Klimanotizen 25

Eine Welt ist nicht genug für die gegenwärtige Lebens- und Wirtschaftsweise - aber was folgt aus dieser schon ziemlich alten Erkenntnis? Klimakatastrophen bestärken die Zustimmung zu Klimaschutz offenbar nicht. Und wo es um Reduktion gehen müsste, wird wieder allerorten Wachstum gefordert.

#1 »Eine Welt ist nicht genug«, lautete die Schlagzeile der FAZ zum »Erdüberlastungstag«, der in diesem Jahr auf den 2. August taxiert wird und der jenes Datum anzeigt, an dem die Menschheit so viele Ressourcen von der Erde in Anspruch genommen hat, wie alle Ökosysteme im gesamten Jahr erneuern können. »Deutschland geht mit schlechtem Beispiel voran«, weiß die Frankfurter Allgemeine, denn der »deutsche Erdüberlastungstag« war heuer bereits am 4. Mai: »Eine Welt ist uns also nicht genug. Wir bräuchten drei davon.« Ganz neu ist diese in ihrer Einfachheit erschreckende Erkenntnis nicht - und die Tatsache, dass schon 2022 in der FAZ die Überschrift zur Erdüberlastungstagsmeldung »Eine Welt ist nicht genug« lautete, zeigt sowohl die Dringlichkeit der Mahnung an wie sie auch darüber Auskunft gibt, dass einfach zu wenig passiert. Zwei weitere Erden wird man nicht einmal mit deutscher »Technologieoffenheit« bauen können. Und wie lange noch kann man die Schlagzeile »Eine Welt ist nicht genug« produzieren, bis die Welt nicht einmal mehr dafür genug ist? An anderer Stelle ist zu lesen: »Eine Studie der Ohio State Universität zeigt, dass nur sechs Prozent von 178 Ländern ökologisch nachhaltig wirtschaften, indem sie ihre Bürgerinnen und Bürger angemessen mit Nahrung, Energie und Wasser versorgen, ohne dabei die natürlichen Kapazitäten zu überschreiten.«

#2 Amanda Diep vom Global Footprint Network, das den Erdüberlastungstag als Verhältnis der biologische Kapazität der Erde zum Aufbau von Ressourcen und zur Aufnahme von Müll sowie Emissionen auf der einen und den Verbrauch an Wäldern, Flächen, Wasser, Ackerland und Fischgründen in der gegenwärtigen Lebens- und Wirtschaftsweise auf der anderen berechnet, weist auf die grundlegende Richtung, in der zumindest die Möglichkeit einer wiedererlangten Balance mit der begrenzten bio-physikalischen Kapazität des Planeten liegt: Dazu müsste der Erdüberlastungstag in den nächsten sieben Jahren jährlich um 19 Tage nach hinten verschoben werden. Es gäbe viele Möglichkeiten, heißt es beim Network, um Ressourcensicherheit in fünf Schlüsselbereichen - gesunder Planet, Städte, Energie, Nahrungsmittel und Bevölkerung - zu verbessern. Die Halbierung der Lebensmittelabfälle weltweit würde zum Beispiel 13 Tage bringen, die der Erdüberlastungstag wieder nach hinten korrigiert werden könnte. »Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnkürzung« brächte elf Tage; der Ersatz der Hälfte des weltweiten Fleischkonsums durch pflanzliche Produkte würde allein in den Bereichen CO2-Emissionen und Landnutzung sieben Tage bringen. Und so weiter.

#3 Man wird nicht bei allen vom Network vorgeschlagenen »Power of possibiliity highlights« uneingeschränkte Zustimmung verlangen können, der springende Punkt liegt auf der grundlegende Richtung der notwendigen Veränderung: Reduzierung. Derweil dreht der Wind in der Bundesrepublik woanders hin: »Wachstumsplan gesucht« (Handelsblatt), »Das taugen die Wachstums-Ideen der Politiker« (SZ), »Was die Wirtschaft jetzt braucht« (FAZ) lauten vor dem Hintergrund als negativ erachteter Wirtschaftsdaten immer öfter die Schlagzeilen. Ob sich hier eine Reökonomisierung der öffentlichen Debatte über Kurs und Substanz der Klimapolitik andeutet, sei dahingestellt, vernünftiger wäre es allemal, wieder anders über Wachstum und Wohlstand zu diskutieren als in Schlagworten des »Kulturkampfes«. Dies gilt nicht nur mit Blick auf allgemeine »Erdüberlastungsfragen«, sondern ebenso für realisierbare Pfade des industriellen Umbaus, für notwendigen Schritte über bisherige Selbstverständlichkeiten des politischen Handelns hinaus, etwa was die aus ökonomischen Wachstumsbeiträgen schöpfende soziale Integration angeht, oder, wie der »Freitag« unlängst rückblickend auf die Geschichte formulierte: »Dann setzte der Konsumismus ein, breitete sich aus und führt heute zur Zerstörung des Planeten… Konsumismus, der nichts anderes als die faktische Basis eines Bündnisses der konsumierenden Menschen mit ›den Konzernen‹ ist.« Ob es »Aufgabe der Linken« ist, »dieses Bündnis zu sprengen«, und ob das heißen müsste »an einer Umorientierung der Bürger:innen« zu arbeiten, »nicht als Propagierung von Konsumverzicht«, sondern »gerade umgekehrt eines besseren Konsums«, ist eine zweite, damit zusammenhängende Frage.

#4 Die Widersprüchlichkeit der ersteren hat Stephan Kaufmann dieser Tage auseinandergenommen: »Wie die Politik das Wirtschaftswachstum einerseits problematisiert und gleichzeitig heiligt.« Da ist man schnell bei der umstrittenen Annahme, kapitalistisches Wachstum ließe sich mit Klimaschutz vereinbaren und der Frage der Entkoppelung. Auch hierüber gibt es seit Jahren Debatten. Dass inzwischen auch die Bertelsmann-Stiftung darauf hinweist, dass bei einem Schrumpfen der Emissionsintensität mit der Rate der vergangenen drei Jahrzehnte - also um 2,84 Prozent pro Jahr - das Ziel der Klimaneutralität 2045 nur dann in der Bundesrepublik erreicht werden könnte, »wenn das reale BIP ab sofort jedes Jahr um durchschnittlich 7,23 Prozent schrumpft«. Oder eben: die Emissionsintensität müsste jedes Jahr um durchschnittlich 11,3 Prozent runtergehen. Dass letzteres vom Bertelsmann-Experten befürwortet wird, überzeugt Kaufmann nicht: »Die Argumentation folgt dem seit Jahrzehnten gängigen Muster der Debatte: Zunächst wird festgestellt, dass Wachstum nur bei Entkopplung vom Umweltverbrauch funktioniert. Dann wird zweitens festgestellt, dass die Entkopplung wahrscheinlich nicht reicht, weswegen drittens eine ökonomische Schrumpfung nötig wäre, die aber viertens nicht sein darf, weswegen wir fünftens so weitermachen wie bisher und auf das Beste hoffen müssen.« Die Alternative sei, dem »Bedürfnis der Unternehmen nach Wachstum« die Grundlage zu entziehen, heißt, dass »die Produktion den Bedürfnissen der Menschen untergeordnet und dem ›Wachstum‹ damit seine Notwendigkeit genommen würde«. Und das alles in knapp 20 Jahren.

#5 Apropos Wachstum: »Wir müssen unsere Anstrengungen verdreifachen«, sagt der neue Vorsitzende des Weltklimarates, Jim Skea, im »Tagesspiegel«. Das weist auf ein mögliches Dilemma hin, dass nämlich, um künftig wieder zurück in den Rahmen planetarer Grenzen zu finden, diese erst einmal und aufgrund des Zeitfaktors der biophysikalischen Existenzkrise teilweise beschleunigt überschritten werden müssen; denn auch viele der von Skea angesprochenen »Anstrengungen« dürften zunächst aufs negative Erdüberlastungskonto einzahlen: auch die Energie- und Mobilitätswende, der Umbau von Industrie etc. brauchen Rohstoffe, emittieren Treibhausgase usw. Hinzu kommt: Einen Klimaschutz, der der Herausforderung entspricht, »erreichen wir nur, wenn darüber ein Konsens besteht, dass sich die ganze Gesellschaft in diese Richtung bewegen will.« Danach sieht es zurzeit nicht aus, nicht zuletzt, weil »in diese Richtung« ein ziemlich breiter Korridor ist, in dem Maßnahmen nebeneinander stehen, die je nach Standpunkt als gar nicht »wirklich wirksam« für den Klimaschutz kritisiert werden, was auch daran liegt, dass unter dem Ziel »Klimaschutz« keineswegs alle das gleiche verstehen. Helfen schlechte Nachrichten? Auch das wohl nicht. Dass »ungewöhnlich hohe Temperaturen, Waldbrände oder andere Katastrophen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, die Unterstützung für eine ehrgeizige Klimapolitik plötzlich erhöhen«, dafür gibt es laut dem Soziologen Eduardo Gresse vom Exzellenzcluster »Climate, Climatic Change and Society« (CLICCS) der Uni Hamburg, »keine wissenschaftlichen Belege«. Er sieht derzeit »eher einen Backlash gegen den Klimaschutz«: Viele wollten »eben keinen ambitionierten Klimaschutz. Andere sind umso enttäuschter, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt werden.« Skea, dessen erstes Interview im neuen Amt, erschienen im »Spiegel«, in den Empörungsnetzwerken als Beleg zitiert wurde, die Lage sei doch gar nicht so dramatisch, weist diese Interpretation zurück und bleibt trotzdem selbst optimistisch. »Ein Risiko der IPCC-Berichte ist, dass der Fokus stark auf dem Negativen liegt, auf Untergang und Verzweiflung angesichts der schlimmen Dinge, die passieren können«, so der Schotte. Aber: »Wir sollten nicht aufgeben. Es gibt vieles, das wir tun können. Die Zukunft ist nicht hoffnungslos. Diesen Aspekt sollten wir beim Klimawandel stärker betonen.«

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