Klimanotizen 63
Daten, Daten, Daten und die Frage ihrer politischen Deutung in einer Welt, die darauf nicht vorbereitet ist und in der Menschen schon vor 40.000 Jahren Tierarten zum Aussterben brachten. Außerdem die Brände in L.A., ein »verrücktes System« und Trump als »ökologistische Regierung ex negativo«.
#1 Wo stehen wir? »Vor einem völlig neuen Klima und neuen Herausforderungen, auf die unsere Gesellschaft nicht vorbereitet ist«, wird hier Carlo Buontempo zitiert, der Direktor des Copernicus Climate Change Service: gleitender Zwölf-Monats-Durchschnitt etwa 1,6 Grad Celsius über dem Durchschnitt von 1850 bis 1900. Die »Global Climate Highlights 2024« von Copernicus gibt es hier. Und natürlich sind viele andere, den Stand der Dinge eindringlich belegende Zahlenwerke zum Jahreswechsel erschienen. Den »Global Temperature Report for 2024« von Berkely Earth findet man hier. Den »State of the Climate 2024« der World Meteorological Organization kann man hier nachlesen. Die Zusammenfassung der NOAA für 2024 gibt es hier. Der Global Water Monitor für das zurückliegende Jahr findet sich hier. Eine Übersicht über die neuesten Daten zu den Ozeanen, der Atmosphäre, der Kryosphäre und der Oberflächentemperatur der Erde hat Carbon Brief zusammengestellt.
#2 Zahlen sind das eine, ihre politische Deutung oft etwas anders. Hier wird erklärt, warum zwei Jahre mit Werten über dem Pariser Klimaziel noch kein Beleg dafür sind, dass dieses überschritten wurde – wohl aber dafür, dass das immer wahrscheinlicher wird. Zitiert werden Expertinnen, laut denen man mindestens fünf bis zehn Jahre braucht, um ein Überschreiten des 1,5-Grad-Ziels sauber festzustellen. Hingewiesen wird auch auf einige wissenschaftlichen Uneinigkeiten, Abweichungen in den Daten, die Debatte um die Frage, ob sich die Erderhitzung beschleunigt sowie weiterhin auch darüber, ob es politisch sinnvoll ist, überhaupt noch das Pariser Klimaziel aufrechtzuerhalten. Siehe dazu auch hier. Verständlich überdies, dass nun angesichts der 2024er Bilanz hier und da Spitzfindigkeiten ausgetauscht werden, ob man von einem Überschreiten oder Verfehlen schon sprechen kann. Sie verweisen auf das Problem epistemischer Unsicherheiten, das wir hier auch schon mit Blick auf die Kipppunkte diskutiert haben - bei denen auch erst viele Jahre später einwandfrei festgestellt werden kann, ob sie schon überschritten wurden. Weitgehende Einigkeit besteht darin, was Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sagt: »Wir leben inzwischen in einer neuen Welt, die wir nicht kennen und an die wir nicht angepasst sind.« Seine Einschätzung und die anderer Expertinnen zu den 2024er Copernicus-Daten finden sich hier. Auch hier wird kommentiert, dass »der halbwegs vernünftige Teil der Welt beim Klimaschutz in den Notfall-Modus schalten muss«.
#3 Die Probleme gehen über »Klimawandel« hinaus. Hier noch einmal der neueste Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES, der tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft als zwingend ansieht, um den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und umzukehren. Infos zum Bericht und der dreijährigen Erarbeitungszeit finden sich hier. Thoms Bruhn vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit in Potsdam kommentiert dazu: »Der Bericht identifiziert eine zentrale Herausforderung für einen Paradigmenwechsel in der Beziehungsstruktur zwischen Menschen und nicht-menschlichem Leben: Von Beziehungen, die von Dominanz und Ausbeutung geprägt sind, hin zu Beziehungen, die auf Fürsorge und Gegenseitigkeit beruhen.« Hier finden sich noch weitere Einschätzungen von Expertinnen. Ein Viertel der Süßwassertiere ist vom Aussterben bedroht, zeigt eine neue Studie, über die unter anderem hier berichtet wird. Bisher hatte sich kaum jemand für diese Frage interessiert. Derweil legt eine neue Studie nahe, dass das massive Aussterben großer Wirbeltierarten in Australien vor 65.000 bis 40.000 Jahren nicht an den schwierigeren, eiszeitlichen Bedingungen lag - sondern auch schon damals am Menschen.
#4 Der Rückversicherer Munich Re hat die »Naturkatastrophen-Bilanz 2024« veröffentlicht: Weltweit sind Schäden von rund 320 Milliarden US-Dollar angefallen, ein Zuwachs von über 50 Milliarden US-Dollar. »Die Gesamtschäden und noch stärker die versicherten Schäden liegen erheblich über den inflationsbereinigten Durchschnittswerten der vergangenen zehn und 30 Jahre«. Wetterkatastrophen hätten über 90 Prozent der Gesamtschäden verursacht. Man denkt sogleich an die verheerenden Brände in L.A. dieser Tage. Was der Klimawandel damit zu tun hat, ist nicht in einem Satz zu sagen - hier wird es gut erklärt: Dass die vom Menschen verursachte Veränderung der planetaren Überlebensbedingungen Waldbrände begünstigen kann, ist hinreichend belegt. Auch dass die Häufigkeit des so genannten »Feuerwetters« zugenommen hat, das mit besonderen lokalen Bedingungen zu tun hat, ist wissenschaftlich erwiesen. Daran ändern auch triumphalistische Kommentare von der fossilistischen Front à la »Nein, hier ist nicht der Klimawandel schuld« nichts, die nach pubertärer Bockigkeit riechen. Denn »gesellschaftliche Naturverhältnisse« sind es allemal, welche die Feuer begünstigen – etwa das Heranrücken von Wohngebieten an die leicht entflammbare Vegetation, wie etwa hier erklärt wird. Das führt zu weiteren, sozialen Fragen: »Warum bestehen die Menschen darauf, im Feuergürtel wiederaufzubauen?«, hieß es hier schon 2018. Auch damals hatten verheerende Waldbrände in dem Bundesstaat gewütet. It’s the economy, stupid? »Zwei Arten von Kaliforniern werden weiterhin mit dem Feuer leben müssen: diejenigen, die es sich (mit indirekten öffentlichen Subventionen) leisten können, wieder aufzubauen, und diejenigen, die es sich nicht leisten können, irgendwo anders zu leben.« Der kritische Geograf Mike Davis hat hier über diese Dimension der 2018er Feuer gesprochen: »Es ist ein verrücktes politisch-ökonomisches System, das die Natur so umfassend ignoriert, den Klimawandel ignoriert und weiterhin Häuser und ganze Städte baut, die unweigerlich abbrennen werden.«
#5 »Trotz dieser Dringlichkeit ist zu befürchten, dass die Klimakrise im anstehenden Wahlkampf kaum eine Rolle spielen wird«, heißt es derweil beim Netzwerk Klimajournalismus. Dass aus der rechtsradikalen Hölle heraus nun der Abriss aller »Windmühlen der Schande« angekündigt wird, sollte dabei nicht einmal das größte Problem sein – Bruno Latour hatte mit Blick auf Trumps Klimaleugnung schon 2016 treffend festgestellt, dass dessen Regime »die erste ökologistische Regierung« darstelle, »freilich ex negativo, im Modus der Zurückweisung«. Das tun andere Parteien nicht oder jedenfalls in geringerem Ausmaße. Was andere Parteien aber eben auch vermeiden ist, die zentrale Frage zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen: »Was steht auf dem Spiel?« Das muss nicht zwangsläufig im Modus fatalistischer Warnungen geschehen, die rundheraus für zwecklos zu erklären freilich auch keine Lösung darstellt. Apropos Lösung: Es wäre eine Wiederertüchtigung des Politischen, wenn Ehrlichkeit das Vermeiden von unangenehmen weil elektoral ungünstigen Wahrheiten ablösen würde, wenn unterschiedliche Pfade zum Gegenstand von Entscheidungen gemacht, soziale und planetare Fragen nicht als Kulturkämpfe inszeniert, sondern zur Überwindung bisher blockierter Transformationskonflikte genutzt würden. Dabei könnte helfen, auf das Erreichte zu blicken. Auch dazu gibt es Bilanzen für das Jahr 2024, in dem es zum Beispiel weniger Engpässe im Stromnetz gab und damit auch geringere Kosten für deren Ausgleich. Hier wird anhand von aktuellen Zahlen mit vielen Mythen der deutschen Stromdebatte aufgeräumt. Aufgrund »neuer Rekorde bei Erneuerbaren und einem historischen Tief bei der Kohleverstromung gingen die Treibhausgasemissionen in Deutschland 2024 deutlich zurück«, kann man hier ausführlich mit Daten unterlegt erfahren.