Klimanotizen 16

Die Hitzeanomalie in den Ozeanen beunruhigt nicht nur Fachleute. Was manchem wie ein Katastrophenfilm erscheint, hat Kim Stanley Robinson schon weitergedacht. Am Heizungsgesetz wird deutlich, was »verschieben heißt verschärfen« bedeutet. Und die FAZ macht sich Gedanken über »radikalen Wandel«.

#1 Seit Tagen machen Daten über eine ungewöhnliche Erwärmung der Ozeane die Runde. Angesichts des überdurchschnittlichen Temperaturanstiegs im Atlantik und im Nordpazifik »sorgen sich viele Beobachter«, auch wegen der geringen, extrem stark abweichenden Meereisbedeckung im südlichen Polarmeer, so fasst Joachim Müller-Jung in der FAZ die Lage zusammen. Er weist darauf hin, dass unter Klimaforscherinnen und Meteorologen »noch immer keine schlüssige Erklärung« Konsens ist, »dafür umso mehr Spekulationen und Streit unter Wissenschaftlern«. Die Biologin Bettina Wurche hat für »Spektrum« den Stand der Debatte nun ausführlich zusammengefasst: »Die Ursachen für diese Hitzeanomalie werden noch diskutiert. Vermutlich ist es ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren«, sie nennt Klimawandel, den »El Nino im tropischen Pazifik (natürliche Schwankung, die sich global auswirkt)« und »weniger Saharastaub«. Und weiter: »Ein wichtiger Aspekt ist, dass diese KlimaexpertInnen klar erklären, dass ein extremes Wetterphänomen durch die anthropogene Erderwärmung noch wesentlich extremer wird.« Die Folgen seien »noch nicht vollständig abschätzbar«, Wurche erwartet »in den nächsten Monaten Extremwetter-Events wie Stürme, Massensterben von Fischen und Walen durch Giftalgenblüten, bei Fischen zusätzlich Massensterben durch Ersticken und auch an Land hohe Temperaturen und Dürre, nicht nur in Deutschland.«

#2 Die Diskussionen der Fachleute, nicht zuletzt im Kurznachrichtendienst Twitter, habe für sie, schreibt Wurche, etwas von einem »Katastrophenfilm: Wenn Wissenschaftler erklären, wie die Katastrophe ablaufen wird und dann im nächsten Bild genau das gezeigt wird. Ich befürchte nur, dass wir in diesem Fall nicht einfach umschalten können, sondern leider mittendrin sitzen bleiben müssen.« Das beschäftigt auch die deutsche Versicherungswirtschaft: »Es könnte allein infolge der Klimaschäden innerhalb der nächsten zehn Jahre zu einer Verdopplung der Prämien für Wohngebäudeversicherungen kommen«, zitiert die »Frankfurter Allgemeine« den Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Versicherer, Jörg Asmussen. »Und es könnte sogar noch schlimmer kommen: Einzelne Immobilien könnten gar nicht mehr versicherbar sein«, so die Zeitung unter Berufung auf Asmussen weiter. Der wiederum verweist auf einen Klimastresstest der Bank of England, die Tatsache, dass zwei der größten Versicherer in den USA sich bereits weigern, in Kalifornien neue Gebäudeversicherungen abzuschließen, und die Einschränkung ihrer Geschäfte durch andere Assekuranzriesen - unter anderem mache »der rapide Anstieg der Katastrophenrisiken neue Policen nicht mehr tragbar«. Wohin führt das? In Kim Stanley Robinsons Roman »Das Ministerium für die Zukunft« kommt bei einem der regelmäßigen Montagstreffen des Stabes die Figur Jürgen Atzgen zu Wort, der in dem Gremium für Assekuranzfragen zuständig ist; Robinson gibt ihn in seinem Blick in eine ganz nahe Zukunft in Protokoll-Stichpunkten wieder: »Versicherungsgesellschaften in Panik über Berichte vom letzten Jahr. Leistungen bei ungefähr einhundert Milliarden Dollar pro Jahr, schnell steigende Hockeyschlägerkurve. Rückversicherer haben schlechte Karten. Können keine ausreichenden Prämien festsetzen, die sich sowieso niemand leisten kann. Unberechenbarkeit führt dazu, dass Rückversicherer einfach nicht mehr für Umweltkatastrophen aufkommen, so wie auch bei Krieg oder politischen Unruhen usw. Im Prinzip also Ende des Versicherungswesens. Alle stehen ohne Versicherung da. Verantwortlich für Zahlungen letztlich Staaten, doch die meisten Staaten hoch verschuldet bei Finanzwirtschaft, also auch bei Rückversicherern. Weitere Bereitstellung von Mitteln würde Vertrauen in Geld erschüttern. Das ganze System damit vor Zusammenbruch.«

#3 Bleiben wir bei der »Frankfurter Allgemeinen«. Mit Blick auf das nach langem Streit abgeschwächte Gebäudeenergiegesetz und die vorgesehenen Regelungen zur Wärmeplanung will Jasper von Altenbockum einen »Nebeneffekt« erkennen: »dass die grünen Träume im Klimaschutz so gestutzt werden, dass sie für viele Haushalte nicht zum Albtraum werden«. Die Wahrheit ist, dass das Stutzen einen Albtraum vergrößert und in die Zukunft verschiebt. Bernd Ulrich hat das vor einigen Wochen einmal einprägsam auf den Punkt gebracht: »Die Agenda der Politik ist nicht mehr nach hinten offen. Wir können nicht mehr verschieben. Verschieben heißt verschärfen. Später ist heißer.« Während von Altenbockum, der 61 ist, was wie ein persönlicher Anwurf klingen mag, aber vor dem Hintergrund der Klimakrise nicht nebensächlich ist, die auch als Generationenfrage wirkt, den Grünen immerhin zugute hält, »dass sie es sind, die immer wieder Bewegung in die Sache bringen«, also »die holprige Fahrt in Richtung Klimaziele zu beschleunigen«, geht Julia Löhr ebenfalls in der FAZ den Punkt anders an: »Für einen radikalen Wandel gibt es in Deutschland keine gesellschaftliche Mehrheit.« Dass Löhr die Verzögerung »keine schlechte Nachricht« nennt, ist das eine. Dass sie gar nicht erst versucht, die heftigen Kontroversen, den »Kulturkamp« ums Heizen, hinter Hinweisen auf Umfragen zum Verschwinden zu bringen, in denen Mehrheiten angeben, sie hielten die biophysikalische Existenzkrise für eine oder gar die wichtigste Herausforderung, das andere. Löhr mag das Dilemma anders auflösen wollen als jene, die im entschärften Heizungskompromiss allenfalls Klimaschutz light sehen können. Aber sie spricht es immerhin aus: »Die Menschen wollen ihren Wohlstand wahren, im besten Fall mehren. Wer das ausblendet, riskiert, dass es eines Tages in einer Demokratie auch politische Mehrheiten geben könnte, die jedes Engagement für den Klimaschutz ablehnen.« Wer Letzteres verhindern will, muss sich dem Satz davor zuwenden. Und ja, auch hierin liegt eine Generationenfrage. Denn die Mehrheit für einen radikalen Wandel, die noch fehlt, wird in der gebotenen Frist nur zu einer, wenn auch die zahlenmäßig überlegenen Altersgruppen dabei sein wollen, deren sozialer Status, deren Wohlstand und deren Erfahrung, dieser könne immer weiter wachsen, die ökologische Hypothek zulasten jüngerer Generationen haben entstehen lassen.

#4 Und noch einmal die FAZ - in der Patrick Bahners über eine Veranstaltung auf der Phil.Cologne nachsinnt, dem Festival der philosophischen Literatur. Mit Blick auf die ohnehin auf allen Kanälen präsente Sahra Wagenknecht sieht Bahners einen »Prozess epistemologischer Destruktion«, einen Verdacht gegen die Wissenschaft, bei der »die Ungewissheit der wissenschaftlichen Erkenntnis« übertrieben wird, um eben jenen wissenschaftlichen Disput im eigenen Sinne zu politisieren. Eigentlich geht es um Corona, aber dann wird die Publizistin mit Bundestagsmandat mit den Worten zitiert: »Natürlich wissen wir auch und sehen wir auch, dass sich klimatische Veränderungen vollziehen«, gefolgt von mehrfachem Aber: »es gibt Dinge, sicherlich, die sind relativ belegt, aber sobald es mehr ins Detail geht und dahin geht, was dann wirklich auch politisch entschieden wird…« Bahners interpretiert: »Sie leugnet den Klimawandel nicht, aber sie stellt alles Wissen jenseits der bloßen Phänomenbeschreibung zur politischen Disposition.« Für ihn ein Bruch mit »Materialismus und Rationalismus der linken Tradition«.

#5 Bahners' Text wird hier aufgegriffen, weil auch Luisa Neubauer einen neuen publiziert hat, der damit zu tun hat und außerdem eine Kritik an der Klimabewegung enthält: »Aus der wissenschaftlichen Natur des Problems an sich hat man auf wissenschaftliche Erkenntnisse als Lösung gesetzt. Der Fehler war der Versuch, die Klimakrise mit mehr Informationen zu bekämpfen – würden die Menschen nur besser Bescheid wissen, dann würden sie sicherlich im Sinne des Klimaschutzes handeln, wählen und einkaufen.« Neubauer findet es »umso erstaunlicher, dass Teile der Klimabewegungen bis heute auf wissenschaftliche Erkenntnisse und moralische Überzeugung als Treiber von politischem Wandel setzen«. Nicht dass Neubauer es nicht mehr für essenziell hielte, »Daten und Fakten zu verstehen und in die Breite zu tragen. Für das politische Einlenken hingegen war noch nie ausschlaggebend, wer das bessere Argument hat, auch nicht, wer das moralische Argument hat. Die Frage war schon immer: Wer hat das mächtigere Argument?« Gemeint ist: »Solange Olaf Scholz keinen machtpolitischen Vorteil in radikaler Klimapolitik sieht, wird es keine geben.« Und man kann statt Scholz hier auch andere Namen, andere Parteien setzen. Dass Neubauer als Schlussfolgerung dann Fragen aufwirft, etwa die, wie und wo »die großen Transformationen zur Verheißung« werden und »welches Lebensgefühl« man den Menschen »in der Dekarbonisierung anbieten« könne, weckt den Eindruck, das »mächtigere Argument« und der »machtpolitische Vorteil« seien bloß Ableitungen der Mehrheitsmeinung. Womit wir wieder bei Julia Löhr wären: Wenn es die »Mehrheit für einen radikalen Wandel« gibt, werde ihn auch Olaf Scholz befürworten und ins Werk setzen. Im Grundgesetz steht, »die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit«. Damit ist anderes gemeint als eine bloße Dienstleistung, die einen bestehenden (Mehrheits-)Willen dann via Parlament und Regierung in Regeln transportiert, etwa durch Entschärfung von klimapolitisch relevanten Gesetzen. Die Mitwirkung wird erst dadurch zu einer, dass sie auch in die andere Richtung »wirkt«, also den bestehenden Willen durch Aufklärung, Überzeugung, mit wissenschaftlichen Argumenten ebenso wie mit hoffnungmachenden Visionen zu verändern trachtet. Das ist mehr als »besseres Marketing« für Klimaschutz, wie ein Zwischentitel in Neubauers Text anklingen lässt, den aber sicher nicht die Autorin zu verantworten hat.

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