Klimanotizen 29

Fossile Brennstoffe werden doppelt so stark subventioniert wie die Welt für Bildung ausgibt. Was das mit aussterbenden Kaiserpinguinen und der Hitzeinflation beim Olivenöl zu tun hat? Die Klimanotizen mit »wirtschaftlichen« Argumenten, Begriffskritik an der »Transformation« und Wachstumsfragen.

#1 Wo stehen wir? Der durch den Klimawandel bedingte Meereis-Verlust von 2022 hat »zu einem nie dagewesenen Brutausfall von Kaiserpinguinen geführt«, wie es in Berichten über eine aktuelle Studie des British Antarctic Survey heißt. In vier von fünf Kolonien in der Bellingshausensee haben im vergangenen Jahr offenbar keine Küken überlebt; »die von den Pinguinen als Brutstätten verwendeten Eisflächen komplett verschwunden waren, bevor die Küken ihr wasserdichtes Gefieder ausgebildet hatten«. Der Eisverlust 2023 war noch schlimmer. Die Prognose der Forscher: »Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten 90 Prozent der Kolonien ausgestorben sein.« Dürre und Hitze haben in Spanien, dem größten Olivenöl-Produzenten der Welt, zu einem enormen Ernteausfall geführt - ebenfalls im vergangenen Jahr. Der »Rekord-Sommer« 2023 ist da also noch nicht eingerechnet; das Ergebnis aber schon jetzt drastisch: Da die Ernste von rund 1,3 Millionen auf 610.000 Tonnen zurückging, verdoppelte sich der Preis für Olivenöl auf nun 8.600 US-Dollar pro Tonne. Der Mittelmeer-Raum erhitzt sich etwa 20 Prozent schneller als der Rest des Planeten.

#2 Daran wird sich nicht viel ändern, solange fossile Brennstoffe von den Regierungen weltweit mit 13 Millionen US-Dollar pro Minute subventioniert werden, wie der »Guardian« unter Verweis auf Berechnungen des IWF berichtet. Dies entspreche 7 Prozent des weltweiten BIP und fast dem Doppelten dessen, was die Welt für Bildung ausgibt. Expertinnen und Mitgemeinte haben erneut die gegenwärtige Klimaschutzpolitik der Bundesrepublik mit »ungenügend« bewertet - diesmal im aktualisierten Länderbericht des Climate Action Trackers. Zwar komme der Ausbau der Erneuerbaren, vor allem Solar, ordentlich voran. Doch »in der Industrie fehlt es an ausreichenden kurzfristigen Maßnahmen; die Baugesetze bleiben hinter den Erwartungen zurück, und im Verkehrssektor fehlt es völlig an einer umfassenden Politik«. Kritik wird erneut auch an den Plänen zur Aufweichung des Klimaschutzgesetzes laut. Vor dem Hintergrund der planetaren Herausforderungen sei es »unangemessen, dass Deutschland als eines der reichsten Länder der Welt« selbst einfache Maßnahmen nicht umsetze - etwa ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen. »Aber Deutschland verursacht doch nur zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen!«, hört man es an dieser Stelle schon aus allerlei politischen Richtungen rufen… Christian Schwägerl hat das »Argument« lesenswert bei »Spektrum« auseinandergenommen. Christian Stöcker hat auf einen der dabei genannten Punkte auch noch einmal hingewiesen: »Die meisten Menschen auf der Erde leben nicht wie wir. Täten sie es, wäre die Klimakatastrophe längst ungebremst und unaufhaltsam da. Unser luxuriöser Lebensstil gilt aber vielerorts als sehr erstrebenswert. Seht Ihr das Problem?« Und Lion Hirth setzt sich hier am Beispiel des leider einflussreichen Ökonomen Hans-Werner Sinn mit dessen Variation des »Aber Deutschland verursacht doch nur…«-Rhetorik sowie weiteren Pappkameraden auseinander.

#3 Dass der Eindruck entstehen kann, für wissenschaftlich basierte Aufklärung oder einfach nur vernünftigen Menschenverstand werden die Zeiten trotz aller Bemühungen eher schlechter als besser, ist nachvollziehbar. Vielleicht helfen »wirtschaftliche« Argumente? Während die unterschiedlichen  Player der Wutbewirtschaftung immer noch gegen Habeck und »Heizhammer« die Trommeln rühren, hat das Prognos-Institut für die Umweltstiftung noch einmal vorgerechnet, dass schon über eine Betriebszeit von 15 Jahren eine neue Wärmepumpe wirtschaftlicher als die neue Gasheizung wäre. Auch eine ökonomische Dimension hat, was Jake Bittle in seinem neuen Buch über die Geschichte der Klimamigration in den USA beschreibt: »Mehr als sechs Millionen Amerikaner verloren in den vergangenen zehn Jahren durch Fluten, Stürme oder Waldbrände ihr Zuhause. Im Sommer 2021 habe jeder dritte Einwohner ein katastrophales Wetterereignis erlebt. Viele Millionen Menschen werden sich in den kommenden Jahrzehnten auf den Weg machen«, so fasst die FAZ den Kern von »The Great Displacement: Climate Change and the Next American Migration« zusammen. Oder diese jüngste Warnung von Carbon Tracker: Die bisherigen Modellierungen über die volkswirtschaftlichen Folgen der Klimakrise unterschätzen die tatsächlich zu erwartenden Schäden. »Dabei liefern auch sie schon keine optimistischen Ergebnisse«, wie die TAZ in ihrem Bericht dazu schreibt. Die Modelle würden sich »zu stark auf die Temperatur fokussieren«, würden Niederschläge oft zu wenig berücksichtigen und damit auch Dürren, dasselbe gelte für Kipppunkte, die ausgeblendet bleiben - und damit auch die Möglichkeit sprunghaft steigender Schäden.

#4 In der »Süddeutschen« macht sich Gerhard Matzig derweil über »die Karriere eines Begriffs, der nervt« Gedanken: Transformation. Die Menschen würden Veränderungen nicht mögen, der menschliche Geist sei ein »kognitiver Geizhals, der auf die Erhaltung des Status quo programmiert ist« - und also, das sei sozusagen »biologisch«, sei er gegen Transformation. Diese schließlich »bedeuten häufig Verluste - an finanziellen Möglichkeiten, aber auch an Kultur, Gewohnheit, Lebensart«. Nun kann man sich fragen, wie man mit einer solchen Naturwissenschaft der Veränderungsunwilligkeit zum Beispiel die stattgefundenen Revolutionen erklären kann oder, sagen wir: Scheidungen. Auch möchte man Matzig ungern auf jenes Terrain folgen, auf dem zum Beispiel das Gendern zu einem Nebenschauplatz erklärt wird. Wohl aber hat er einen Punkt: Es müsste darum gehen, »die relevante Transformation als neue Erzählung zu etablieren. Nicht als Verlust, sondern als Gewinn.« Wozu eine Debatte nötig wäre über das, was als Gewinn gelten soll. Bliebe man dabei, darin nur Profit, Rendite, Jahresüberschuss, Standortvorteile usw. zu sehen, bliebe die Übung ebenfalls »auf die Erhaltung des Status quo programmiert«.

#5 Apropos Erhaltung: In der auch sonst nur noch schwer zu ertragenden NZZ zieht der Philosoph Edward Kanterian viele Register, um das konservative Lager für den Naturschutz zu erwärmen. Nicht zuletzt durch die Erinnerung daran, dass Klassiker des Konservatismus »prinzipielle Bedenken« gegen das Wachstum erhoben hätten. Das läuft auf die Kritik Kanterians am heutigen Konservatismus hinaus, dieser wolle »Maßloses, Wurzelloses, Utopisches: das unbeschränkte Wirtschaftswachstum«. Da bietet es sich doch gleich an, auf die Ausgabe der Zeitschrift »Ökologisches Wirtschaften« über »Postwachstum von rechts« hinzuweisen. Dass es schön wäre, gäbe es hierzulande eine Partei, »die kritische Fragen in Bezug auf gerechte Verteilung und Wirtschaftswachstum stellt«, wie es die von Teilen der Linkspartei nominierte Carola Rackete unlängst formuliert hat, bleibt außerdem richtig. Die Fragen, die dann breiter diskutiert werden könnten, betreffen nicht nur die der planetaren Folgen linker Politik und die globale Dimension von Verteilung, sondern auch die Schwierigkeiten und Widersprüche, die mit Konzepten wie Postwachstum oder Degrowth verbunden sind. Anregungen könnte man sich dazu unter anderem bei Claudius Gräbner-Radkowitsch und Birte Strunk holen, die die akademische Degrowth-Literatur unter Berücksichtigung des Globalen Südens durchgeforstet haben und zu dem Ergebnis kommen, »dass künftige Forschungen mehr Gewicht auf die Untersuchung struktureller Abhängigkeiten zwischen dem Norden und dem Süden legen sollten«, damit das »Zwillingsproblem der globalen Abhängigkeiten« freigelegt und also politisch angegangen werden könne: »die Tatsache, dass diese Abhängigkeiten innerhalb des gegenwärtigen institutionellen Rahmens gleichzeitig eine Motivation für und ein potenzielles Hindernis für Degrowth sind.«

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