Klimanotizen 34
»Wenn man in einem brennenden Haus sitzt…«, sagt der Klimaforscher Schellnhuber. Die Debatte darüber, wie schlimm die Lage schon ist und noch wird, geht weiter - die über Verzicht als einsichtsgetriebene Selbstbeschränkung könnte lebhafter sein. Außerdem: Empörung über Fridays for Future.
#1 Wo stehen wir? »Der Übergang zu sauberer Energie findet weltweit statt und ist unaufhaltsam«, sagt der Exekutivdirektor der IAE, Fatih Birol. Das ist gut, aber nicht gut genug: Zwar stehe der Scheitelpunkt, ab dem zumindest die energiebedingten CO2-Emissionen sinken, kurz bevor; zwar werde die globale Nachfrage nach Kohle, Öl und Erdgas ab den 2030er Jahren sinken - aber, auch das steht im »World Energy Outlook«, die bisher beschlossenen Maßnahmen reichten nicht aus, um das politisch vereinbarte Klimaziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu erreichen - eher sieht es nach 2,4 Grad aus. Weil sowas von sowas kommt, könnte die Westantarktis ihren Kipppunkt bereits überschritten haben, was heißt: beschleunigter Eisverlust, womöglich sogar Kollaps des Eisschilds, damit ein langfristiger Meeresspiegelanstieg von drei bis fünf Metern. Dies sei »wahrscheinlich«, haben Forscherinnen um Kaitlin Naughten simuliert. Beim Science Media Center finden sich dazu Anmerkungen von Fachkolleginnen. Für Grönland liegt ebenfalls eine neue Forschungsarbeit vor, dort könnte es bei einer Erwärmung zwischen 1,7 bis 2,3 Grad über der Referenzperiode zum abrupten Eisverlust kommen, wie die FAZ berichtet.
#2 Vor dem Hintergrund solcher Ausblicke und in kritischer Absicht, was die derzeitigen klimapolitischen Anstrengungen angeht, haben sich renommierte Klimawissenschaftlerinnen mit einem Appell zu Wort gemeldet: »The 2023 state of the climate report: Entering uncharted territory«. Ihr in »BioScience« veröffentlichtes Papier trägt noch einmal viele aktuelle Daten aus einem Jahr der klimabedingten Negativrekorde zusammen und warnt kurz vor der Ende November startenden COP 28 vor einem Weiter so: Möglichkeiten wie ein weltweiter Zusammenbruch von Gesellschaften würden gefährlich unterschätzt. Werden sie das? »Die Vorstellung, dass die Menschheit aufhört zu existieren, wenn wir jetzt nicht sofort alles runterfahren, die ist irrational«, sagt der Arktisforscher Markus Rex hier in einem Interview - und wird leider nicht zurückgefragt, wer denn überhaupt ernsthaft von einem »Weltuntergang« spricht. Auch könnte man fragen, warum Rex zwar von gelingender Entkoppelung spricht, aber nicht darüber, ob die gegenwärtigen Fortschritte überhaupt dabei reichen, Klimaziele zu erreichen. Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber findet folgendes Bild für die Lage: »Wenn man in einem brennenden Haus sitzt, sollte man sich natürlich nicht von Todesangst lähmen lassen. Und unser Haus brennt. Deshalb wird entspanntes Löschen hier oder da ebenfalls ins Verderben führen: Dramatische Herausforderungen verlangen dramatisches Handeln.«
#3 An anderer Stelle tippt Arktisforscher Rex einen Punkt an, um den sich mehr Diskussionen drehen könnten: das Verhältnis von individuellem Verzicht und struktureller Veränderung. »Die Verzichtsdebatte führt auch zu einer problematischen Abwälzung von Verantwortung auf den Einzelnen, der aber in Wirklichkeit gar nicht so viel erreichen kann. Wir müssen die großen Rahmenbedingungen verändern, insbesondere auch in der Wirtschaft, wo ein Großteil unserer Emissionen entsteht.« Das ist richtig, aber »in der Wirtschaft« wird produziert, was von Individuen konsumiert wird; geht man von einer realistischen Einschätzung stofflicher Grenzen aus, lässt sich die Frage, was künftig ein noch tragfähiger »Wohlstand« sein kann, nicht völlig ohne Blick auf das Maß beantworten, innerhalb dessen sich individuelle Konsumtion bewegen kann. Das ist auch eine Frage globaler Niveauunterschiede und Ungleichheiten. Der Historiker Frank Trentmann, der gerade eine Mentalitätsgeschichte der Deutschen vorgelegt hat, formuliert es so: Die Bundesrepublik habe sich »als Kreuzritter einer nachhaltigen Welt inszeniert. Die Energiewende als Musterpfad, den auch andere beschreiten sollen«. Der durchschnittliche CO2-Fußabdruck hierzulande liegt aber nach wie vor weit jenseits planetarer Grenzen und, so Trentmann, »höher als der des durchschnittlichen Europäers. Mental ist Deutschland sehr umweltbewusst. Das Land ist gut darin, sich Gedanken zu machen. Und es hat eine große Sehnsucht, gut zu sein. Auch gut zur Natur. Aber der Alltag ist von diesem Bewusstsein allzu oft entkoppelt. Klar, die Deutschen trennen den Müll, sorgen sich um Legehennen, schauen Tierserien. Aber sie sind so tief in eine energieintensive Lebensweise eingebunden, dass sie gar nicht wahrnehmen, wie viele Umweltschäden sie selbst produzieren. Der Hauptteil des Alltagskonsums läuft unterm Radar.« Trentmann sieht hier sogar einen Rückschritt, in den 1970er und 1980er Jahren sei »eine selbstkritische Sicht auf die eigene Lebensweise« zumindest bei einem Teil der Bevölkerung etabliert gewesen. »Doch seither hat sich der Diskurs verschoben: Wir können nachhaltig sein, heißt es nun, und unseren Komfort im Alltag trotzdem erhalten. Die neuen Technologien werden das schon richten.« Dies habe wohl auch mit einer Angst »der Politik« zu tun, den Wählerinnen nicht »zu viel« zumuten zu dürfen. Anders betont der Diskurslinguist Friedemann Vogel dasselbe Problem: Wenn heute von Verzicht die Rede sei, werde zu oft verdrängt, dass dies »für die einen nur ein anderes Auto, für andere aber gar kein Auto und Angst vor sozialem Abstieg« bedeute. Vogel plädiert deshalb für soziale Sensibilität und Umverteilung. Das Problem, dass selbst die in Sozialstatistiken in der unteren Hälfte auftauchenden Bevölkerungsgruppen hierzulande in der Regel ein Leben führen, das die planetaren Grenzen überwuchert, ist damit nicht aus der Welt.
#4 Kann Otfried Höffe weiterhelfen? Der Philosoph weiß, »dass der Verzicht, zumal der freiwillige, keinen guten Ruf hat«, und sieht darin doch eine »hohe Kunst«. In seiner neuen »Kleinen Philosophie der Selbstbeschränkung« geht es nicht nur um frühere positive Bewertungen von Verzicht und den Gründen für den Reputationsverlust, sondern um eine positive Zukunft des Verzichtens. Wer sich darauf einlassen wolle, müsse, so Höffe, »weltoffen und klug genug sein, die Gründe einzusehen. Darüber hinaus muss er gegen die Herrschaft des Lustprinzips jene Widerstandsfähigkeit entwickeln, die man heute, da es professioneller klingt, Resilienz nennt. Erst sie macht es nämlich möglich, die als berechtigt eingesehenen Gründe über vielerlei Schwierigkeiten hinweg im tatsächlichen Tun und Lassen anzuerkennen.« Hier ist von einer subjektiven Resilienz die Rede, die durch Erkenntnis wächst - zum Beispiel die Erkenntnis, dass »wir« eigentlich nicht mehr so bauen dürfen, wie bisher. In einer Zeit, in der allerorten der Ruf nach Neubau erschallt, weil es eine Wohnungskrise gibt, gehört der Verzicht zu den möglichen Vermittlern: hier als einsichtsgetriebene Selbstbeschränkung was das Maß für gutes Wohnen angeht - Platz, Raumtemperatur, Komfort usw. Der Architekt Werner Sobek hat unlängst »eine neue Angemessenheit in unserem Wohnen, vielleicht sogar eine neue Bescheidenheit« angemahnt. Solange Unternehmen aber weiter herkömmlich Wohnungen bauen, griffe diese ins Leere - also muss auch an der Produktionsseite angesetzt werden. Zum Beispiel: indem man Neubau vermeidet. Die gegenwärtigen Neubauaktivitäten sind nach den Worten von Leon Beck jährlich für so viele Emissionen verantwortlich wie der gesamte Betrieb aller übrigen Gebäude. Der von ihm mitinitiierte »Abriss-Atlas« will mehr Aufmerksamkeit für die Ressourcen- und Emissionsperspektive ins Baugeschehen bringen. Veränderungen wären möglich, wenn unter anderem Bauordnungen und Fachkräfte-Allokation umgestaltet werden.
#5 »Was ist los bei Fridays for Future?«, fragt das ZDF und antwortet: »Posts zu Israel und Gaza der internationalen Sektion von Fridays for Future sorgen für Aufsehen.« Begriffe wie Erschrecken oder Empörung wären hier angebrachter, Peter Laudenbach nennt das Gebaren von Teilen des Netzwerkes in so genannten Sozialen Medien »eine humanitäre und demokratische Bankrotterklärung«; die »Radikalisierung ist fürchterlich. Waren es doch auch diese Aktivisten, denen wir die Thematisierung einer großen Menschheitsfrage verdanken, des Klimas, mit Transparenten und Fahnen. Man unterstellte ihnen Empathie mit allen Menschen.« Die TAZ formuliert gerade für »FF Deutschland die Frage, ob man als Ableger einer Bewegung, die immer wieder durch Antisemitismus auffällt, wirklich solidarisch mit Jüd*innen sein kann. Darauf muss die Bewegung Antworten finden, die dem Ernst der Situation und der Kontinuität von antisemitischen Parolen in FFF-Strukturen gerecht werden.« Jonas Schaible sieht bereits »das Ende der Klimabewegung, wie wir sie kennen«. Es gehe hier nicht nur um einen »Moment der Irritation. Es ist eine Zäsur«: FFF »war eine Bewegung, die ihre Überzeugungskraft aus dem guten Argument zog, aus wissenschaftlicher Erkenntnis, aus persönlicher Betroffenheit. Hier klagte die Jugend an, kein politischer Akteur.« Das sei nun für immer anders, der Schaden für die »Reputation der deutschen Sektion« kaum zu überschätzen. Philipp Bovermann schreibt zu den Postings, sie beschädigen »die Arbeit Zehntausender junger Menschen, die sich in den kräftezehrenden, frustrierenden Kampf für den Erhalt der ökologischen Lebensgrundlagen eingebracht haben oder das immer noch tun.« Und Michael Schlegel ordnet die jüngsten Vorgänge in einen weiteren Rahmen ein: »Die Klimaaktivisten protestieren aneinander vorbei. Die Distanz zwischen den Gruppen wird größer, die einen wollen nicht mehr mit den anderen demonstrieren.« Der Berliner Soziologe Vincent August, der eine Forschungsgruppe zu ökologischen Konflikten leitet, sieht allerdings nicht so sehr Spaltung, sondern unterschiedliche strategische Ansätze. Anders als etwa die »Letzte Generation« habe FFF stärker auf gesellschaftliche Anschlussfähigkeit und auf »Allianzen mit den bestehenden Institutionen der klassischen Moderne wie Gewerkschaften und Kirchen« gesetzt. Wie viel Anschlussfähigkeit ist nach den vergangenen Tagen noch übrig?