Klimanotizen 64
Der Golfstrom ist doch stabiler als gedacht, aber eine richtige Entwarnung ist das nicht. Was die nationalistisch-rechtsradikale Umweltpolitik von Trump anrichten wird und wie es um die globale Kooperation in geokonfliktreichen Zeiten bestellt ist. Und: Wie zukunftsfähig sind die Wahlprogramme?
#1 Wo stehen wir? Eine neue Studie zeigt, dass die Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (AMOC) »in den letzten 60 Jahren nicht zurückgegangen ist und derzeit stabiler ist als erwartet«. Es bestehe zwar »fast Einigkeit darüber, dass sich die Umwälzbewegung im Atlantik in Zukunft verlangsamen wird, aber ob sie zusammenbrechen wird oder nicht, ist noch offen«. Dies bedeute, »noch Zeit zum Handeln ist«. Frühere Studien, die einen raschen Kollaps des Golfstroms nahelegten, hatten Schlagzeilen gemacht, aber auch Kritik hervorgerufen. Wir hatten das Thema hier. Es gibt neue Übersichten über die Dekarbonisierung der Stromproduktion in verschiedenen Ländern. In Australien hat Solarstrom dazu beigetragen, dass die Verstromung von Kohle auf einen neuen Monatstiefststand fiel; in Chile machte Solarenergie zuletzt 28 Prozent der Stromproduktion aus. Uruguay hat seit Juli keine fossilen Brennstoffe mehr in seinem Strommix. In den OECD-Staaten ist der Kohleverbrauch für die Stromerzeugung gesunken. Auch interessant: »Der Umstieg auf erneuerbare Energie-Formen hat weitreichende Folgen. So würde sich der Schiffsverkehr auf unseren Ozeanen fast halbieren, weil nahezu die Hälfte aller Schiffe nur Kohl, Öl oder Gas transportiert.« In der Bundesrepublik wurden 2024 nur noch halb so viele Fluggäste auf Inlandsflügen registriert wie vor Corona. Allerdings wuchs die Zahl der Passagiere wieder, doch das liegt vor allem am Auslandsverkehr. Eine andere Studie hat die Veränderung des individuellen Flugreiseverhaltens in Großbritannien zwischen 2012 und 2019 untersucht und dabei die Auswirkungen von Veränderungen einer Vielzahl von Faktoren, etwa soziodemografische und ökonomische Lage, Wohnort und räumliche Verteilung sozialer Netzwerke, Autobesitz und Umwelteinstellungen, in den Blick genommen.
#2 Der Start der zweiten Amtszeit Von Donald Trump »ist ein schwarzer Tag für die US-amerikanische und internationale Klimapolitik. Die Welt steuert weiter in eine ungebremste Klimakatastrophe«, ist das DIW besorgt. Der Meereswissenschaftler Andrew Rosenberg nicht minder: »Die nationalistisch-rechtsradikale Umweltpolitik einer zweiten Trump-Regierung beruht auf dem Narrativ, dass staatliche Maßnahmen gegen den Klimawandel, gegen die Umweltverschmutzung und für die öffentliche Gesundheit tatsächlich nicht dem Gemeinwohl dienten, sondern eine dunkle Verschwörung zur Kontrolle der Menschen seien.« Trumps angekündigter Ausstieg aus dem Pariser Klimavertrag wird hier von Expertinnen bewertet. Tenor: Dies werden »weltweite Klimaschutzbemühungen beeinflussen, aber die Energiewende in den USA kann wohl nicht umgekehrt werden«. Hier ordnen Mitgliedsorganisation der Klima-Allianz Deutschland ein, »welche konkreten klimapolitischen Folgen Trumps anstehende Präsidentschaft haben wird«. Dies wird mit der Forderung an die Bundesregierung verbunden, »international breitere Allianzen für Klimaschutz zu bilden«. Schon ein paar Tage alt ist eine längere Betrachtung von Laurie Laybourn und James Dyke über die »Schreckensschleife« aus Klimawandel und internationaler Instabilität. Kriege, Handelskonflikte und der Aufstieg autoritärer Regime nehmen zu, damit ist der geopolitisch hemmende Faktor von globaler Klimapolitik beschrieben. »Aber dieses Jahr zeichnet sich etwas Beunruhigenderes ab: Der Klimawandel selbst beginnt, Auswirkungen auf die Geopolitik zu haben.« Durch Klimawandel selbst werde die Geopolitik weniger stabil, was sich dann wieder negativ auf den Klimaschutz auswirkt - ein Unglückskreislauf. Auch Susanne Götze greift das Thema in den »Blättern« auf, sie blickt dabei vor allem auf die Frage, welchen Sinn die Klimakonferenzen eigentlich noch haben, die »von rechts, aber auch aus der Klimabewegung immer wieder« in Frage gestellt würden. Aber: »Planetare Krisen benötigen planetare Lösungen und eine Alternative zu den UN-Konferenzen gibt es schlicht nicht.« Im neuen Heft wird außerdem eine Debatte fortgesetzt, die der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, begonnen hatte: Wie kann die ökologische Transformation wieder Schwung aufnehmen? Nicht ohne soziale Sicherheit und attraktiven Zukunftsentwürfen, antworten Ulrich Brand und Achim Brunnengräber, die Messners relativen Optimismus nicht teilen.
#3 Apropos soziale Klimafragen. Eine Reduzierung des Energiebedarfs im globalen Norden sollte mit den Grundsätzen eines gerechten Übergangs vereinbar sein, davon geht diese neue Studie aus – die durchgerechnet hat, in welchem Ausmaß eine Begrenzung des Energieverbrauchs des obersten Einkommens-Quintils in 27 europäischen Ländern zur Reduktion von Treibhausgasen beitragen würde: um 11,4 Prozent bei der Haushaltsenergie, um 16,8 Prozent beim Verkehr und um 9,7 Prozent beim Gesamtenergieverbrauch. Die Ergebnisse zahlen in einer Debatte ein, in der die Verursacher-Ungleichheit betont wird. Vera Huwe hat hier Bemerkungen dazu gemacht: Entscheidend sei bei einer Politik, die auf diese Ungleichheit mit wirksamem Maßnahmen reagiere, nicht zuletzt »der mögliche indirekte Effekt« auf die Akzeptanz und Wirkung von Klimaschutzmaßnahmen: Absinken des dreckigen Luxuskonsums, Veränderungen im Warenkorb, denen zufolge sich die technische Umsetzbarkeit der Dekarbonisierung verbessert, weniger einseitige politische Einflussnahmemöglichkeiten gegen Klimapolitik, wenn die Ungleichheit zurückgeht und damit auch die Macht der oberen Einkommens- und Vermögensgruppen, weniger ökonomische Sorgen, die zu höherer Akzeptanz der Transformation beiträgt.
#4 Eigenheimbesitzer in Deutschland planen häufig mit Sonnenstrom, so lautet das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag der Initiative Klimaneutrales Deutschland. 36 Prozent, die ein eigenes Haus haben, gaben an, bereits eine Solaranlage zu haben, weitere 29 Prozent wollen sich in den kommenden fünf Jahren eine anschaffen. Die Zahlen geben auch Einblick anhand von Parteipräferenzen: Anhänger der Grünen liegen vorn, aber auch unter AfD-Wählern haben 57 Prozent schon Solar auf dem eigenen Dach oder planen die Installation. Deutlicher gehen die Zahlen auseinander, wenn nach Elektroauto oder Wärmepumpe gefragt wird. Womit wir im Wahlkampf wären, in dem es um planetare Fragen kaum geht. Warum nicht? Es fehlt auch an Nachfrage, meint Petra Pinzler in der »Zeit«: Zu Hochzeiten der FFF-Proteste »wurde intensiv vor dem 1,5-Grad-Ziel gewarnt, nach dessen Überschreiten sich alles ändern würde. Was dann nicht passierte, jedenfalls hier nicht. Wir leben auch heute noch. Wir gehen weiter ins Kino und fahren in den Urlaub. Wir konnten und können uns also ganz gut einrichten in der trügerischen Sicherheit der Davongekommenen – und die Augen schließen.« Derweil fordert das Netzwerk Klimajournalismus eindringlich, das Thema auf die Agenda zu setzen – durch die Medien, denen hierbei »eine besondere Verantwortung« zukomme.
#5 Zum Thema Bundestagswahl auch noch passend: Das Institute of Labor Economics IZA hat »die Wahlauswirkungen einer Änderung des deutschen Gebäudeenergiegesetzes« untersuchen lassen. Anhand von kleinräumig aufgelösten Daten wird untersucht, wie die Debatte um das »Heizungsgesetz« zu relativen Gewinnen für die rechtspopulistische Partei führten. Und noch einmal Wahlkampf: Zwei Denkfabriken haben mit einem auf Künstlicher Intelligenz basierenden Sprachmodell die Zukunftsorientierung der Wahlprogramme untersucht, die FAS berichtet über die Ergebnisse: »Die höchste Zukunftsorientierung weisen demnach noch die Programme von SPD und Grünen auf, gefolgt von der FDP. Bei CDU, CSU und Linken ist das Verhältnis von zukunfts- und rückwärtsgewandten Themen recht ausgeglichen. Das BSW und vor allem die AfD fallen mit besonders niedrigen Zukunftsscores aus der Reihe.« Aus dem häufig im Wahlkampf zu hörendem Argument, zuletzt von der Rechtspartei FDP vorgebracht, »das Ende des deutschen Alleingangs in der Klimapolitik« sei nötig, denn »er kostet aktuell Milliarden an Subventionen, ohne das Klima zu schützen«, wird durch diese Studie die Luft rausgelassen: Einseitige Dekarbonisierung in großen Volkswirtschaften macht sich bezahlt. Der Grund: Die zu erwartenden wirtschaftlichen Schäden durch globale Temperaturschocks sind viel höher.