Linke Politik: Gleichheit im planetaren Paradigma

Lossagung von Mythen und Plastikwörtern, Bereitschaft zur Strategiebildung und Anerkennung einer begrenzten Rolle als Partei, Transformation als Politik der Ermöglichung, nicht der lautesten Forderung. Und Gemeinschaftsgüter als Fundament einer resilienten Gesellschaft. Einige Thesen.

Ende Februar hat Horst bei der Jahrestagung des Netzwerks Progressive Linke »Einige Thesen zur Erneuerung fortschrittlicher Politik in der Linken« vorgestellt; diese gibt es nun auch schriftlich. Es geht darin um einen möglichen Weg der Strategiebildung der kriselnden Linkspartei und wie in einer erneuerten linken Erzählung eine bestimmte Deutung der Welt mit ihrer Veränderung zusammenhängen. 

»(...) Die Linke ist die Partei der ›Gleichheit‹: Sie stellt sich bewusst in die Tradition der Aufklärung, in die Tradition von Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit und des humanen Universalismus. Sie versteht sich insofern als Teil des ›Projekt des Westens‹. Sie kämpft um die materiellen (sozialen) Voraussetzungen, unter denen formale rechtliche Gleichheit Wirklichkeit werden kann: freie Gleiche, gleiche Freie. Das Bekenntnis zur Gleichheit aller Menschen knüpft an die Versprechen des alten Liberalismus an und begreift Sozialismus als ein gesellschaftliches Verhältnis, in dem diese Versprechen erst wahr werden können«, heißt es darin unter anderem. 

Das Ringen darum, Gleichheit praktisch durch politische Veränderung mehr zur Geltung zu bringen, findet heute unter anderen Voraussetzungen statt als vor 100 Jahren. Der Perspektivenwechsel greift den Begriff des »planetaren Paradigma« auf, zu dem es unter anderem hier bereits Überlegungen gibt, als auch das Problem der Umsetzungs- bzw. Durchsetzungsfrage, dazu auch hier einige Gedanken. Weiter mit Horst:

»Eine Paradigma ist eine grundsätzliche Denkweise, ein Ordnungsmuster. Ein Paradigmenwechsel, wie er hier vorgeschlagen wird, lässt sich fürs erste verstehen als ein Wechsel in den Perspektiven und Begriffen, mit denen wir versuchen, uns die Welt zu erklären. ›Planetar‹ meint die Gesamtheit der so-

zialen und natürlichen Lebensräume, Lebensbedingungen/-verhältnisse, ihre Wirkungszusammenhänge usw. Im Adjektiv ›planetar‹ wird die Unterscheidung zwischen ›sozial‹ und ›ökologisch‹ aufgehoben und eine Grenze zum nationalstaatlichen Paradigma gezogen (was nicht heißt, den Nationalstaat als realpolitischen Hebel für planetare Politik zu leugnen).

›Gleichheit‹ im ›planetaren Paradigma‹ zum Horizont linker, fortschrittlicher Politik zu machen, bedeutet politische Grenzen zu ziehen: zu denen, die leugnen, dass die Bedingungen von Gleichheit immer wieder neu hergestellt werden müssen; zu denen, die die Realität des einen Planeten, der der Menschheit nur zur Verfügung steht, wohlstandschauvinistisch leugnen. (…)

Das planetare Paradigma verwirklicht mit Blick in die Zukunft, was immer zum Wesensmerkmal linker Politik in Marx’scher Tradition zählt: die internationale Perspektive und die Gattungsfrage, die Menschheitsfrage (für die die Arbeiterfrage der entscheidende Hebel sein sollte). Es gibt den einen Planeten, auf dem mehr als 8 Milliarden Menschen leben, überleben wollen, elementare Sicherheiten und eine Perspektive wollen. Lebensräume auf diesem Planeten sind existenziell bedroht: durch Wetterextreme infolge von Klimaveränderungen, durch Verlust von Biodiversität, Klimaerhitzung. Gleichzeitig werden die verfügbaren, regenerierbaren Ressourcen des Planten weniger bzw. werden im Jahresverlauf immer früher verbraucht (Overshoot-Day).

Das planetare Paradigma stellt eine Politik der Gleichheit vor zwei große Fragen: Wie ist unter planetaren Bedingungen (eine Politik des) Wohlstandes für alle möglich (bzw. umgekehrt im Kant’schen Sinn: Ist es vorstellbar, dass alle Menschen so leben können wie wir)? Und wie ist unter Bedingungen von Mangel und Knappheit an Ressourcen, ihrer ungleichen Verteilung, eine auf Kooperation (Frieden, Zivilität - notwendig angesichts der Gattungsfragen) basierende Weltordnung möglich, was sind ihre sicherheitspolitischen, auch militärischen Voraussetzungen, um wachsenden Nationalismus, Gewalt und Krieg überwinden zu können.

Das planetare Paradigma bringt zugleich etwas an die politische Oberfläche, was im Untergrund der Gesellschaft schon lange gärt: das Wissen, dass so wie wir leben, nicht alle Menschen leben können. Dieses Unbehagen, dass das alles nicht gut gehen kann, hat keine direkte politische Repräsentation, nur eine indirekte: im Wohlstandschauvinismus, in der Abschottung, in Menschenfeindlichkeit und in Niedertracht, in der Flucht in die nationalstaatliche Wohlstandssicherung bis hin zur faschistischen Bewegung.

Das planetare Paradigma zwingt auch zu einer Debatte darüber, was Wohlstand im menschlichen Maß ausmacht; und wie der Verantwortung der frühindustrialisierten Staaten gegenüber den planetaren Lebensräumen zukünftig genüge getan werden kann.

Das planetare Paradigma fügt der Politik der Gleichheit die Aufgabe hinzu, neben dem ›Klassenbonus‹ auch den ›Ortsbonus‹ aufzuheben. Unter der Maßgabe der notwendigen Dekarbonisierung der Produktion/Produktivkräfte zieht die Linke eine klare Grenze zwischen Fossilisten und Postfossilisten. Die neue Linke bricht unwiderruflich mit dem fossilistischen Klassenkompromiss.

Jede Substitution fossiler Rohstoffe und entsprechende technologische Erneuerung muss nicht zwangsläufig begrüßt oder gar gefeiert werden. Es wäre aber falsch, sie zu bekämpfen, weil sie noch innerhalb des Kapitalverhältnisses stattfindet. Es ist falsch, auf heute unbekannte kommende Technologien zu setzen, aber es schadet nicht, wenn es neue technologische Lösungen etwa zur CO2-Bindung gibt. (…)« 

Die vollständigen Thesen von Horst vor dem Netzwerk Progressive Linke gibt es hier als PDF

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