Klimanotizen 62
Wie von Hoffnung reden am Ende des wärmsten Jahres seit 12.000 Dekaden? Über motivierende Geschichten, »wie wir die Kurve drücken«, hässliche neongrüne Nummernschilder, Adam Toozes China »als entscheidende historische Kraft«. Und über »eine neue, linksgrüne Kraft«, die es noch nicht gibt.
#1 Wo stehen wir? 2024 wird wohl das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, der gleitende Zwölf-Monats-Durchschnitt liegt bei etwa 1,6 Grad Celsius über dem Durchschnitt von 1850 bis 1900. Hier werden »zehn Entwicklungen im Treibhaus des Planeten« bilanziert, Emissionen auf Höchstständen, Rekordtemperaturen, immer mehr Flutopfern. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf ist trotzdem nicht ohne Hoffnung. Warum? Weil »auch die Lösungen weltweit exponentiell wachsen und gleichzeitig immer billiger werden. Das gilt für Solarenergie, Windstrom, Elektromobilität, Batteriespeicher, Wärmepumpen und andere.« Auch in den USA haben Wind- und Solarenergie 2024 die Kohle-Stromerzeugung überholt. Und: Die Stromgestehungskosten fallen für erneuerbare Energien bis 2045 weiter, wie das Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE weiß. Heute ist die einst teuerste Photovoltaik auch in Kombination mit Batteriespeichern deutlich günstiger als neue Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerke. In der Bundesrepublik kam weit mehr als die Hälfte des Stroms seit Jahresbeginn aus erneuerbaren Quellen - 2010 lag allein der Anteil von Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken noch bei 60 Prozent. Laut Umweltbundesamt nahm die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien allein im ersten Halbjahr um neun Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu.
#2 Allerdings bleibt auch wahr: »Für die Klima- und Energieziele muss der Leistungszubau jedoch weiter beschleunigt werden.« Oder, wie Rahmstorf es formuliert, all der beobachtbare Fortschritt gehe »leider nicht unbedingt schnell genug, um eine Klimakatastrophe abzuwenden, weil die Beharrungskräfte und die fossile Lobby immer noch sehr stark sind.« Das kann einen auch deshalb zur schieren Verzweiflung bringen, weil die meisten Mittel zur Lösung der biophysikalischen Existenzfragen, die wir dem Planeten und uns eingebrockt haben, praktisch ja vorhanden sind, und viele Entwicklungen in die richtige Richtung weisen. Worüber reden, was betonen? Die Forschungen zum Klimabewusstsein legen nahe, dass Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und positive Aussichten auf machbare Lösungen die Bereitschaft zur Veränderung fördern. Zugleich wissen wir, dass (auch) in Sachen Klima eher über das Problem berichtet wird als über mögliche Lösungen. Immer wieder wird deshalb wie zum Beispiel hier die Frage gestellt: »Wie aber müsste die Berichterstattung aussehen, um zu mehr Klimaschutz zu ermutigen?« Die TAZ hat dieser Tage mit Angus Harvey gesprochen, der hinter »Fix The News« steht: »Es gibt nur sehr wenige Klimajournalisten, die die Geschichte erzählen, wie wir die Kurve drücken. Die meisten von ihnen erzählen immer nur die Geschichte, wie alles zusammenbricht.« Auch wenn man die Geschwindigkeit der Umkehr bemängeln muss, auch wenn der träge Tanker (das Bild passt hier besonders gut) das Wendemanöver zu langsam und teilweise mit den falschen Mitteln vollführt, passiert ja durchaus etwas. Der Planet ist nicht mehr »auf dem Weg zu einer Erwärmung von etwa plus 4,5 Grad Celsius bis zum Jahr 2100«, wie noch zur Zeit des Pariser Abkommens. Man wird deshalb die Folgen von zwei Grad Erderhitzung nicht kleinreden dürfen, aber, sagt Harvey, man sollte doch wenigstens die Geschichte als eine »des Nicht-Zurückfallens« verkaufen. Im Grunde müsste es darum gehen, wie auch Max Roser, ein Apostel der anspornenden Daten, meint, das Paradox aufzulösen, das darin besteht, dass viele Menschen das Ausmaß globaler Probleme unterschätzen, aber gleichzeitig den Fortschritt im Kampf gegen diese Probleme nicht sehen.
#3 Oft sind es die kleinen Dinge, die große Potenz in sich tragen. Die lokalen Energiegenossenschaften, die kleinen Firmen, denen der Umstieg gelingt, die Netzwerke, die sich bilden, weil Menschen etwas tun wollen und nicht nur meckern. Oder Meldungen wie jene aus Südkorea, wo die Einführung von hässlichen neongrünen Nummernschilder für Luxus-Firmenwagen dazu führte, dass deren Verkäufe um 27 Prozent zurückgingen. Was gegen die steuerliche Bevorteilung privater Nutzung solcher Karossen erfolgreich war, brachte nebenher auch etwas für den Klimaschutz. Zehn wichtige Entwicklungen der globalen Energiewende im zu Ende gehenden Jahr hat »The Progress Playbook« hier zusammengefasst.
#4 Eine der Punkte, die da aufgeführt sind, lautet: »China erreicht sein Ziel für erneuerbare Energien sechs Jahre früher.« Auch das Wachstum bei Elektroautos hat Folgen - und lässt den fossilen Kraftstoffverbrauch in China früher als erwartet sinken. China hat über 25 Prozent seines Endenergieverbrauchs elektrifiziert und damit die USA und Europa überholt, wie ein Report von RMI darlegt. Ein Rennen, in dem das, was in China passiert, auf den ganzen Planten Einfluss hat. »China wird das letzte Wort haben«, heißt es in einem aktuellen IEA-Bericht zum globalen Kohleverbrauch - der noch immer steigt, nicht zuletzt aufgrund des Energiehungers der chinesischen Volkswirtschaft. Ob der Höhepunkt 2026 überschritten sein wird, steht und fällt mit der dortigen Entwicklung. Oft werden die Veränderungen auf Gebieten wie Energiewende in nationalen Wettbewerbs-Szenarien interpretiert. »Mit dem Aufbau eines Ultrahochspannungsnetzes treibt China den grün-technologischen Umbau voran. Wird Europa abgehängt?«, heißt es dann. So ein Blickwinkel kommt nicht von ungefähr, das Denken in Kategorien kapitalistischer Standortkonkurrenz entspricht Verhältnissen, die gelingende Klimapolitik im planetaren Interessen nicht eben einfacher macht. Dass aber für die Zukunft der Erde die Dekarbonisierung Chinas entscheidender ist als die Klimapolitik von Trump in dessen zweiter Amtszeit, hat Adam Tooze bereits im Sommer betont. Hier gibt es das Ganze in der Langversion. Etwa zur selben Zeit hat der Wirtschaftshistoriker mit Ding Xionfei für die »Shanghai Review of Books« gesprochen, unter anderem über China. Nun gibt es eine englische Übersetzung, die sogleich Empörung über »die Bewunderung eines linksradikalen Ivy-League-Professors für die kommunistische Partei Chinas« hervorgerufen hat. Aber was sagt Tooze denn? »Es geht darum, wer oder was der historische Motor des Wandels ist. Der Klimawandel ist wohl das erste Thema, bei dem China den Westen als entscheidende historische Kraft entthront.« Dies stelle nicht nur das Selbstverständnis und die Philosophie des Westens in Frage, der sich selbst gern als Held der Geschichte begreift. Es zeige sich zudem, und das unter den Bedingungen der Klimakrise, die »Verschiebung von Macht und Rationalität in der Weltpolitik«. Das muss man nicht als Bewunderung für die Machthaber in Peking abtun, man könnte es eher als einen Realismus ansehen, der dabei hilft, neue Herausforderungen zu bewältigen. Li Shuo, Direktor des China Climate Hub der Asia Society in Washington, formuliert eine von diesen beispielhaft so: »In einer idealen Welt ist die Tatsache, dass China billige Solarmodule und Elektroautos produzieren kann, eine gute Nachricht für Europa. Aber natürlich muss man auch die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigen. Die Frage ist: Wie bringt man beides unter einen Hut?« Das Gespräch mit ihm ist Teil eines Schwerpunkts der »Klimareporter« über Chinas Klima- und Umweltpolitik.
#5 Zurück in die Bundesrepublik, wo die »Letzte Generation« aus ihren Strukturen »etwas Neues entstehen, etwas Großes« entstehen lassen will. Was Carla Hinrichs dazu bisher angekündigt hat, ist recht vage, man wolle den Kampf für Klimagerechtigkeit nicht aufgeben, aber »gleichzeitig an etwas bauen, das besser mit der neuen Realität fertig wird. Unser Zusammenleben kann besser und gerechter sein.« Hier wird gemutmaßt, dass die Gruppe einem Teil der Klimabewegung folge, »der sich auf einen möglichen Kollaps infolge der globalen Erwärmung vorbereitet«. Als den Vordenker einer »Solidarischen Kollapspolitik« darf man wohl Tadzio Müller bezeichnen. Ein bisschen erinnert der Schritt an jene Bewegung aus der Grünen Jugend heraus, die nun auf einen neuen linken Jugendverband hinauswollen, in dem Begriffe wie »Klasse« wieder in den Vordergrund rücken sollen: »Es braucht eine Politik, die wieder Hoffnung macht.« Daran aber ist erheblicher Mangel, meint auch der Soziologe Klaus Dörre: »Aus meiner Sicht gibt es gegenwärtig keine linke Partei in Deutschland, die in der Lage wäre, Hoffnung neu zu mobilisieren. Keine linke Kraft besetzt, was ich als linksgrün bezeichnen würde: eine politische Formation, die ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit zusammenbringt.« Das aber, so seine Hoffnung, könnte sich nach der vorgezogenen Bundestagswahl ändern, er halte eine Neugruppierung im Parteiensystem um diese Frage für möglich. Ihm fällt dazu das »Stichwort ökologischer Sozialstaat« ein: »Je größer der ökologische Fußabdruck – der steigt mit Einkommen und Vermögen – desto größer muss der Anteil sein, den jemand leistet für den sozial-ökologischen Umbau. Das wäre ein fundamentales Gerechtigkeitsprinzip.« Der Gedanke, dass der »Pol des Pariser Klimaziels« derzeit parteipolitisch unbesetzt ist, steckt auch in Horst Kahrs’ Überlegungen zu blockierten Transformationskonflikten und den Gespenster, die sie hervorbringen. Stephan Hebel meint angesichts fehlender anderer Aussichten, dass es »ein progressives Oppositionsprojekt braucht«, »eine neue, linksgrüne Kraft«, die auf die Unteilbarkeit der Emanzipation besteht. Kommt da was ins Rutschen? Über das schon länger bestehende Form-Substanz-Problem, das auch davon herrührt, dass praktisch alle heutigen Parteien Kinder einer vergangenen Zeit und ihrer Herausforderungen sind, weshalb grundlegende Richtungsdifferenzen heute angesichts neuer Probleme und Rahmensetzungen oft mehr innerhalb dieser Formationen ablaufen, haben wir auch in unserem Satelliten-Newsletter »Linke tl;dr« einige Anmerkungen gemacht. Darin auch der Hinweis auf eine Spielerei in der »Zeit«, in der ein »neues Parteiensystem« anhand weniger Einstellungspositionen konstruiert wurde: Wie würden die Debatten aussehen, wenn sich die Diskussionen über mögliche Gestaltungsmehrheiten zwischen der Ökosozialen Partei, den Sozialliberale und Moderaten abspielen würden?