»Momente des bewussten Verzichts« (1984)

Vor fast 40 Jahren machen sich Thomas Ebermann und Rainer Trampert Gedanken über die Zukunft der Grünen - unter anderem mit »Zwölf Thesen« zu »Ökologische Krise und gesellschaftliche Umwälzung«. Aus dem Archiv linker Debatte.

// Erstens: Die Menschheit zerstört gegenwärtig ihre natürlichen Lebensgrundlagen.

Zweitens: Die Zerstörung hat offensichtlich mit den inneren Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus zu tun (Zwang zu Wachstum, Akkumulation, rücksichtslos aus Gründen von Profit, Konkurrenz). Dieser muss überwunden werden.

Drittens: Der real existierende Sozialismus beweist, dass eine bestimmte Überwindung des Kapitalismus, die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, keine Lösung der Krise der äußeren Natur erbringt.

Viertens: Die notwendige Rettung menschlicher Lebensbedingungen in der äußeren Natur erfordert einschneidende Veränderungen in der Produktion und damit in den Konsumgewohnheiten der Mehrheit der Menschen in den industriellen Metropolen.

Fünftens: Die Emanzipation der Völker der Dritten Welt - deren spezifische Form von ihnen selbst gewählt werden muss, ihre gesicherte Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Wohnung sowie menschenwürdiges Leben - trifft ebenfalls nicht nur das internationale Kapital, sondern erfordert in den Industriemetropolen (jedenfalls aktuell) ein anderes Konsumtionsmodell.

Sechstens: Die Umweltzerstörung und die Lage der Dritten Welt fordern von jeder zukünftigen Gesellschaft Momente des bewussten Verzichts und Abschied von liebgewordenen Gewohnheiten, um andernorts menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, um aufgehäuften Schaden (Mülldeponien) abzutragen und um Unwägbarkeiten/ Zerstörungen, die im Produktionsprozess anfallen, zu verhindern.

Siebtens: Dieser Verzicht ist kein allgemeiner. Eine egalitäre Gesellschaft, die den Reichtum der wenigen abschafft und gerecht verteilt, die die Produktion sinnloser Güter (Kriegsmaschinerie) ebenso abschafft/reduziert wie die zu diesem System gehörenden »Dienstleistungen« (Versicherungswesen) und repressiven Funktionen (Staatsapparat) und die nicht auf die Herstellung von Gebrauchswerten verzichtet, weil die Profitrate nicht stimmt, die nicht Gebrauchswerte vernichtet, weil sie nicht profitabel am Markt untergebracht werden können, wird vieles auch materiell mehr als ausgleichen/ beseitigen können, was dieses kapitalistische System an Armut, sozialer Unsicherheit und Überbeanspruchung der Arbeitskraft hervorbringt.

Achtens: Rücksichtsvoller, die Zukunft antizipierender Umgang mit der Natur und dem eigenen Körper/Psyche kann nur erfolgen, wenn die drohende nackte materielle Not nicht alles andere erschlägt. Das setzt industrielle Produktion und Eingriffe in die Natur voraus.

Neuntens: Wichtig ist jedoch: Die heutigen Bedürfnisse gehören zum heutigen Gesellschaftssystem (und seines Vorläufers). Sie sind kritisierbar und veränderbar. Radikale Bedürfnisse, die etwas anderes sind als eine Kopie der Lebens- und Konsumbedingungen der herrschenden Klasse, die unter anderem auf menschliche Kreativität, Gesellschaftlichkeit, Naturgenuss etc. zielen, bilden heute schon wichtige Motive der Rebellion gegen dieses System.

Zehntens: Das Bedürfnissystem wird stark (nicht ausschliesslich) geprägt von der Stellung des Menschen im Produktionsprozess. Nur wenn hier der Zerstörung der menschlichen Gesundheit und seiner Kreativität Einhalt geboten werden kann, wenn hier so weit wie möglich schöpferisches kreatives Arbeiten zurückerobert wird, ist eine schrittweise Wiederaneignung wahrhaft menschlicher Bedürfnisse möglich. Nur dieser Weg ermöglicht einer Gesellschaft »ökologische Vernunft«, ohne despotisch-diktatorische Massnahmen des Staates gegen die Menschen.

Elftens: Aus dieser Sicht ergibt sich die Ablehnung der »Produktivität« als letzter Instanz der Bestimmung gesellschaftlicher Produktion. Die Stellung des Menschen im Produktionsprozess (und die Auswirkungen auf die äussere Natur des Menschen) werden zentral. Dies ist heute um so mehr möglich, als die Fähigkeit der Menschheit, in produktiver Auseinandersetzung mit der Natur ihre Lebensbasis zu reproduzieren, enorm gewachsen ist. Damit ist auch die objektive Freiheit gewachsen, den Zusammenhang von Arbeit und Leben neu zu bestimmen, ohne nur Mangel verteilen zu müssen.

Zwölftens: Ebensowenig wie die Produktivität ist die »freie Zeit« - also die Verkürzung des Arbeitstages - das alleinige oder bestimmende Mass des gesellschaftlichen Reichtums. //

aus: Thomas Ebermann, Rainer Trampert: Die Zukunft der Grünen. Ein realistisches Konzept für eine radikale Partei, Hamburg 1984.

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