Klimanotizen 57
Klassensystem-Sozialismus? KPÖ-Moment? Der Auszug der Junggrünen hat manches Missverständnis produziert, weitere werden folgen. Was sagt die Hinwendung des Nachwuchses einer ökologischen Partei zur Oben-Unten-Konfliktachse über den Stand der Bearbeitung der planetaren Frage?
Klassensystem-Sozialismus? KPÖ-Moment? Der Auszug der Junggrünen hat manches Missverständnis produziert, weitere werden folgen. Was sagt die Hinwendung des Nachwuchses einer ökologischen Partei zur Oben-Unten-Konfliktachse über den Stand der Bearbeitung der planetaren Frage?
#1 Wo stehen wir? Vor einem Stapel aus Berichten und Kommentaren, die sich mit Verschiebungen bei den Grünen beschäftigen. Erzwungener Rückzug von Lang und Nouripour? Ende des Habeckismus oder doch dessen Durchbruch? Schwarz-grüne Konstellationsdebatten und ein CDU-Merz, der auf die Grünen weiter eindrischt, weil er glaubt, seine Position in der Partei durch »Marginalisierung der verbliebenen Merkelianer zu festigen«? Was soll man davon halten?
Dazu ein andermal mehr, hier soll es zunächst einmal um die Geschehnisse am »linken Rand« gehen: »Grüne Jugend zerfällt – Immer mehr Landesvorstände treten aus«, liest man etwa hier; woanders wird berichtet, aus »Mangel an Mitgliedern« habe sich die junggrüne Formation einer ganzen Großstadt gleich ganz aufgelöst. Und so weiter. Nicht selten wird der Vorgang als Beleg für eine große Korrektur angesehen - Untergangsgesänge auf »das Grüne« haben ja schon länger Konjunktur, wobei die Motive verschieden sind. Mal verschafft sich so »anti-woke« Vergangenheitsklitterung Bahn, mal ist es mehr selbstbestätigendes Hohngeräusch, mit der die Falschbehauptung veredelt wird, man habe zuletzt in einer »linksgrünen Epoche« gelebt. Und auf der Linken wusste irgendwer natürlich immer schon über die Schlechtigkeit der Grünen Bescheid.
Aber zurück zu den Junggrünen, von denen nicht wenige nun ihr bisheriges parteipolitisches Dach verlassen, um zu, aus ihrer Sicht, linkeren Ufern aufzubrechen. Andere halten es für nützlicher, weiter »in der Partei für linke Werte« einzutreten. Im »Parteiestablishment« bemühen sich 40-Jährige, das Austrittsgeschehen als »die Entscheidung von jungen Leuten, und das ist dann so« klein zu reden. Aber die Abgänge gehen ja über ein paar Aktive aus einem Nachwuchsverband hinaus. »Grüne verlieren eine Generation: Die Jugend flieht nach links und rechts«, werden innerparteilicher Exodus und einstürzende Wahlergebnisse hier zusammengebracht. Nur sechs Jahre nach dem Fridays for Future-Höhepunkt, als die Grünen »2019 bei der Europawahl 34 Prozent bei den Wählern unter 24« holten, landet die Partei in der Generation hinter Union und AfD mit nur noch 11 Prozent abgeschlagen. Nach den Landtagswahlen im Osten wurde der Tatsache viel Aufmerksamkeit zuteil, dass für Jungwähler die AfD die Partei der Stunde ist.
Liegt es an Tiktok? An juveniler »Sturm-und-Drangphase« (Dieter Rucht), die heute nicht gegen den Muff von Tausend Jahren rebelliert, sondern in ihn eintaucht? Oder vollzieht diese Altersgruppe wie andere auch bloß jene politisch-medial befeuerten Pendelbewegungen mit, für die zu den »größten politischen Problemen« mal diese und mal jene geredet werden - aktuell halten auch unter 16- bis 25-Jährigen die meisten die Migration für dieses »größte Problem«, die Klimakrise, die gemessen an ihrer Dimension nur noch eine Nebenrolle in der Öffentlichkeit spielt, rangiert in der Umfrage unter ferner liefen. Und ist der »Rechtsdrall« der Jüngeren wirklich »ein Grund dafür, warum viele etablierte Grüne den Abschied des sehr linken Vorstands der Grünen Jugend mit Erleichterung aufgenommen haben«, wie man hier vermutet? Versteht man diese Pointe richtig: Wenn der Nachwuchs nicht mehr so links ist, kommen die derzeit nach rechts eiernden jungen Wähler zurück? Oder soll es bedeuten, dass Ruhe im Parteikarton ein »Erfolgsfaktor« in der nächsten Zukunft sein werde?
#2 Ach ja, Renate Künast. Die hat einmal Politik in der Berliner Alternativen Liste gemacht, aus dem ein besonders linker Landesverband der Grünen wurde. Heute sagt sie Sätze wie, »wer so Sozialismus-Ideen hatte, war von Anfang an bei den Grünen falsch«. Oder noch schöner in dieser Variante: Der Vorstand der Grünen Jugend sei »nicht realitätstauglich« gewesen und habe »irgendwie so einen Klassensystem-Sozialismus aufbauen wollen«. Klassensystem-Sozialismus. Irgendwie. Ist sicher ein Missverständnis; da reicht es eigentlich, »Die Zukunft der Grünen. Ein realistisches Konzept für eine radikale Partei« von Thomas Ebermann und Rainer Trampert noch einmal zur Hand zu nehmen. Allerdings waren auch Ebermann und Trampert damals, 1984, einem Missverständnis aufgesessen; jedenfalls nach Lesart von Georg Fülberth, der die »zeitweiligen Erfolge der Linken in der Partei« als ein solches eingeordnet hat.
#3 Ist der Auszug der Junggrünen etwa auch ein Missverständnis? Schaut man sich Begründung und vorläufiges Programm von Austritt und Neugründungsankündigung der nun ehemaligen Junggrünen an, fällt eines auf: die Nachrangigkeit des zentralen grünen Themas. Unter den aufgezählten Konflikten mit den Parteiälteren und der Regierungslinie taucht zwar die Auseinandersetzung um Lützerath neben anderen auf; auch von der Klimakrise ist die Rede.
Der Gongschlag ist aber ein anderer: »dass es mittelfristig keine Mehrheiten in der Partei für eine klassenorientierte Politik gibt, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt«. Eine solche sei nötig um jene zu erreichen, »die in Armut und Abstiegsangst leben, die schon lange nicht mehr wählen gehen - oder sich den Rechten zugewandt haben«. Angst macht den ausgetretenen Junggrünen das Ende des Aufstiegsversprechens, Preise, Mieten, mangelnde Wertschätzung für »harte Arbeit«, die AfD… in dieser Reihenfolge. Das Klimathema kommt erst später und als Ableitung blockierter Umverteilung vor. Der Bruch mit der Mutterpartei wird vollzogen, weil diese »den großen Konflikt in unserer Gesellschaft – zwischen Arm und Reich, Oben und unten« nicht mehr wie von den Junggrünen gewünscht bearbeiten. »Wir sind alle innerhalb der letzten zehn Jahren den Grünen beigetreten, weil wir dachten, sie könnten diese Kraft werden. Doch unsere Zweifel daran sind immer größer geworden.«
Es sollen hier weder Zweifel bezweifelt noch Motive kritisiert werden; mehr stellt sich die Frage, ob sich in dieser »sozialen Wendung« etwas niederschlägt. Und nein, es geht auch nicht um den Vorwurf der Naivität, die Grünen für eine potenziell »klassenorientierte« Partei gehalten zu haben. Sondern so: Kann man den Exodus der Junggrünen als Ausdruck des veränderbaren, umkämpften Verhältnisses von »alter sozialer Frage« und »neuer planetarer Rahmensetzung« verstehen? Uwe Schimank hat von den Schwierigkeiten der »Ausbalancierung der Trias von System-, Sozial- und ökologischer Integration« im Kapitalismus gesprochen; die Entscheidung der Junggrünen könnte man als stärkere Hinwendung zur Sozialintegration interpretieren, die von jener Sichtweise noch bestärkt wird, welche den Zusammenhang zwischen sozialer Frage und Rechtstendenzen betont. Die frühere Vorsitzende der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, die zu den treibenden Köpfen hinter dem Austritt zählen dürfte, hat vor nicht allzu langer Zeit diese Perspektivenverschiebung für sich so formuliert: »Man dachte 2021 nach den Klimaprotesten: es darf eigentlich keine Regierung geben, die jetzt den Kohleausstieg nicht beschließt. Der Druck war auf dem Kessel. So dürfte es jetzt 2025 eigentlich keine Regierung geben, die nichts für die soziale Frage tut. Das was die Ampel macht, diese Politik, ist der Brandbeschleuniger für den Rechtsruck.«
#4 In den vergangenen Jahren sind die Stimmen zahlreicher geworden, die das Problem der materiellen Ungleichheit als Schlüssel zur Lösung auch der planetaren Frage ansehen. Motto: Die Superreichen verbrennen die Welt, nicht die »einfachen Leute«. Das ist so richtig, wie es falsch werden könnte. Selbstverständlich sind Überkonsum und aufgrund Eigentum ermöglichte Investitionsentscheidungen ein zentrales, vorrangig anzugehendes Problem. Im globalen Maßstab betrachtet wohnen hierzulande aber keine »einfachen Leute«, sondern bis in die untersten Einkommensdezile Profiteure von Externalisierung und Ausbeutung anderswo. »Klimaverträglich wäre ein weltweiter Pro-Kopf-Ausstoß von unter einer Tonne CO2e pro Jahr«, heißt es beim Umweltbundesamt. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, so das DIW, das anders rechnet, müsste Abdruck auf 3 Tonnen CO2e pro Jahr gesenkt werden. Dies auch denen mit geringen Einkommen zu ermöglichen, sind Politiken der Ermöglichung zwingend nötig, weil der Einfluss auf Wohnraum, Infrastruktur etc. bei den meisten Menschen nur gering ist, sich allenfalls politisch herstellt. Das müsste die Scheinwerfer auf Lösungen richten. Tut es aber offenbar nicht. Die Wahlergebnisse zeigen, dass dieser Zusammenhang derzeit nicht so populär ist. Auch in den bei der Linkspartei (schon wieder, immer noch?) geführten Diskussionen um »Erneuerung« wird die Verteilungspolitik betont, die Veränderungsdimension allenfalls nachgeschoben oder in antikapitalistische Hoffnung auf einen Sprung aus der falschen Geschichte verkürzt. Man hört von links, sich mit den Reichen und Mächtigen anlegen zu wollen, wörtlich gleichklingend nun auch von den Junggrünen, über das »Wozu« ist aber meist nur in politischen Plastikwörtern die Rede; »es braucht« dies irgendwie für eine »sozialökologische Transformation«. Naja.
#5 Apropos Linkspartei. Dort macht sich schon länger eine KPÖ-Hoffnung breit, die Junggrünen haben diese nun erneuert. Medien sehen »für die Abkoppelung von den Grünen und die Annäherung an die Linke« ein Vorbild: die Bildung der Jungen Linken 2018 in Österreich als Folgeorganisation der Grünen Jugend, heute ist daraus die Jugendorganisation der KPÖ geworden, die vor allem die soziale Frage bespielt, zumal in einem Modus der praktizierten Hilfe vor Ort. Lokale Erfolge haben sich eingestellt, auf der nationalen Bühne der Repräsentation sind sie recht übersichtlich. Dass ein früherer KPÖ-Wahlkampfmitarbeiter nun für die Parteizentrale der deutschen Restlinken arbeitet und den Austritt der Junggrünen mit den Worten kommentiert habe »Es ist so weit«, wird als Startschuss für etwas interpretiert, das anderswo als »KPÖ-Moment« für die deutsche Linke bezeichnet wird, diese »steht schon bereit, um in Deutschland ein Erfolgsrezept aus Österreich zu kopieren«. Die Stimmen, die aus der Linkspartei zusammengetragen werden, klingen nicht nach Dementi. Schon wird der Vorgang als Medizin »Gegen die Verzweiflung« betrachtet. Andere sehen eine linke Abspaltung von den Grünen nur den Konservativen nützen. Die nächsten verweisen darauf, dass »das künftige Verhältnis von Linkspartei und den untreu gewordenen Grünen noch gänzlich ungeklärt ist«.
Was auch viel damit zu tun haben dürfe, dass sich die Linkspartei über ihre eigene Zukunft nicht eben einig ist. Die gesellschaftliche Konfliktachse Gestern versus Morgen, oder nennen wir sie: Fossil versus Solar, spielt in der bedrohten Partei eher eine untergeordnete Rolle. Die »soziale Gerechtigkeit« soll es richten, man konzentriert sich auf Oben versus Unten, was den ausgezogenen Junggrünen gefallen dürfte. Allerdings ertönt der Ruf nach neuer Zentralität der sozialen Frage - als ob es in der Vergangenheit einen anderen Schwerpunkt bei der Linkspartei gegeben hätte, aber nun: Frau Wagenknecht war so oft in Talkshows, irgendwann glauben sogar die Kritisierten die Falschbehauptung… es ertönt dieser Ruf also innerhalb der Linkspartei aus unterschiedlichen Richtungen; mal mehr als aktivistischer Bewegungsansatz, mal mehr als konservativer Repräsentationsansatz, mal wird die Klassenrhetorik vom Wunsch nach Systemüberwindung bewohnt; mal von der Hoffnung, »die Arbeiter wieder zurückzugewinnen«, damit man wieder in den Bundestag einzieht. Nicht selten wird auch links von der Herkunft her gedacht, nicht der sozialen, sondern der, ähm: ethnischen. Die linke Essenzialisierung des Ostdeutschen kennt ihre opportunistischen Wendungen: Wenn die Leute nun einmal schlecht über Migration, die Ukraine, die da oben denken… Man kann sagen: Hier steht einiges dem seit fordistischer Zeiten gewachsenen Wohlstandsnationalismus des BSW näher als der Bruch der Wagenknechtpartei mit der Linken nahelegt. Gleiches gilt für die mitunter anzutreffende Umdeutung der sozialen in eine Frage preiswerter Energie, »wie damals aus Russland«, fossiler Brennstoff eines Integrationsmechanismus’, der sich um die Probleme, die er in seinem Außen produziert, nicht besonders kümmert. Andere wollen ganz anderes. War im Leitantrag des Bundesparteitags 2022 noch von der Zielmarke 2035 bei der deutschen Klimaneutralität die Rede, hat man im Leitantrag für das nun kommende Delegiertentreffen eine Jahresangabe unterlassen. Weil es realistischerweise nicht mehr zu schaffen ist? Weil es mit anderen politischen Zielen in Konflikt gerät? Weil man gerade lieber nicht so viel von Klimapolitik sprechen will? Was unter dem Strich möglich bleibt und wird, kann nicht durch Abzählen von Begriffen in Leitanträgen bestimmt werden. Man kann an dieser Stelle noch einmal Sarah-Lee Heinrich sprechen lassen, von der oben schon die Rede war, die sagt, ihr Weggang von den Grünen sei »vielleicht Teil einer größeren Suchbewegung«. Es könnte sinnvoll sein, auch nach den anderen Teilen Ausschau zu halten.