kapitalismus« mehr ist? Kurzum: Der Größe und Komplexität des Problems planetare Krise begegnet man am besten mit »einem tastenden Versuch«.

Eine zweite Sichtachse durch Adloffs Essay mag ebenso in den Kopf des Lesers zurückführen: Aber wenn nun die pragmatischen Lösungen zu oft blockiert oder jedenfalls zu langsam in ihrer Wirkung sind; wenn nun die systemtranszendierenden Hoffnungen mindestens an Zeitproblemen, wahrscheinlich an substanziell mehr kranken; wenn nun die Gefahr eines gesellschaftlichen Kollapses real ist, wie Adloff schreibt – was dann? Der »breite Möglichkeitsraum für Wandel«, den er hochhält, besteht im Grunde aus jenen Optionen, die zwar diskutiert werden, bisher aber nicht wirklich gezogen wurden: Verringerung der Ungleichheit, solidarische Infrastrukturen, Förderung gemeinwohlorientierter Strukturen, globale Klimagerechtigkeit, Schuldenerlasse, ökologische Reparationen, neue demokratische Prozeduren, Förderung nicht-kapitalistischer Praktiken, zivilgesellschaftliches Wirtschaften, Suffizienzorientierung, Neudefinition des Wohlstands, Neubewertung von Planung, Stärkung der Rolle von Bewegungen, Anerkennung von Rechten der Natur… Dass es »pragmatische Sofortmaßnahmen aus dem Instrumentenkasten der ökologischen Modernisierung parallel zu transformativen Experimenten« geben sollte, ist so richtig, wie es seit Jahrzehnten vorgeschlagen wird, um »trotz gesellschaftlicher Trägheiten und anderer Priorisierungen dennoch Prozesse des sozialen Wandels Richtung Klimaneutralität und Biodiversität einleiten« zu können. Die alte linke Debatte darüber, wie Reform und Revolution kombiniert und im Hegelschen Sinne aufgehoben werden könnten, scheint darin ein bisschen wieder auf. 

Adloff konfrontiert seine Hoffnung auch selbst mit dem skeptischen Urteil, dass sich »die bisherige Dominanz ökonomischer und technokratischer Ansätze… als unzureichend erwiesen« habe, Konzepte wie Degrowth »oft vage in ihrer möglichen Umsetzung« blieben und »auf strukturelle und politische Widerstände« stoßen, moderne Gesellschaften »zudem durch funktionale Differenzierung und systemische Trägheit gekennzeichnet« sind, bei der die Eigendynamik der Teilbereiche dazu führt, »dass übergreifende Ordnungs- und Koordinationsprobleme systematisch vernachlässigt werden«. Er erinnert hier an den unlängst verstorbenen Claus Offe, der schon vor 40 Jahren schlussfolgerte, »dass das zentrale Problem moderner Gesellschaften nicht mehr die Steigerung von Handlungsmöglichkeiten, sondern die Entwicklung von Koordinationsmechanismen ist, denen es gelingen muss, die widersprüchlichen Teilrationalitäten aufeinander abzustimmen«. Da aber offenbar die moderne Gesellschaft jenes »Ensemble von Teilmodernitäten« geblieben ist, fehlt ihr auch die Steuerbarkeit, was »im Angesicht der ökologischen Verheerungen das zentrale Problem zeitgenössischer westlicher Gesellschaften« ist. 

Man mag das eigene Gefühl der Unlösbarkeit der Herausforderung mit anderen theoretischen Ansätzen untermauern, es bliebe wohl doch bestehen. »Auch die (post-)marxistische Haltung ›Die Revolution kommt morgen‹ führt nicht weiter«, so Adloff. Weil es sich um Denkmodelle handelt, die einer Epoche zugehörig sind, die vorbei ist?

Adloff greift Hans Blumenbergs Epochenschwelle auf, sieht die Welt in einer Zeit »tiefgreifender Veränderungen, in denen alte gesellschaftliche, kulturelle und temporale Strukturen an ihre Grenzen stoßen und Raum für Neues entsteht«. Man mag an Gramscis »Zeit der Monster« denken, aber Adloff betont das Neue als Möglichkeit, nicht als Schreckensbild. Zwar ist »die moderne Fortschrittserzählung und ihre temporalen Muster (Linearität, Externalisierung, Wachstumslogik)« bisher nur infrage gestellt, haben »alternative Konzepte und Zeitlichkeiten (wie planetares Denken, pluriversale Zukünfte, Verlangsamung oder Postwachstumsmodelle)« keine hinreichende Durchsetzungsfähigkeit. Aber das kann sich ja ändern. Zur Sprache kommen hier Begriffe wie »strategische Bricolage«, bei der »Akteure improvisieren und pragmatische Anpassungen vornehmen, die zugleich transformierende Wirkungen entfalten« – als Alternative zu »monistischen, überzogenen und unrealistischen Zukunftsvorstellungen«, als Bevorratung mit »genügend Exit-Optionen, die Alternativen zum grünen Kapitalismus anbieten«, für den Fall, dass es gelingt, »das gesellschaftspolitische Projekt der grünen Modernisierung gegen Klimabarbarei zu verteidigen und es weiter voranzutreiben«. Außerdem plädiert Adloff für ein »Konzept der konvivialen Freiheit« als Alternative zum »westlich-männlich konnotierten Autonomiekonzept« und schildert in dem Zusammenhang die Diskussionen um die beiden »konvivialistischen Manifeste« von 2014 und 2020, welche das Bewusstsein für wechselseitige Abhängigkeiten ins Zentrum stellen: »Wie können wir unsere Abhängigkeit von der Natur so gestalten, dass sie für alle – Menschen wie nicht-menschliche Wesen – lebensfördernd ist? In praktisch-normativer Hinsicht bedeutet dies einen radikalen Wandel unserer Wirtschafts- und Lebensweise: von extraktiven zu regenerativen Systemen, von Ausbeutung zu Reziprozität.«

Und wenn die »strategische Bricolage« doch scheitert? Wenn funktionale Differenzierung und systemische Trägheit doch die Oberhand behalten? Oder die nicht nur ökonomisch verankerten Steigerungslogiken doch über all die vernünftigen Einsichten obsiegen?

Dann müssen wir wenigstens in Würde scheitern.

Adloff greift hier einen Gedanken von Thomas Metzinger auf, der dazu mahnte, »uns aktiv um die Vermeidung von Apathie, Verbitterung und emotionaler Erschöpfung« zu kümmern. Mancher mag sich an den Hinweis des US-amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen erinnern, der vor nicht allzu langer Zeit in einem Gespräch mit Peter Unfried von der Unübersetzbarkeit des Wortes »kindness« sprach. »Selbst wenn man zu dem Schluss kommt, das Problem nicht lösen zu können, kann man doch versuchen, kind zu sein, die Leute gut und respektvoll zu behandeln und denen zu helfen, die Hilfe brauchen, wenn es in der eigenen Macht liegt. Das betrifft die menschliche Community, die Tierwelt, die Natur.« Oder in den Worten von Frank Adloff: »Die Erhaltung von Selbstachtung fordert von uns, auch angesichts von Scheitern und Vergeblichkeit das Richtige zu tun, einfach, weil es das Richtige ist.« (tos)

Frank Adloff: Wirkliches und Mögliches in der Klimakrise. Perspektiven der Sozialwissenschaften im ökologischen Wandel, Transcript Verlag, Bielefeld 2025, 248 Seiten, 29 Euro.  

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