Klimanotizen 17

Der Klimaminister entdeckt den Wirtschaftsminister wieder in sich, heißt es. Welche Folgen das hat, macht schon das Beispiel Intel deutlich. Die obere Atmosphäre kühlt ab, aber das ist auch keine gute Nachricht. Zumal mit »Deep warming« schon das nächste planetare Erwärmungsproblem auf uns zukommt.

#1 Nach dem, was die »Welt«, die daran per medialer Fanfarenstöße maßgeblich mitgewirkt hat, das »Heizungs-Debakel« nennt, will sie nun einen »Kurswechsel des Robert Habeck« erkennen. Dieser »entdeckt nach dem Klima- wieder den Wirtschaftsminister in sich«, eine »spürbare Zäsur gibt es offenbar auch innerhalb seines Hauses« und all das wird dann als »Einlenken« bezeichnet. Mit diesem Wort wird üblicherweise nicht nur beschrieben, dass jemand die Richtung wechselt, sondern vor allem, dass damit ein Nachgeben verbunden ist. Gegenüber wem? »Der Unmut bei vielen Firmen ist groß.« Eine Industrielobbyistin wird mit den Worten zitiert: »Bei uns fehlt dieses Übergreifende abseits der Klimaziele.« Das Wörtchen, das hier entscheidend ist: abseits. In dieses scheinen auch die deutschen Klimaziele zu geraten. Jonas Schaible wagt einen Blick voraus. Vom runtergedrehten Gebäudeenergiegesetz bis zum entkernten Klimaschutzgesetz - man kann zwar nicht wirklich sagen, wo die Republik 2025 angekommen sein wird. Aber man kann sagen, wo wir gut zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl stehen: Hier gibts den Energiewende-Tracker des Aridna-Kopernikus-Projektes; die meisten Indikatoren zeigen »Rückschritt«, »zu langsam« oder »viel zu langsam« an. Nochmal Schaible: »Klimaschutz ist bisher kein Ampelprojekt, es ist weitgehend eine Klimaministeraufgabe.« Und der entdeckt nun also den Wirtschaftsminister in sich? Auweia. Das müsste ja eigentlich kein Widerspruch sein, wird aber hierzulande immer schon als solcher behandelt: dort die Ökonomie - hier das Politische, das Soziale und nun eben auch: das Ökologische. Apropos: Habeck ward von der »Welt« wegen seines Einsatzes für die Intel-Ansiedlung in Magdeburg gelobt. Dort werden demnächst Chips der nächsten Generation produziert, ein Drittel der Investition in privater Konzernregie kommt dabei aus öffentlicher Hand. Damit Europa unabhängiger und Sachsen-Anhalt blühender werde - und die deutsche Autoindustrie künftig nimmer mehr unter Lieferproblemen leide. Für die Bereitstellung der Subvention, meldet table.media, müsse Habeck »auf Mittel außerhalb des Haushalts zugreifen, über die er relativ frei verfügen kann: den Klima- und Transformationsfonds… Das ist nicht nur deshalb problematisch, weil die Chipfabrik mit dem Klima wenig zu tun hat, sondern auch, weil die Gelder bei anderen Projekten fehlen werden«.

#2 Am Tag der Verkündung der Intel-Ansiedlungs-Milliarden-Subvention aus dem Klimafonds haben die Weltwetterorganisation WMO und der EU-Klimadienst Copernicus ihren jährlichen Zustandsbericht vorgelegt: »Der Klimawandel fordert in Europa, dem sich am schnellsten erwärmenden Kontinent der Welt, einen hohen menschlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Tribut. Das Jahr 2022 war von extremer Hitze, Dürre und Waldbränden geprägt. Die Meeresoberflächentemperaturen erreichten rund um Europa neue Höchstwerte, begleitet von Hitzewellen im Meer. Die Gletscherschmelze war so stark wie nie zuvor«, heißt es darin unter anderem. Europa habe sich »seit den 1980er Jahren doppelt so stark erwärmt hat wie der globale Durchschnitt, mit weitreichenden Auswirkungen auf das sozioökonomische Gefüge und die Ökosysteme der Region«. Damit lag der Kontinent vergangenes Jahr »etwa 2,3 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt (1850-1900), der als Grundlage für das Pariser Abkommen über den Klimawandel dient«. Und weiter: »Die hohen Temperaturen verschlimmerten die schweren und weit verbreiteten Dürrebedingungen, fachten heftige Waldbrände an, die zur zweitgrößten verbrannten Fläche aller Zeiten führten, und führten zu Tausenden von hitzebedingten Todesfällen.« Der Bericht sieht immerhin ein »Hoffnungszeichen für die Zukunft«: dass im vergangenen Jahr erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Energien als aus umweltschädlichem fossilem Gas erzeugt wurde.

#3 Derweil berichtet die »Süddeutsche«: Die Atmosphäre kühlt sich ab. Da guckt man lieber zweimal hin. Es geht um die Abkühlung der oberen Schichten der Atmosphäre, während die in der Nähe der Erde immer wärmer werden. Von »einer dramatischen Abkühlung der darüberliegenden Stockwerke der Gashülle« ist die Rede. Durch den menschengemachten Klimawandel werden die oberen Atmosphärenschichten in ihrer chemischen Zusammensetzung, Temperatur und sogar Ausdehnung verändert. Die Wissenschaft zeigt, »dass eine Erhöhung des CO2-Gehalts in der mittleren Atmosphäre zu einer Abkühlung führt«. Die Meteorologin Ulrike Langematz gehört zu den Entdeckerinnen dieses Zusammenhangs und wird mit den Worten zitiert: »Inzwischen wissen wir, dass es durchaus Rückkopplungen nach unten gibt, die auch unsere Wettersysteme beeinflussen können.« Dies hängt unter anderem mit Folgen des Klimawandels »weiter unten« für die Ozonschicht »weiter oben« zusammen. 2020 hätten Forscherinnen »einen nie zuvor beobachteten Zerfall der Ozonschicht« ausgemacht. Wie das auf Wetter und weitere Entwicklungen Einfluss hat, erklärt Benjamin von Brackel ausführlich. Was man daran auch ohne Expertise versteht: Die Klimakrise setzt auch früheren Früchten planetarer Schutzmaßnahmen zu wie dem Kampf gegen das Ozonloch, das »eine Erfolgsgeschichte der internationalen Zusammenarbeit« ist. Oder wie man nun vielleicht sagen muss: war.

#4 So, wie die folgenreiche Abkühlung der oberen Atmosphärenschichten ein öffentliches Schattendasein führt, verhält es sich auch mit dem, was der Physiker und Wissenschaftsjournalist Mark Buchanan »Deep warming« nennt. Selbst wenn wir »das unmittelbare Erwärmungsproblem im Zusammenhang mit dem Treibhauseffekt lösen«, schreibt er im Londoner Aeon-Magazin, bekommen wir bald »ein weiteres Erwärmungsproblem«, das Problem der »tiefen Erwärmung«, das sich durch die unvermeidliche Abwärme bildet, die immer dann entsteht, wenn wir Energie für etwas verwenden. Es handele sich also um »ein Problem, das in unserer Beziehung zur Energie selbst angelegt ist«. Buchanan führt mit Zahlen des Historikers und Archäologen Ian Morris in den Gedanken ein: Die frühmenschlichen Gesellschaften der Jägerinnen und Sammler verbrauchten im Schnitt pro Kopf vor über 10.000 Jahren etwa 5.000 kcal pro Person und Tag durch den Verzehr von Nahrung, die Verbrennung von Brennmaterial, die Herstellung von Kleidung, den Bau von Unterkünften oder durch andere Aktivitäten. In späteren Zeiten des Ackerbaus konnten wir bis zu 30.000 kcal pro Tag verbrauchen. Bis in die 1970er Jahre ermöglichte die Verwendung fossiler Brennstoffe dem Menschen bereits einen Verbrauch von etwa 230.000 kcal pro Person und Tag; im globalen Durchschnitt - und also in den reichsten Ländern bis zu 100 Mal mehr. Inzwischen sind es sicher nochmal deutlich mehr. Laut den Gesetzen der Thermodynamik, genauer: dem zweiten Hauptsatz, bewegt sich die Energieumwandlung in natürlichen Prozessen immer von besser organisierten und nützlichen Formen zu weniger organisierten und weniger nützlichen Formen. Einfacher gesagt: Am Ende bleibt immer mindestens ein bisschen Abwärme übrig. »Wenn sich dieser historische Trend fortsetzt, wird nach Schätzungen von Wissenschaftlern in etwa 150 bis 200 Jahren die Abwärme ein Problem darstellen, das genauso gravierend ist wie das aktuelle Problem der globalen Erwärmung durch Treibhausgase«, so Buchanan, der zwar einschränkt, dass das genaue Datum »bei weitem nicht sicher« sei, es könnte auch erst in 800 Jahren soweit sein. Aber auch das »liegt in der relativ nahen Zukunft«. Das Problem wurde 2008 von Eric Chaisson mit zum ersten Mal in »Long-Term Global Heating from Energy Usage« beschrieben. »Warum sprechen also nicht mehr Menschen darüber?«, fragt Buchanan. Das könnte damit zu tun haben, was nötig wäre, um diesem Problem erfolgreich zu begegnen, es abzuwenden: »Es gibt keinen technischen Trick, der uns aus dem Problem der starken Erwärmung herausführt«, die Lösung »würde einen radikalen Bruch mit unserer Vergangenheit erfordern: weniger Energie zu verbrauchen.« Da wir auch Effizienzgewinne sofort mit Rebound-Effekten wieder aufzehren, müsste »jede hilfreiche neue Technologie, die zum Einsatz kommt und viel Energie verbraucht, eine ausgleichende Reduzierung des Energieverbrauchs an anderer Stelle erfordern«. Buchanan plädiert dafür, »Einschränkungen unseres Energieverbrauchs als nicht verhandelbares Element des Lebens auf der Erde zu betrachten«. Oder, allgemeiner gesprochen: »Wir müssen die menschliche Geschichte verändern. Sie muss zu einer Geschichte werden, in der es darum geht, weniger und nicht mehr zu tun

#5 Auf die schwerwiegenden ökologischen Folgen der Sprengung des Kachowka-Staudamms durch russische Invasoren Anfang Juni 2023 macht eine aktuelle Stellungnahme von Oleksandra Shumilova vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei sowie Professor Klement Tockner, dem Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung aufmerksam. Zwar lägen noch nicht ausreichend überprüfbare Daten vor, um das Ausmaß der Zerstörungen und deren Konsequenzen in der ukrainischen Region verlässlich abschätzen zu können. »Dennoch sind bereits jetzt dramatische Folgen für die Artenvielfalt und Naturschutzgebiete erkennbar. Während flussaufwärts des Staudamms weite Bereiche austrocknen und ein Massensterben von Fischen und anderen Wasserorganismen zur Folge hat, kommt es flussabwärts zu großflächigen Überschwemmungen, wodurch wertvolle Ökosysteme von nationaler und internationaler Bedeutung zerstört werden. Das Dnjepr-Delta ist reich an Inseln, Auwäldern und Schilfgebieten – ein Hotspot der Artenvielfalt. Über 100 der dort heimischen Pflanzen- und Tierarten stehen auf verschiedenen Roten Listen. Insgesamt sind wohl 160.000 Vögel und mehr als 20.000 andere Wildtiere durch die Explosion des Wasserkraftwerks in ihrer Existenz bedroht.« Als sicher bezeichnen die beiden Expertinnen, »dass die Folgen noch Jahrzehnte zu spüren sein werden, mit massiven Beeinträchtigungen für die Umwelt – einschließlich der Küstenbereiche des Schwarzen Meeres – und die Versorgung von Millionen von Menschen mit sauberem Trinkwasser sowie Wasser für Land- und Fischerwirtschaft«. Bereits Anfang März 2023 war eine Studie von IGB und SGN in »Nature Sustainability« über die Folgen der Zerstörung der Wasserinfrastruktur für die Bevölkerung, die Umwelt und die weltweite Ernährungssicherheit erschienen.

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