Mögliche Gründe, mögliche Gründungen

Die »Letzte Generation« als Partei? Solche Überlegungen legt ein Zeitungsbericht nahe. So oder so: Es würde in ein übergeordnetes Bild passen - dass die Frage der parteipolitischen Repräsentation vor dem Hintergrund von planetaren Fragen und ökologischem Paradigma neu verhandelt wird.

Will die »Letzte Generation« eine Partei gründen? Davon geht jedenfalls die »Welt« aus, die über ein internationales Vernetzungstreffen von Klimaaktivist*innen berichtet, auf dem seitens deutscher Teilnehmer*innen erklärt worden sei: »Jetzt bemühen wir uns, eine politische Partei zu gründen.« Der Name solle nicht »Letzte Generation« lauten, »sondern irgendetwas anderes«.

Bekanntlich ist die Bezeichnung »Klimaliste« schon vergeben. Die sorgten vor allem 2020 und 2021 bei Kommunalwahlen mit einigen errungenen Mandaten für Aufmerksamkeit, traten später auch bei Landtagswahlen an, allerdings ohne die 1-Prozent-Marke zu übertreffen. Heißt das, für eine parteipolitische Repräsentation radikaler klimapolitischer Forderungen ist kein Platz? Darin sollte man sich nicht allzu sicher sein.

Die Spannung zwischen real existierender, zu begrenzter Klimapolitik und wissenschaftlich belegter, viel weitergehender Notwendigkeit wird eher größer, denn kleiner - wie der jüngste Bericht des Weltklimarates IPCC zeigt. »Noch haben wir es selbst in der Hand«, hoffen Expert*innen. Aber wer es dann wirklich und mit Aussicht auf die wirksame Veränderung in die Hand nimmt ist nicht so klar. Zu glauben, dass die FDP-gebremste Bundesregierung die Wende schafft, fällt selbst denen Tag für Tag schwerer, die berufsmäßig daran glauben müssen.

Also eine neue Partei? Die »Welt«, nicht gerade als Freundin des Klimaaktivismus bekannt, möchte die Bemühungen der »Letzten Generation« in dem »größeren Kontext… als Teil eines umfangreichen Professionalisierungsprozesses der Gruppe« sehen - kann dann aber nicht über das eigene Vorurteil hinausdenken, laut dem Überlegungen zu einer Parteigründung vor allem auf dem Motiv basierten, »noch effektiver Spendeneinnahmen generieren zu können«.

Hier legt die Zeitung große Leidenschaft an den Tag, über Strukturen, Gelder, Spender wird viel berichtet, was die »Letzte Generation« wie ein U-Boot zwielichtiger Interessen aussehen lassen soll. Das passt zur öffentlichen Empörung über den Aktivismus der Gruppe, die wiederum zu gesteigerten sicherheitspolitischen Reaktionen führt, auf welche dann die »Letzte Generation« glaubt reagieren zu müssen - Zitat aus dem Beitrag: »Wir denken darüber nach, viele legale Strukturen aufzubauen, weil es dann schwieriger wird, unsere Konten einzufrieren.«

Nun könnte man auf die offenbar geäußerte Idee, »eine politische Partei zu gründen«, auch anders blicken - nämlich mit der Frage im Kopf, wie es um eine parteipolitische Repräsentation radikaler klimapolitischer Forderungen bestellt ist. Und was eine entsprechende Antwort über das gegenwärtige Parteiensystem, den Stellenwert der biophysikalischen Existenzkrise oder die Chancen und Grenzen politischer Gestaltung sagen würde. Inwiefern eine solche Gründungsidee vor dem Hintergrund der - über Jahrzehnte gehenden - Durchsetzung des ökologischen Paradigmas mit seinen Folgen für Parteienlandschaft und so weiter auch ein wenig zwangsläufig ist, weil die Widersprüche zwischen ökologischer Dringlichkeit und politischer Kompromissbildung immer wieder zu der Frage führen, wie man diese zu Gunsten ersterer überwinden kann.

Es sind ja nicht in erster Linie die Idee die fehlen, sondern: wie man diese in einer hoch differenzierten Gesellschaft mit unterschiedlichsten sozialen Interessen, kulturellen Prägungen, machtpolitischen Vorteilen tatsächlich und in angemessener Zeit demokratisch umsetzt.

Einmal angenommen, es geht hier wirklich um ernsthafte Parteigründungs-Überlegungen (und nicht bloß um die Fortsetzung von antigrüner Berichterstattung), wäre unter anderem zu diskutieren: Eine Klima-Partei im Geiste der »Letzten Generation« würde die biophysikalische Existenzkrise radikal in den Mittelpunkt stellen - eher kompromisslos auf dem Notwendigen und Hinreichenden bestehend. Andere Parteien würden sich dann als das drumherum gruppieren, was sie sind: je spezifische Vermittlungen der Klima-Frage mit anderen Betonungen, unterschiedlichen Themen, spezifischen Interessen und unterscheidbaren Gewichtungen auf der Zeitachse.

Eine Partei der »Letzten Generation« wäre wohl auch zu mehr Pragmatismus und Operationalisierung gezwungen. Erwartbar, allerdings nicht von der »Welt«, wären daran anschließend auch Diskussionen über die Schwierigkeiten mit der Parteiform selbst, über die durchaus berechtigten Sorgen, beim Gang durch die Institutionen so zu werden wie jene Parteien, deren begrenzte Politik einen erst in den Aktivismus und dann - weil sich auch dort Schranken zeigen? - doch auch selbst ins parlamentarische System treibt.

Wenn man den Gedanken an eine Parteigründung also ernst nehmen würde, wäre auch zu konstatieren, dass die »Letzte Generation« offenbar an einem Punkt ist, über den Übergang ins Parlamentarische nachzudenken, also den Status der »Bewegung« zu verlassen und sich einem politischen »Elchtest« zu unterziehen: zu erleben, wie wenig oder wie viele Menschen bereit sind, eine Partei zu wählen, die ohne weitere Vermittlung zu anderen Alltagsinteressen »das Klima retten will«.

Mag sein, dass solche Debatten nun verstärkt auch in dem vielfältigen Spektrum der Klimabewegung geführt werden. Es bedarf sicher keiner Glaskugel, dass eine Meldung unter der Überschrift »Letzte Generation plant offenbar Gründung einer Partei« zu parteipolitischem Journalismus führt, welcher dann die möglichen Konsequenzen für andere  analysiert und entsprechende Äußerungen produziert. Die Folgen für die Grünen etwa, die das schon kennen, weil auch vor dem Hintergrund des Entstehens von Klimalisten öffentlich abgewogen  wurde, wie sich das für jene Partei bei Wahlen, in der Organisationsfrage usw. auswirkt, bei der viele an Klimaschutz und Ökologie denken (aber ebenfalls viele, dass es nicht reicht, was diese Partei tut).

Nicht zu vergessen jene Partei, die auch schon länger mit Berichten über eine mögliche »Ausgründung« konfrontiert ist. Erste Überlegungen, dem mit einer eigenen »disruptiven Neugründung« zu begegnen, die sich stark auf auch ökologische Bewegungsmomente konzentriert, wären - gesetzt, es geht hier um wirkliche Pläne der »Letzten Generation« - ebenfalls betroffen.

Vor ein paar Wochen wurde viel darüber berichtet, ob die LINKE die letzte Partei ist, die sich für die »Letzte Generation« einsetzt. Mancher Beobachter meinte, es könne sich als »Vorteil« erweisen, würde sich die LINKE »als stärkster Bündnispartner der Klimaschutzbewegung«  positionieren. Andere hatten viele »Aber« dazu zu bieten. Die laufen letzten Endes alle weniger auf einzelne Personen oder auf politische Umgangsformen hinaus, sondern vielmehr auf die Frage, was »linke Politik« in Zeiten der biophysikalischen Existenzkrise heißen kann.

Etwaige Überlegungen bei der »Letzten Generation« würden hier also in ein übergeordnetes Bild passen - als weiteres Zeichen dafür, dass auch die Frage der parteipolitischen Repräsentation vor dem Hintergrund von planetaren Fragen und ökologischem Paradigma neu verhandelt wird. (tos)

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