Klimanotizen 28
Warum der Anstieg der Methan-Emissionen Sorgen macht. Wie Versicherer durch die Klimakrise kommen. Welche Rolle die stofflichen Grundlagen gesellschaftlicher Regulationsmuster in Debatten über Veränderung spielen sollten. Und was es mit der Idee der Faltung auf sich hat.
#1 Wo stehen wir? Womöglich am Beginn von Termination Zero, wie der Atmosphärenwissenschaftler Euan Nisbet bei »The Conversation« darlegt. Es geht um den schnellen Anstieg des klimawirksamen Methans in der Atmosphäre seit 2006, der vor allem »durch biologische Emissionen und nicht durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe« angetrieben wird, wobei die biologischen Emissionen wiederum durch den Klimawandel befeuert werden. Die jüngste Dynamik der Emissionen könnte »ein Zeichen dafür sein, dass ein großer Wandel im Klima der Erde begonnen hat«, so Nisbet. Denn eine beschleunigte Zunahme der Methankonzentration sind Kennzeichen der »Übergänge von kalten Eiszeiten zu warmen Zwischeneiszeiten«. Nur: Die Erde befindet sich derzeit schon in einer warmen Zwischenzeit, wohin also führt ein möglicher nächster Übergang? »Zu einer neuen, noch wärmeren Zukunft.« Die Folgen »für die Biosphäre im Allgemeinen als auch für die Nahrungsmittelproduktion in Süd- und Ostasien und Teilen Afrikas im Besonderen, wären beträchtlich«.
#2 Zu den bereits sichtbaren Folgen zählen diesen Sommer abermals die Vegetationsbrände, deren Zerstörungen und Emissionen selbst wieder klimawirksam werden. Oder, in den Worten des kanadischen Klimareporters John Woodside: »Was einst eine wertvolle Kohlenstoffsenke war, die half, CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen, ist seit Jahrzehnten eine Triebkraft unserer Klimaverschlechterung.« Das Ganze hat weitere Folgen, wie man Berichten über Hausversicherer entnehmen kann, die sich zum Beispiel aus Kalifornien zurückziehen, weil dort die Waldbrandgefahr immer weiter steigt. Unlängst hat State Farm, der Versicherer hatte 2021 die meisten Policen auf dem kalifornischen Sachversicherungsmarkt, angekündigt, in dem US-Bundesstaat keine Hausbesitzer mehr zu versichern. Es gibt viele solche Berichte. Auf der anderen Seite liest man: »Schwere Waldbrände in Südeuropa, Kanada und auf Hawaii verursachen riesige Schäden. Unwetter in den Alpen verwüsten ganze Landstriche. Doch den Versicherern scheint all das wenig anzuhaben. Wie kann das sein?« Erstens »haben die Versicherer die Preise kräftig erhöht. Hinzu kommt: Die Katastrophen erzeugen zusätzliche Nachfrage.« Und drittens ist nur ein kleiner Teil der Schäden überhaupt versichert; im Durchschnitt der ersten Halbjahre 2013 bis 2022 waren es nur rund 35 Prozent der Schäden durch unter anderem Gewitterserien und Hochwasser. »Die zahlen dann Bewohner und Staat.« Die planetaren Folgen fossiler Profite werden also sozialisiert; und die Versicherungsunternehmen drängen darauf, dass das so bleibt: Allein infolge der Klimaschäden könne es »innerhalb der nächsten zehn Jahre zu einer Verdopplung der Prämien für Wohngebäudeversicherungen kommen«, warnte der Branchenverband GDV unlängst, um so Druck zu machen für eine Pflichtversicherung bei Elementarschäden. An dieser Stelle könnte man auf die Idee kommen, dass nicht nur ein globaler Fonds für Ausgleichzahlungen zur Abfederung klimawandelbedingter Schäden in jenen Ländern nötig ist, die zur Krise selbst kaum etwas beigetragen haben. Sondern auch ein Entschädigungsfonds auf nationaler oder EU-Ebene, in den fossile Konzerne einzuzahlen gezwungen werden, damit Öffentlichkeit und Privatpersonen im klimabedingten Schadensfall Hilfen erhalten können.
#3 Aber die Wirtschaftskrise!! Aber die Deindustrialisierung!! Man hört schon die ablehnenden Stimmen: »Der Wirtschaft« dürfe in der gegenwärtigen Schwächephase nicht noch mehr zugemutet werden, die Ärmste. Da ist eine wirksame Erzählung gefunden worden, um wirksame Klimapolitik zu blockieren, zu lenken oder zu verschieben. Und ein ebenso wirksames Narrativ für Interessendurchsetzung (Verteilungsdimension) und die Bewahrung eines bestimmten Regulationsmodells (Wachstumsfrage), wobei in entwickelten Ländern weniger das Niveau des BIP-Wachstums entscheidend ist, sondern dessen Verteilung. Aber zuerst drei Fragen: Ist die Lage wirklich so schlimm? Stephan Kaufmann verschafft hier einen erhellenden Überblick, der zeigt, dass es eher um die Konkurrenzpositionen deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt geht und darum, wer die Kosten dafür trägt, damit einige von dieser Konkurrenzposition profitieren. Zweite Frage: Sind die aktuell vorgeschlagenen Rezepte die richtigen? Klaus Seipp hat dazu hier ein paar Anmerkungen zum »Wachstumschancengesetz« aufgeschrieben; hier zu einigen ökonomischen Aspekten des Bundeshaushalts 2024 und hier etwas zu der Frage, was BIP-Wachstum überhaupt mit Wohlstand zu tun hat - und warum es sinnvoller wäre, sich als Gesellschaft damit auseinanderzusetzen, wofür man überhaupt Wachstum will. Dazu später noch. Die dritte Frage: Könnte es sein, dass die schrillen Warnungen einfach das Geräusch sind, das bei durchgreifenden Transformationen nun einmal entsteht? Was die Bundesrepublik angeht, sind das ja nicht nur »grüne Übergänge«, sondern auch Veränderungen des speziellen deutschen Akkumulationsregimes, das lange auf Pfeilern wie Automotive, Maschinenbau, Exportorientierung, Handelsüberschüsse beruhte und nun stärker, wie Michael Pettis anmerkt, auf Binnennachfrage und Dienstleistungen orientieren muss. Auch Rudolf Hickel will von Deindustrialisierung nichts wissen, »wir durchleben den politisch voranzutreibenden Umbau in das Industriezeitalter der Klimaneutralität«, dieser werden natürlich »auch zu Übergangsschwierigkeiten führen«, das sei jedoch nicht das Ende der Industrie, sondern »ein Beleg für Schumpeters ›schöpferische Zerstörung‹«.
#4 Noch einmal zu Seipps Frage, wofür eigentlich Wirtschaftswachstum angestrebt werden soll. Es liegt eine weitere, sehr grundsätzliche darin, an der man sich nicht vorbeimogeln kann: Wie viel Wachstum oder: ist Wachstum überhaupt noch möglich und wenn ja in welchem Maße, in welcher globalen Verteilung? Wir haben das Thema immer wieder aufgegriffen, die Diskussion darüber ist recht lebendig, nur nicht so sehr in der parteipolitischen Linken. Das mag mit dem zu tun haben, was Werner Kindsmüller als »Trilemma der SPD« bezeichnet, welches daraus entsteht, dass der fossile Klassenkompromisses am Ende ist, auf dem soziale Integration innerhalb des Kapitalismus hierzulande im wesentlichen beruhte. Er bildete »die Grundlage der Wohlfahrtspolitik, die die SPD seit den 1970er Jahren politisch stark gemacht hat. Er fußt auf drei Säulen: dem Produktivismus, dem Zwang zur permanenten Ausweitung des Wachstums der Produktion, der Aneignung billiger Natur und der Verfügung über die Früchte billiger Arbeit. Das Fundament dieser Wohlfahrtspolitik bildet der Zugang zu günstigen fossilen Rohstoffen. Die Tatsache, dass ökonomische Umwandlungsprozesse naturgebunden sind, konnte so lange missachtet werden, solange genug Stoffe und Energien vorhanden schienen und billig importiert werden konnten. Damit ist Schluss«, so Kindsmüller. Der entscheidende Punkt hier ist, dass gesellschaftliche Regulationsmuster auf stofflichen Grundlagen beruhen - auch alternative. Das wiederum heißt, dass eine Antwort nicht schon mit dem Hinweis gegeben werden kann, »der Kapitalismus« sei das Problem, sondern erst dann zu einer wird, wenn sie ein gesellschaftliches Regulationsmodell und den möglichst schnellen Weg dorthin vorweisen kann, das innerhalb der planetaren Grenzen und unter Beachtung der Geltung linker Wertmaßstäbe wie Gleichheit, Freiheit und Kooperation auch durchsetzbar ist. Fabian Lindner ist anderer Auffassung: »Kein Wachstum ist auch keine Lösung«. Einen ganz anderen Zugang wählt Andreas Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der auch im IPCC sitzt: Faltung. Wie bitte? Schon vor ein paar Jahren hat er es als die entscheidende Herausforderung bezeichnet, »unendliches Wachstum im endlichen Raum zu ermöglichen«, dies sei »der Kern der mathematischen Chaosforschung und wurde in der Physik bereits vor dreißig Jahren intensiv untersucht«. Levermanns Überzeugung: Das zugrunde liegende Prinzip, das in der Quantenphysik und Relativitätstheorie schon seinen Platz hat, solle auch »Einzug in unser gesellschaftliches Denken« finden: »Neben der Stagnation und der zyklischen Bewegung gibt es in der Theorie der dynamischen Systeme das Prinzip der Faltung: Ein System kann sich frei entwickeln, aber dadurch, dass es in einem endlichen Raum operieren muss, vermeidet es die Explosion. Dadurch, dass es ›weiß‹, dass der Raum endlich ist, biegt es vor der Kollision mit den Grenzen des vorgegebenen Raums ab und faltet sich zurück in den Raum. (…) Was dabei entsteht, ist ein Wachstum in die Vielfalt, die den vorgegebenen Raum einnimmt, ihn aber nicht sprengt. (…) Im endlichen Raum ist das dadurch möglich, dass sich die Richtung der Entwicklung stetig ändert. Das Wertesystem ändert sich. Zum Beispiel ist es der neuen Generation nicht mehr wichtig, das größte Auto zu haben, sondern möglichst schnell und bequem von einem Ort zum anderen zu kommen. Diese Anpassung von Werten erlaubt eine stetige ›Verbesserung‹ der Gesellschaft im Rahmen des derzeitigen Wertesystems.«
#5 Das klingt nun erst einmal sehr anders als die Position von Kohei Saito, die wir in den Klimanotizen schon aufgegriffen hatten. Aber vielleicht sind die Sichtweisen gar nicht so verschieden. Abseits von Schlagworten wie »Degrowth-Kommunismus« geht es bei Saito ja durchaus auch ums Wertesystem, sogar sprichwörtlich: Zu den fünf Säulen seines Ansatzes gehören der Wandel zu einer an Gebrauchswerten orientierten Ökonomie, Veränderungen der Rolle von Arbeitszeit und die Demokratisierung des Produktionsprozesses. Mit ein bisschen Phantasie kann man sich das auch als »Faltung« im Levermannschen Sinne vorstellen. Eine Ähnlichkeit verbindet beide ohnehin mit vielen anderen, die von wissenschaftlicher Erkenntnis ausgehend Dringlichkeit und Veränderungstiefe beschreiben, aber Schwierigkeiten haben, konkrete Wege und Umgestaltungsoptionen aufzuzeigen. Das ist hier nicht als billiger Vorwurf gemeint, sondern verweist auf die Zentralität dessen, was wir Umsetzungsfrage genannt haben, die sich wiederum aus der Zeiteigenschaft der biophysikalischen Existenzkrise ergibt. Die Betonung der Umsetzungsfrage sollte weder zu einem ausschließlichen Plädoyer der »kleinen, aber möglichen Schritte« verleiten, weil diese nicht ausreichen; sie wird aber auch mit der (verständlichen) Hoffnung auf einen »großen Sprung« heraus aus den Verhältnissen nicht konkret beantwortet werden können. Eine Lösung liegt eventuell darin, als potenzielle, politisch zu verfolgende Veränderungen vor allem jene in Betracht zu ziehen, die einen möglichst kurzen Abstand zu beiden Enden des Fadens aufweisen. Das könnte die Auseinandersetzung mit den jeweils auftretenden Widersprüchen erleichtern, die - je nachdem zu welchem Ende des Fadens hin man diese potenziellen Veränderungen positionieren kann - unterschiedlicher Natur sein werden: Umsetzungsmöglichkeit und Umsetzungstiefe werden, wie in kommunizierenden Röhren miteinander verbunden, variieren. Die Umsetzungsmöglichkeit eines »Staatlichen Sanierungskapitals« für die Wärmewende, bei der Privatpersonen beim Heizungstausch mit KfW-Darlehen unterstützt werden, um ein Beispiel zu nennen, ist höher, die Umsetzungstiefe aber geringer, weil zwar die soziale Abfederung in diesem, vom gewerkschaftsnahen IMK vorgeschlagenen Konzept sehr innovativ ist, aber mit Blick auf die stofflichen Grundlagen sich zu wenig ändern würde. Höhe Akzeptanz für geringere Veränderung - das kann natürlich trotzdem sinnvoll sein. Eine Diskussion über die Idee des »Staatlichen Sanierungskapitals« hat bisher allerdings kaum stattgefunden, wohl auch, weil es von der Parteipolitik links liegen gelassen wurde.