Klimanotizen 70
Was macht die Erderwärmung mit der weltweiten Lebensmittelproduktion? Wer ist häufiger von Angst vor dem Klimawandel betroffen? Wie handeln Menschen zwischen Klimabewusstsein und Konsumrealität? Und können wir wirklich klimaschädliche Emissionen durch Aufforstung ausgleichen?
#1 Wo stehen wir? Einen Monat nach dem zweitwärmsten Mai überhaupt in Europa: Die durchschnittliche Lufttemperatur an der Erdoberfläche betrug laut dem Climate Change Service Copernicus im Mai 15,79 Grad Celsius und lag damit ein gutes halbes Grad über dem Maidurchschnitt der Jahre 1991 bis 2020. Im Vergleich zum vorindustriellen Niveau (1850–1900) war es 1,4 Grad wärmer. Die durchschnittliche Meeresoberflächentemperatur erreicht den zweithöchsten jemals für diesen Monat gemessenen Wert. Weite Teile Nord- und Mitteleuropas sowie südliche Regionen Russlands, der Ukraine und der Türkei waren trockener als im Durchschnitt. Ben Noll hat hier eine »Vorschau auf mögliche Wettermuster in den kommenden Monaten«. Laut IGCC schließt sich das Zeitfenster, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, rapide. Das verbleibende CO2-Budget bei gleichbleibenden Emissionen dürfte bereits in etwas mehr als drei Jahren ausgeschöpft sein. Auch die Spielräume für die 1,6- und 1,7-Grad-Marken könnten in weniger als einem Jahrzehnt überschritten werden. Zu den Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion und die Ungleichheit: Längst wird immer klarer, wie die Klimakrise das Essen verteuert. Ryan Katz-Rosene hat jetzt auf eine Studie hingewiesen, in der nicht nur darauf geblickt wird, wie sich der Klimawandel auf die Erträge auswirkt. Die weltweite Lebensmittelproduktion würde mit jedem zusätzlichen Grad Celsius um rund 120 Kilokalorien pro Person und Tag sinken - einer der beteiligten Forscher dazu: »Wenn sich das Klima um 3 Grad erwärmt, ist das so, als würde jeder Mensch auf der Welt das Frühstück auslassen.« Aber welche Gegenwirkung haben Anpassungsmaßnahmen im Agrarsektor?: »Wir gehen davon aus, dass Anpassung und Einkommenswachstum 23 Prozent der weltweiten Verluste im Jahr 2050 und 34 Prozent am Ende des Jahrhunderts abmildern, es bleiben jedoch erhebliche Restverluste für alle Grundnahrungsmittel außer Reis bestehen.«
#2 Eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie widmet sich dem Nexus von »Klimawandel, Migration und Konflikt«. »Wetterextreme und schleichende Umweltveränderungen treffen vielerorts auf bestehende soziale Ungleichheiten. Das führt in immer mehr Regionen zu Hunger, Vertreibung und wachsender Gewalt. 2024 waren weltweit über 83 Millionen Menschen innerhalb ihres Heimatlandes auf der Flucht – eine Verdoppelung im Vergleich zu vor zehn Jahren.« Die Klimakrise sei zwar »selten alleinige Ursache von Flucht oder Gewalt. Doch in Regionen mit schwachen Institutionen, hoher sozialer Ungleichheit oder fehlendem Schutz beschleunigt er bestehende Spannungen.« Apropos Klima-Migration: Fast ein Drittel der Bewohnerinnen des pazifischen Inselstaats Tuvalu haben bereits eine Woche nach Start des Aufnahmeprogramms Klima-Asyl in Australien beantragt. Hier wird mit Blick auf Afrika angemahnt, »differenziert auf das Phänomen Migration im Kontext von Ernährungssicherheit, ländlicher Entwicklung und Klimawandel auf dem afrikanischen Kontinent zu schauen. Pauschale Deutungen von Migration wahlweise als Vorstufe der Apokalypse oder als Allheilmittel helfen nicht weiter.«
#3 Eine Metaanalyse von 94 Studien mit insgesamt über 170.000 Teilnehmerinnen aus 27 Ländern widmet sich der Klimaangst: Bestimmte Gruppen sind häufiger von Angst vor dem Klimawandel betroffen (Jüngere, Frauen, Menschen mit linksgerichteten Ansichten sowie solche, »die den wahrgenommenen Folgen des Klimawandels oder häufigen Informationen zum Klimawandel ausgesetzt sind«. Wer Klimaangst hat, hat ein geringeres Wohlbefinden, aber stimmt eher Klimaschutzmaßnahmen zu. Der »Kluft zwischen den Generationen in Bezug auf den Klimawandel« hat sich auch Hannah Ritchie zugewandt und warnt vor falschen Vorstellungen über die Unterschiede: »Junge Menschen werden als unvernünftig und selbstgerecht dargestellt, während ältere Menschen ignorant und egoistisch sind«, dies seien aber Fehlinterpretationen. »Die Generationenkluft in Bezug auf den Klimawandel und die Besorgnis darüber existiert zwar, ist aber viel kleiner, als viele denken.« Eine Studie aus Oldenburg »zeigt, dass sich die verbreitete Annahme, Menschen würden sich durch die Geburt eines Kindes verstärkt um Umwelt und Klima sorgen, so pauschal nicht bestätigen lässt«. KPMG hat unter der Überschrift »Zwischen Klimabewusstsein und Konsumrealität« Zahlen veröffentlicht, die zeigen, wie Verbraucherinnen ihr Konsumverhalten einordnen. Rund ein Drittel würde »konsequent nachhaltig« handeln, die Mehrheit aber zeige »selektives, preis- oder bequemlichkeitsgetriebenes Verhalten«. Unterschieden wird dabei nach vier Nachhaltigkeitstypen. Hier wird über eine aktuelle Umfrage der American Psychiatric Association berichtet, die ausweist, dass mehr als 40 Prozent der Erwachsenen erklären, dass sie persönlich Auswirkungen der Klimakrise auf ihre psychische Gesundheit spüren, darunter fast jeder Fünfte in erheblichem Ausmaß.
#4 Noch einmal zurück zum europäischen Climate Bulletin für Mai, das feststellt: Im Frühjahr 2025 wurde in Europa der niedrigste saisonale Flussabfluss seit Beginn der Aufzeichnungen 1992 verzeichnet. Das Thema »Wasser« drängt nach dem trockenen Frühjahr immer stärker in den Vordergrund. Hier wird über eine Studie berichtet, laut der hierzulande das Grundwasser in Gefahr ist: Belastet unter anderem durch Bergbau, Hitze und Verschmutzungen wurden neue Tiefststände erreicht. »In jedem zweiten Landkreis herrscht bereits Wasserstress. Besonders betroffen sind Regionen mit intensiver Landwirtschaft, viel Industrie oder einer hohen Bevölkerungsdichte«, heißt es zu der Studie hier. Das Umweltbundesamt steuert neue Daten zur Grundwasserneubildung bei: Diese ist der entscheidende Faktor dafür, welche Mengen Trinkwasser entnommen werden können ohne langfristig diese wichtige Ressource zu gefährden. Mit Blick auf Debatten über die Umweltwirkungen der Ernährung kritisiert das Umweltbundesamt die alleinige Fokussierung auf »den Klimafußabdruck«, besser wäre es, »drei zentralen Kriterien für die ökologische Bewertung von Lebensmitteln« zu berücksichtigen: neben den Treibhausgasemissionen auch Biodiversität und Wasserverbrauch. Die Idee, klimaschädliche Emissionen durch Aufforstung auszugleichen, ist in der Praxis kaum umsetzbar, zeigt eine neue Studie: Selbst eine vollständige Aufforstung Nordamerikas würde weniger CO2 binden als der Menge entspricht, über welche die 200 größten Kohle-, Öl- und Gaskonzerne zur Verbrennung verfügen. Ein Problem auch hier der Wassermangel, der Aufforstung zu einer nicht verlässlichen Lösung macht (neben Waldbrände und Wetterextremen). Außerdem nimmt die Speicherfähigkeit der Wälder weltweit durch den Klimawandel ab.
#5 In dieser Woche wird in Sevilla auf der vierten internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung auch über die Klimafinanzierung gesprochen. Bei den Klimareportern erfährt man: »Die Abschlusserklärung ist schon fertig – mit vielen leeren Worten.« Das lässt sich in ein größere Bild rücken: die internationale Klimadiplomatie hat in einer Welt der Konflikte und des Autoritarismus einen schweren Stand. Bei Carbon Brief werden die wichtigsten Ergebnisse der Fachgespräche in Bonn zusammengefasst, die vor der COP30 in Brasilien Durchbrüche in kritischen Fragen erreichen sollten. Hier wird über die Gründe für den weiterhin anhaltenden Grundkonflikt zwischen Industrie- und Entwicklungsländern nachgedacht, die auch die Klima-Zwischenkonferenz in Bonn dominierten. Noch etwas erweitert ist diese Perspektive: »In den letzten drei Jahrzehnten war meist anderes politisch wichtiger als Klimaschutz – damit hatte eine engagierte Klimapolitik immer zu leben. Doch vermutlich hatte sie noch nie so einen schlechten Stand wie heute.« Dies schlage sich auch im Handeln der neuen Bundesregierung nieder, »die das Klima als Thema zweiter Klasse behandelt«: verfolgt wird ein Kurs der Erdgas-Lobby, die Umwidmung von für das Klima eingestellten Gelder, die Minderung von grünen Förderungen… Auch die Stoffstrombilanz ist auf Druck der Agrarlobby weggefallen. Hier finden sich einige fachliche Einordnungen dazu.