Klimanotizen 68

Wärmer, trockener, extremer. Trotzdem steigt der Energieverbrauch, werden Jeans immer kürzer getragen und hat die Regierung ein anachronistisches Naturbild. Auch die Klimamüdigkeit nimmt zu. Eine Reparaturbewegung kommt nicht recht in Gang. Und sogar Höflichkeit macht Probleme.

#1 Wo stehen wir? Das erste Quartal 2025 war das zweitwärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – das wärmste war 2024 erreicht worden. Vor einem Jahr waren die Daten aber durch ein starkes El Niño-Ereignis begünstigt worden, während das Jahr 2025 mit schwachen La Niña-Bedingungen begann. »Dass die Temperaturen im Jahr 2025 einen neuen Jahresrekord erreichen, ist derzeit allerdings noch unwahrscheinlich«, schreibt Zeke Hausfather in einer ausführlichen Analyse der bisher aus 2025 vorliegenden Zahlen. Die Erderhitzung lässt den globalen Stromverbrauch für die Kühlung steigen, das befeuert auch die Emissionen, berichtet die FAZ unter Berufung auf den Jahresbericht der Internationalen Energieagentur IEA, der die globalen Trends des Energieverbrauchs zusammenfasst. Alle Energiearten zusammengenommen stieg der globale Verbrauch um 2,2 Prozent – im Schnitt der zehn Jahre zuvor sind es nur 1,3 Prozent gewesen. Blickt man nur auf die Elektrizität, »betrug das Plus sogar mehr als vier Prozent. Das war die stärkste je verzeichnete Zunahme in einem Jahr außerhalb von Erholungsphasen nach einer Rezession. Der zusätzliche Stromverbrauch erreichte im vergangenen Jahr fast 1100 Terawattstunden, das ist mehr, als Japan in einem Jahr verbraucht, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt.« Laut Alfred-Wegener-Institut hat es so wenig arktisches Meereis wie noch nie seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen im Jahr 1979 gegeben. Der Rückgang um eine Million Quadratkilometer im Vergleich zum Mittel der Beobachtungsjahre 1981 bis 2010 entspreche ungefähr einem Verlust der Fläche von Deutschland und Frankreich zusammen. Das alles zusammen zeigt immer öfter seine Folgen in Extremwetter-Ereignissen. »Viele Medien berichten kaum mehr darüber, obwohl hier eine unfassbare Krise direkt vor unseren Augen passiert«, heißt es beim Klimablog, der eine fortlaufende Liste mit entsprechenden Meldungen veröffentlicht. Und auch das noch: Höflichkeit erhöht den Verbrauch von Wasser und Energie. Jedenfalls in den als »KI« bezeichneten generativen LLM-Agenten: Weil Menschen zu ChatGPT und Co. gern »bitte« und »danke« sagen, müssen auch mehr Eingaben verarbeitet werden – mit den entsprechenden ökologischen Folgen. 

#2 In der Bundesrepublik war es seit Beginn der Auswertungen 1931 von Anfang Februar bis Mitte April noch nie so trocken wie heuer. Der im Flächenmittel erfasste Niederschlag lag laut DWD mit nur 40 Litern pro Quadratmeter 88 Liter oder 68 Prozent unter dem Mittel des Referenzzeitraums 1991 bis 2020. Die »Süddeutsche« hat unter der Überschrift »Der Wüstenplanet« Studien zusammengefasst, die dem Trend des globalen Wasserkreislaufs im Klimawandel nachforschen: »Das Ergebnis ist alarmierend: Die Kontinente trocknen aus.« Zwischen 1979 und 2016 ist der Meeresspiegel demnach »allein durch den Verlust von Bodenfeuchte um mehr als einen Zentimeter« angestiegen; das entspricht »fast vier Billionen Tonnen Wasser, die die Kontinente zugunsten der Ozeane verloren haben – dem knapp Hundertfachen der Wassermasse des Bodensees. In einer ähnlichen Größenordnung ging auch Grundwasser verloren.« Einige Aufmerksamkeit hat der »European State of the Climate 2024« erhalten, in dem rund hundert wissenschaftliche Beiträge einen ausführlichen Überblick über die Klimakrise in Europa geben. Europa ist der sich am schnellsten erwärmende Kontinent, wird hier zusammengefasst,  dafür gibt es »mehrere Gründe: den hohen Anteil an den Landflächen der Arktis, die sich schneller erwärmen als alle anderen Regionen der Erde, die Veränderung in der Atmosphärenzirkulation, die sommerliche Hitzewellen begünstigt, und den Rückgang des Ausstoßes an Aerosolen«. Deutlicher wird dabei der Ost-West-Kontrast mit »trockenen, sonnigen und extrem warmen Bedingungen im Osten und bewölkteren, feuchteren und weniger warmen Bedingungen im Westen«.»Zeit für ein neues Paradigma?«, fragt das »nd« und diskutiert die begrenzten Möglichkeiten, mit den gängigen Klimamodellen regionale Klimatrends zu erfassen. Anlass ist eine in »Nature« erschienene Intervention, die von einer paradigmatischen Krise der Klimaforschung spricht. »Wichtig ist es den Forschern aber zu betonen, dass die gefundenen Abweichungen von den Klimamodellen keinesfalls die physikalischen Grundlagen der Disziplin infrage stellen. Wollen wir der Erderwärmung entgegenwirken, müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen vermindern.«

#3 Allerdings: Immer weniger Bundesbürgerinnen und Mitgemeinte befürworten laut einer internationalen Ipsos-Befragung mehr Klimaschutz. Nur noch rund 40 Prozent seien der Ansicht, Deutschland müsse mehr für den Klimaschutz tun – 2021 waren es noch rund 70 Prozent. Man findet einen Abdruck davon auch in der wahlpolitischen Demoskopie: Im April 2021 hatten die Grünen in einer Emnid-Umfrage mit 28 Prozent die Union (27 Prozent) überholt; im April 2024 waren die Grünen beim selben Institut nicht einmal halb so stark wie CDU und CSU zusammen. »Woher kommt diese Klimamüdigkeit zur Unzeit?«, fragt Peter Carstens und glaubt, es sei »wohl vor allem die Hilflosigkeit, die die Menschen in die Verdrängung treibt. Eine Behauptung hat sich dabei als besonders wirkmächtig erwiesen: Der Einzelne könne ohnehin nichts ausrichten, und Deutschland sei doch nur für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Was, so die Logik, nützt es im globalen Maßstab, wenn hier irgendjemand auf eine Flugreise oder eine Wurst verzichtet? Wozu Wohlstand und Wirtschaft ruinieren, wenn die Pro-Kopf-Emissionen in den Schwellenländern nur eine Richtung kennen – nach oben?« Solche »Whataboutismus schwächt nicht nur den nationalen Klimaschutz – weil er ihm die demokratische Legitimation entzieht. Er untergräbt auch internationale Bemühungen wie das Pariser Klimaabkommen.« 

#4 Rücken damit also die Kipppunkte näher? Beim Diskursmonitor hat man sich den Begriff selbst einmal genauer angeschaut, der »in nur wenigen Jahren seit 2018 zu einem populären Schlagwort geworden« ist. Einst in der Fachsprache beheimatet, ist es in den unterschiedlichsten Kontexten überall anzutreffen, der ein »Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung« anzeigt, »die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.« Es ist also ein Aufmerksamkeitsschlagwort, außerdem ein »Dystopie-Topos«, der wie andere »durch Gewöhnungseffekte nur eine beschränkte Haltbarkeit« aufweist. »Mittel- und erst recht langfristig aber nutzen sich Dystopie-Topoi sehr schnell ab und befördern dann Gleichgültigkeit, Apathie oder sogar gezielt kontraproduktive Haltungen gegenüber dem Sachverhalt.« Womit vielleicht auch ein Grund angesprochen ist, der in den Ergebnissen der Ipsos-Befragung Ausdruck findet. Dort findet man auch noch diese Zahl: Drei von fünf Bundesbürgerinnen glauben, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien zu höheren Energiepreisen führen wird – so viele wie in keinem anderen Land. Tatsächlich machen Erneuerbare Strom und Wärme auf mittlere Sicht preiswerter. Aber der Weg des Umbaus führt über den Hebel der CO2-Bepreisung tatsächlich zunächst einmal zu höheren Preisen. Thomas Fricke und Isabella Wedl warnen hier vor einem Preisschock, den die angehende Bundesregierung nicht werde durchhalten können, wenn im Januar 2027 in Europa der europäische Emissionshandel auf Transport und Gebäude ausgeweitet wird: ETS2. Ob die in den Koalitionspapieren angekündigten Ausgleichszahlungen zur Kompensation sozialer Härten ausreicht? Fricke und Wedl plädieren stattdessen für eine umgehende Wende »weg von einer Klimapolitik, die gegen immer neue Widerstände wie verzweifelt auf Verteuerung fixiert ist, hin zu einer, die sehr viel mehr auf positive Anreize setzt – ob über Prämien und massive Investitionen etwa in Ladeinfrastruktur oder über Steuererleichterungen auf alles, was hilft, das Land klimaneutral zu machen.« Aber so oder so: Für ebenso gerechte wie die Transformation über Verhaltensänderungen, neue klimagerechte Infrastrukturen und Umstellung der Produktion beschleunigende Anreize wird viel Geld nötig sein, viel mehr, als bisher hierzulande für den Klimaumbau mobilisiert wird. Da kommen zwei Fragen ins Spiel: Müsste man nicht die eigentlichen Verursacher zur Kasse bitten, etwa per Schadenersatz, den Konzerne zahlen sollten? Eine in »Nature« veröffentliche Studie schlägt nun einen neuen wissenschaftlichen Rahmen vor, der es ermöglichen könnte, die Kosten extremer Wetterereignisse, die durch den Klimawandel verstärkt werden, einzelnen Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie zuzuordnen. »Zwischen 1991 und 2020 verursachte extreme Hitze, die mit Emissionen von lediglich 111 Unternehmen in Verbindung steht, weltweit wirtschaftliche Verluste von schätzungsweise 28 Billionen US-Dollar, so die Studie. Allein auf die fünf größten Emittenten entfielen nach den Berechnungen davon 9 Billionen US-Dollar. Diese von den Forschern als Carbon Major bezeichneten Firmen sind: BP, Gazprom, Saudi Aramco, ExxonMobil und Chevron«, wird hier das Ergebnis zusammengefasst. Eine andere Option der Finanzierung von klimagerechtem Umbau hat Halina Wawzyniak hier diskutiert: einen Klimasoli. Kann man auf diese Weise diejenigen für die Folgen bezahlen lassen, die »in einer die Klimakatastrophe befördernden Art« produzieren bzw. »wer einen besonders großen ökologischen Fußabdruck hinterlässt«? Ergebnis: »Ein Klimas-Soli ist grundsätzlich möglich.  Wie dieser ausgestaltet werden soll, ist eine politische Entscheidung, die auch die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Risiken abwägen muss.«

#5 Ein weiterer Hebel, den Verbrauch von Ressourcen zu verringern, besteht darin, die Nutzungsdauer von Produkten wie Elektrogeräten aber auch Textilien und anderen Gebrauchsgütern zu verlängern. Auch hier könnte man wieder daran denken, die Konzerne mit wirksameren Vorschriften in die Pflicht zu nehmen. Ein neuer Bericht des Umweltbundesamts nimmt sich aber erst einmal die bestehenden Möglichkeiten eines »Rechts auf Reparatur« vor – entsprechende EU-Vorgaben müssen bis Mitte 2026 in nationales Recht übertragen werden. Die Studie konzentriert sich dabei unter anderem auf die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt: In einem Szenario »Recht auf Reparatur« wären ohne die Berücksichtigung neu entstehender Konsummöglichkeiten (Reparatureffekt) insgesamt rund 75.000 Arbeitsplätze durch den Umbau betroffen – 28.000 entstehen neu, 48.000 fielen weg (vor allem Verkaufsberufe). Im Einzelhandel gehen mehr Arbeitsplätze verloren, als in der Reparaturbranche insgesamt hinzukommen. Zu den neu entstehenden Arbeitsplätzen zählen vorwiegend Berufe in den Bereichen IKT, Textil, Maschinen- und Fahrzeugtechnik, Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe – diese würden aber im Schnitt auch besser bezahlt sein. Bezieht man die durch eingespartes Geld (für Neukauf) entstehenden neuen Konsummöglichkeiten ein (Reparatur- plus Konsumeffekt), könnte die Zahl der Erwerbstätigen sogar um rund 60.000 Personen steigen. Allerdings: Reparatur ist bisher »keine Wachstumsbranche und aus Sicht der privaten Haushalte immer weniger wichtig«. Dazu gibt es Beispiele: Eine Jeans sei früher 27 Monate getragen worden, heutzutage seien es noch elf Monate. Hier wirken aber eher Konsummuster wie Fast Fashion. Die Rahmenbedingungen für eine starke Reparaturkultur müssten sich deutlich verbessern. Auch seien die vergleichsweise hohen Preise für Ersatzteile ein Problem. In der »Reparaturbewegung« (FAZ) werden klare gesetzliche Vorgaben gefordert, etwa dazu, wie oft Kleidungsstücke mindestens waschbar sein sollten. Eine Option wäre zudem, die Mehrwertsteuer für Reparaturen von Smartphones und Laptops zu senken. In enger Beziehung zur Reparaturfrage steht die Wegwerffrage –- und das Umweltbundesamt hat nun auch die Recyclingquoten des Verpackungsgesetzes evaluiert. Übergreifend dazu noch der Hinweis auf einen Themenverschwerpunkt bei »Makronom«, der sich um die Circular Economy dreht. »Ohne die Steigerung der Ressourcenproduktivität, eine Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten und die Kreislaufführung von Materialien können ökologische Ziele kaum erreicht werden«, schreibt Sara Holzmann hier. Etwa 50 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und mehr als 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes und des Wasserstresses werden durch die Gewinnung und Weiterverarbeitung von Rohstoffen verursacht. Hier finden sich weitere Beiträge, die Chancen, Risiken und Handlungsbedarfe einer Circular Economy diskutiere. Man beachte hier unbedingt die Zahl zum Biodiversitätsverlust, der in der öffentlichen Wahrnehmung der planetaren Krise noch immer zu wenig Aufmerksamkeit erfährt. In der FAZ ist Petra Ahne ziemlich sauer und das zu Recht: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sei von einem veralteten Naturbild durchdrungen. In der von den Regierungspartnern skizzierten »Erzählung des Landes von sich selbst, seiner Ziele, Prioritäten und Werte« tauche das Problem gar nicht auf. »Natur tritt auf Seite 36 auf, in einer Reihe mit ländlichen Räumen, Landwirtschaft, Ernährung und nicht zufällig als Schlusslicht.« Zwar werde dort dann konstatiert, »intakte Natur und Umwelt« seien eine Erwartung »der Menschen«. Ahne glaubt aber nicht, und wer würde ihr widersprechen wollen, dass die von den Regierungsparteien aufgerufene »Erwartung dieser vorgestellten Bürger nicht darauf gründet, dass in einer Welt der degradierten Ökosysteme ihnen saubere Luft, Wasser, Nahrungsmittel fehlten. Es ist vielmehr die überkommene Idee, Natur sei zu Erbauung und Nutzen des Menschen da, die den Koalitionsvertrag durchweht.« An dieser Stelle auch noch einmal kurz der Hinweis auf diese Zusammenfassung der Ergebnisse der Weltnaturkonferenz COP 16 im Februar von Ahne. Beim Science Media Center bewerten Expertinnen die Abschlüsse der Weltbiodiversitätskonferenz. Tenor: Die erzielten Übereinkünfte zum Finanzierungsplan für globalen Biodiversitätsschutz werden positiv gesehen – aber es gibt offene Fragen zur tatsächlichen Bereitstellung der Mittel.

Subscribe to linksdings

Don’t miss out on the latest issues. Sign up now to get access to the library of members-only issues.
jamie@example.com
Subscribe