Verdrängung, eine Pascalsche Wette und Klimakommunikation
Wie schlimm ist es schon? Und was folgt daraus, wie wir darüber sprechen? Ein 50 Jahre alter Rat von Enzensberger, Diskussionen um »Doomismus« und »Verdrängungsgesellschaft«. Und was wissenschaftlich fundierte Tipps zur Klimakommunikation bringen könnten.
Über die Notwendigkeit tiefgreifender Veränderung besteht angesichts der Klimakrise wenig Dissens. Man mag unterschiedlicher Auffassung über deren bereits erreichtes Ausmaß sein, über die Folgen sowie Dringlichkeit und Reichweite des Gegensteuerns. Auch die empirischen Daten, die wissenschaftlichen Szenarien und deren Interpretation geben Anlass zu berechtigter Diskussion. Welches Ziel Klimakommunikation verfolgt, wie dabei jeweils andere Maßstäbe angesetzt werden, wer mit entsprechenden Forderungen adressiert wird; all das lässt sich vernünftig debattieren. Vielleicht besser jenseits polemischer Kurzgriffe in sozialen Netzwerken. Aber selbst die regen im besten Fall dazu an, bereits erreichte eigene Positionen noch einmal zwecks Prüfung und Fortentwicklung infrage zu stellen.
Dazu gehört, gegebenenfalls Ratlosigkeit einzugestehen. Vor ein paar Wochen hat Tadzio Müller über das seiner Meinung nach gekommene Ende aller »realistischen Szenarien« gesprochen: »Mein Wunschszenario ist, dass sich die Gesellschaft auf den Hintern setzt und sagt: Wir müssen uns aus ethischen Gründen deprivilegieren. Wir haben Klimaschulden gegenüber dem globalen Süden, wir müssen aufhören, diese verdammten Autos zu bauen und neue fossile Infrastruktur aufzubauen. Ich weiß aber, dass das vage und magisches Denken ist.«
Mit dem Begriff der »Verdrängungsgesellschaft« wird dabei recht gut eine Dimension der gegenwärtigen Lage beschrieben, nicht nur was die häufig aggressiven Reaktionen auf Teile der Klimabewegung angeht. Er habe unterstellt, so Müller, »die Gesellschaft reagiere rational auf Umstände und Anreize. Wenn die Kosten der Klimakrise zu groß werden, dann wird es Klimaschutz geben.« Dies sei »aber offensichtlich falsch«. Jedenfalls von Müllers Standpunkt aus betrachtet, der das, was von anderen als Fortschritt bewertet wird, als unzureichend ansieht. Hier geht es aber nicht bloß um unterschiedliche Ansprüche an Veränderung, sondern um einen grundlegenden Punkt: Selbst der Fortschritt in Sachen Klimapolitik, von Müller im Raster des »grünen Kapitalismus« verortet, reiche in existenzieller Dimension nicht aus: »Wir haben nur noch wenige Jahre, und in dieser Zeit kann man das Szenario zu den Akten legen.«
Man kann es sich einfach machen, und dies als Spielart des »Doomismus« abweisen. Ob man damit dann selbst einen Akt der Verdrängung produziert, ist schwer zu bestimmen. Eine »objektive Wahrheit« über den Ausgang der Entwicklung ist nicht zu postulieren. So richtig es ist, dass »die schrecklichsten Vorhersagen durch die Dekarbonisierung unwahrscheinlich geworden sind«, so richtig bleibt eben auch, dass »die hoffnungsvollsten durch die tragische Verzögerung praktisch ausgeschlossen wurden«, wie es David Wallace-Wells vor ein paar Wochen im New York Times Magazine beschrieben hat. »Die wahrscheinlichsten Zukunftsaussichten« lägen »immer noch jenseits von Schwellenwerten, die lange Zeit als katastrophal galten«, ein Scheitern der globalen Bemühungen um eine Begrenzung der Erwärmung auf ein »sicheres« Niveau ist weiter möglich.
Die Bewertung von Positionen innerhalb der Debatte um die, nennen wir sie einmal: biophysikalische Existenzkrise hängt unter anderem stark davon ab, wie man wissenschaftliche Szenarien interpretiert. Ist es also falsch, von einer biophysikalischen Existenzkrise zu sprechen, um die Dimensionen der Veränderung kenntlich zu machen? Nein, denn existenziell sind die Folgen schon jetzt für Millionen Menschen, einen beträchtlichen Teil der Arten und große Teile der Biosphäre. Existenziell sind die Folgen auch für die Möglichkeiten, den erreichten Stand zivilisatorischer Verhältnisse, von Freiheit, Gleichheit und Kooperation zu erhalten und über den freilich begrenzten, unfertigen Stand hinauszutreiben.
Was das sehr breite Feld der Szenarien der biophysikalischen Existenzkrise unter jeweils anderen Bedingungen sowie die damit zusammenhängenden Pointen angeht, findet man hier in der Washington Post und hier in der Süddeutschen Zeitung aktuelle Anregungen zum Weiterdenken.
Schon 1973 hat Hans Magnus Enzensberger vorgeschlagen, mit der zentralen »ökologische Hypothese«, derzufolge »der heutige Industrialisierungsprozess, wenn er sich quasi naturwüchsig fortsetzt, in absehbarer Zeit zu katastrophalen Konsequenzen führen wird«, nach Art der Pascalschen Wette umzugehen: »so lange die Hypothese nicht eindeutig widerlegt ist, wird es heuristisch notwendig sein, jeder Überlegung, die sich auf die Zukunft bezieht, ihre Aussagen zugrundezulegen. Nur wenn man sich so verhält, ›als ob‹ die ökologische Hypothese zuträfe, kann man sie auf ihre gesellschaftliche Dimension hin überprüfen«.
Das macht Diskussionen darüber, welche Schlussfolgerungen für die Klimakommunikation daraus zu ziehen sind, keineswegs überflüssig. Unlängst hat Zeke Hausfather über den »Spagat zwischen Fatalismus und Verharmlosung« gesprochen, und behauptet, heutzutage »sagen dauernd Leute: Ihr Klimaforscher untertreibt, wie schlimm es ist. Ihr wisst, dass die Welt bis 2070 unbewohnbar sein wird und Milliarden von Menschen sterben werden.« Wo das die Leute dauernd sagen, sei einmal dahingestellt. Der Punkt, den Hausfather macht, ist aber bekannt: Untergangserwartungen könnten entmündigend wirken und bergen »die Gefahr, dass die Interessen der fossilen Energieträger gewinnen, weil Menschen sich nicht mehr engagieren«.
Lorenz Matzat meint, »die gesamte Zivilgesellschaft muss weltweit zur Klimabewegung werden; allein so ist die Aufgabe einer gerechten, demokratischen Transformation der globalen Gesellschaft zu stemmen«. Also: Wie gewinnt man Menschen für Engagement, Veränderung usw.? Antworten darauf stellt er in einer Serie »über Fragen von Selbstwirksamkeit, Hegemonie und Operationalisierung« zur Diskussion.
Maike Sippel denkt in eine ähnliche Richtung. Die Professorin für Nachhaltige Ökonomie hält es für »offensichtlich, dass diese sozial-ökologische Transformation veränderte Strukturen braucht. Aber sie braucht auch Menschen wie Sie und mich. Menschen, die nicht mehr länger darauf warten, dass sich irgendwann einmal das System verändert, sondern die jetzt anpacken und ihren Teil dazu beitragen, dass diese Systemänderung wahrscheinlicher wird.« Dabei reiche es nicht, Faktenwissen zu verbreiten, sondern Sippel lenkt den Fokus auf das »Mindset, also unsere Denkweise und Haltung. Transformationskompetenzen umfassen Kopf, Herz und Hand.«
In der TAZ formuliert sie »zwölf Gedanken, die helfen können, den notwendigen Wandel zu gestalten und in diesen Zeiten stimmig zu leben«. Das mag angesichts von Hinweisen wie »Seien Sie dankbar« erst einmal wie die übliche Massenratgeberliteratur anmuten. Wer es gern wissenschaftlicher hat, sollte trotzdem bei Sippel weiterlesen, die über wirksame Klimakommunikation publiziert hat. »Zustimmung und aktive Mitwirkung der Menschen« seien eine »sehr wichtige Komponente« des allerorten angemahnten Wandels, und also wäre dies auch die entsprechende wissenschaftliche Evidenzbasis.
Gerade für Veränderungsoptionen von links, die in der Regel die am weitesten reichenden Ziele für gelingenden sozialökologischen Umbau formulieren, oft nicht weniger als einen gesellschaftlichen Systemwechsel, könnten hier Hinweise liegen, die eigene Kommunikation über politische Abziehbilder, »Es muss«-Phrasen und die Behauptung, man habe als einzige die richtigen Konzepte, hinauszuentwickeln. Und wenn die Analyse richtig ist, dass wir in einer »Verdrängungsgesellschaft« leben, wird man, um im psychotherapeutischen Bild zu bleiben, ums »darüber reden« auch nicht herumkommen.
Letzten Endes geht es um die Politisierung verständlicher Ratlosigkeit angesichts einer Situation, in der eigentlich alles auf dem Tisch liegt, und dennoch zu wenig gegen das Fortschreiten der biophysikalischen Existenzkrise passiert. Dabei könnte sich erweisen, dass neue, überraschende, noch ungedachte Lösungen, von denen auch Tadzio Müller spricht, gerade dort erdacht oder praktiziert werden, wohin die Klimakommunikation bisher nicht erfolgreich reichte: Der Sender erschließt nicht nur Empfänger, sondern bringt Neues zum Schwingen, von dem dann selbst neue Impulse ausgehen. (tos)