Ja bitte. Nein Danke.
Ist es Populismus, Klimaschutz mit Umverteilung zu verbinden?, fragt die TAZ. Weitere Erkundungen zur Debatte um »Klimapopulismus«, die Dimensionen des Begriffs und eine schon fünf Jahre alte, kleine Diskussion dazu.
(der folgende Auszug ist unserem Satelliten-Newsletter Linke tl;dr entnommen)
»Klimapopulismus, ja bitte!«, findet Ulrike Winkelmann und setzt damit eine Debatte fort, die wir gestern unter anderem hier bereits aufgegriffen hatten und die schon etwas älter ist, aber dazu später. »Ist es Populismus, Klimaschutz mit Umverteilung zu verbinden? Ist es also populistisch zu fordern, Gerechtigkeitsmaßstäbe an Klimapolitik anzulegen?«, fragt die TAZ-Chefredakteurin mit einigen Zweifeln. Immerhin lasse sich als populistisch »eine Politik beschreiben, die in mutwilliger Verkennung der Realität und ihrer Komplexitäten ein ›Wir‹ gegen ›Die da (oben)‹ setzt, eine Politik, die Emotionen schürt, wo vielmehr Erklärungen angebracht wären.« Nun sei aber doch in Sachen biophysikalischer Existenzkrise »alles ausreichend erklärt«, worauf man sich nun auf die Frage konzentrieren könne, »was wären dann Mittel, um den notwendigen Wandel herbeizuführen«?
Winkelmann greift hier ein Argument auf, das auch Linus Westheuser und Johanna Siebert in ihrem Plädoyer für »Klimapopulismus« bemühen: »Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass der Rechtsruck in Europa, in den USA und anderswo nicht nur, aber mindestens auch eine Reaktion darauf ist, dass die Mehrheit der Leute durchaus verstanden hat, welche tiefgreifenden Veränderungen von Konsum- und Lebensweisen eine ernst gemeinte Klimapolitik hätte. Klimaschutz wird kosten. Das macht Angst, und darum wählt man lieber konservativ und auch rechtsextrem, wo versprochen wird, dass das mit dem Klima doch Quatsch und es viel wichtiger ist, die Ausländer wieder loszuwerden.« Dem will der »linke Klimapopulismus« beikommen.
Im Grunde rennt die Idee durch viele schon offene Türen. »Genau das versucht etwa die Linkspartei«, die Kampagnen-Organisation Campact ebenso, auch Greenpeace mache Werbung für eine klimapolitisch begründete Milliardärssteuer - die dann sogar der Grüne Robert Habeck aufgegriffen hat, wofür er nicht nur Beifall erhielt. Warum? »Es ist politisch heikel, Klimaschutz und Verteilungsfragen zusammenzuführen. Die Zustimmung, die man bei Nicht-so-gut-Verdienern damit zu generieren hofft, verliert man nicht nur am oberen, meinungsbildenden Ende der Einkommensskala. Denn auch die Mittelschichten haben ja guten Grund, mindestens verwirrt zu sein und gleichzeitig um ihren Wohlstand zu fürchten und sich für zu reich zu halten«, so Winkelmann. Hilft Klimapopulismus von links, daran etwas zu ändern, wie nicht nur Westheuser und Siebert hoffen? Mit dem Begriff zu hantieren, »wo erst einmal nur eine faire Verteilung der Klimaschutzkosten gemeint ist«, sieht Winkelmann skeptisch. »Was gelingen müsste: Vorschläge und dazu die passende Sprache für eine gerechte Ökologie zu finden, womit, ja, auch Gefühle geweckt werden.«
In der Regel ist »Klimapopulismus« in der jüngeren Vergangenheit als rechte Strategie verstanden, diskutiert und analysiert worden. Das Umweltbundesamt hat über »Populistische Narrative im Bereich der Umweltpolitik« aufgeklärt - dabei ging es um Erzählungen und Kommunikationsweisen, »die Umweltpolitik delegitimieren«. Man erinnert sich an »Faktenfinder zu Klimapopulismus«, in denen es um die von Rechts verbreiteten klimapopulistischen Positionen ging. In ein paar Tagen wird Levi Rhomberg seine Forschungen über »Klimapopulismus« vorstellen - er hat Reden von AfD und Linkspartei im Bundestag untersucht und ordnet das entsprechende »populistische Framing« als »weder spezifisch links- noch rechtspopulistisch« ein. Und noch nicht lange her ist, dass der Klimaaktivist Tadzio Müller »einen gefährlichen, populistischen Vulgärzentrismus« kritisierte, »der sich in vielerlei Hinsicht nicht vom postfaktischen Bullshit rechter Klimapopulist*innen unterscheidet« - kurzum eine Art inversen »Klimapopulismus«, der Kompromissorientierung und Machtsicherung durch das Vermeiden von Konflikten als Problem identifiziert: einen »postfaktischen Klimapopulismus der bürgerlichen Mitte«.
So viel zu den möglichen Dimensionen eines Begriffs. Schon vor fünf Jahren hatte es eine kleine Debatte über »linken Klimapopulismus« gegeben, im Grunde dieselbe. Die seinerzeitige Klimadebatte, hieß es in der leider eingestellten »Oxi«, werde »vor allem als Debatte über Verteuerung, Verknappung und Verzicht geführt«. Eine »populäre Klimapolitik, welche sozialpolitische Forderungen und bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für die große Mehrheit der Bevölkerung ins Zentrum stellt, bleibt dabei unsichtbar.« Dagegen könne helfen, »die Emissionen der Konzerne und der reichsten 10 Prozent der Bevölkerung in den Vordergrund« zu rücken. Auch die Ausgangsbehauptung war damals schon dieselbe: Es sei »eine gefährliche Polarisierung« entstanden »zwischen einer ökologischen Linken auf der einen Seite, die Verzicht fordert und auf globale Ungerechtigkeit hinweist; und einer Neuen Rechten auf der anderen Seite, die den menschengemachten Klimawandel leugnet und sich dabei vermehrt der sozialen Frage im Inland zuwendet. Je mehr über Klima in moralischen oder szientistischen Absolutheitsformeln gesprochen wird und die soziale Frage dabei unter den Tisch fällt, desto stärker verschärft sich dieser Widerspruch.« Ohne eine Verbindung »von Klima- und Klassenfrage mit einem klugen Gegnerbezug«, könne die »Klimabewegung wieder verpuffen«. Zur Erinnerung: Damals, im Herbst 2019, waren anderthalb Millionen für Klimaschutz auf der Straße. Noch unangeklebt.
Ein Jahr später hat Kai Bosworth, Geograph und politischer Ökologe an der Virginia Commonwealth University die »Grenzen« von »Klimapopulismus« beschrieben – gemeint war damit »eine Erneuerung des Aktivismus für Klimagerechtigkeit« in Richtung einer »Rhetorik gegen das Establishment«. Diese, so Bosworth, »hatte im Mainstream-Umweltbewusstsein der jüngsten Vergangenheit weitgehend gefehlt«. Mindestens ein Teil der Klimabewegung sei inzwischen aber als »linkspopulistisch« anzusehen; in Abwendung »von den technokratischen und policy-orientierten Ansätzen« der NGO-Strategie der 1990er und frühen 2000er Jahre. Bosworths Text von 2020 bilanziert die zehn vorangegangenen Jahre: »Was sind bis jetzt die Effekte einer linkspopulistischen Ausrichtung der Klimagerechtigkeitspolitik? Welche strategischen Lehren können wir aus den Erfolgen und Misserfolgen dieser Bewegung ziehen?«
Bosworths ernüchternde Bilanz: Der »Klimapopulismus heute« bilde sich »ein, dass seine kleine tatsächliche Koalition eine viel größere Koalition bedeutet, als sie tatsächlich existiert.«Klimapopulismus schaffe »Subjekte, die einer erhofften Massenmobilisierung anhängen, aber ohne die tatsächliche Bewegung, um sie zu nutzen.« Diese »Orientierung an einer imaginierten ›populären Masse‹« könne zur »Drossel« für radikalere Elemente werden; Bosworth nennt hier Beispiele von Anti-Pipeline-Organisationen, die sich »aktiv gegen Anarchist*innen und indigene Anhänger*innen der direkten Aktion« stellten. Außerdem sieht er »ein Problem mit der Verbindung zu den verschiedenen Geographien des Populären oder der Massenbasis des Klimapopulismus«. Wenn es um »planetarische Gerechtigkeit« gehen soll, müsse »die materielle Welt des globalen Proletariats« im Zentrum stehen. Dies verfehle der »Klimapopulismus« des Nordens aber oft. Bosworth stellt hier in seiner Denkweise unter anderem auf »Klassenkämpfe« und mangelnde internationalistische Perspektiven ab. Das führt ihn zu einer – wenn man so will: »klassenpolitischen« Kritik am »Klimapopulismus«, der auf ein »dubioses klassenübergreifendes Subjekt« bezogen sei. Nun gut. An der Stelle hatten wir etwas andere Kritik geübt - nämlich daran, dass das verzerrende Motiv »der einfachen Bevölkerung« in national beschränkter Weise strapaziert wird. Nochmal aus dem Newsletter von gestern: Zwar wird die Kluft »zwischen den reichen Industrienationen und den Entwicklungsländern des Globalen Südens« benannt, weniger aber, dass breite Teile auch der einkommensschwächeren Schichten hierzulande im globalen Maßstab zum »Oben« gehören.
Passende Randnotiz: Im »nd« wird unter der nicht eben neugierig machenden Schlagzeile »Es soll wieder protestiert werden« über die Pläne diverser Formationen rund um das World Economic Forum in Davos berichtet. »Es sind vor allem Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich zu den Protesten in der Schweiz aufmachen«, wir ein Aktivist zitiert. Mit der Klimagerechtigkeitsbewegung nehme »nun eine neue Generation den Widerstand gegen das Treffen der Milliardäre auf.«
Die Vorsitzende der Linken, Ines Schwerdtner, reklamiert für ihre Partei: »Unser Fokus sind Klassenkämpfe.« Im Gespräch mit dem »nd« geht es um letzte Strohhalme, Haustürgespräche und den Wahlkampf. Die Zeitung verbreitet ihre Vorab dazu mit Schwerdtners Aussage »SPD und Grüne sind unglaubwürdig – und da kommen wir ins Spiel.« Wie? Nun, auch hier geht es irgendwie um Populismus: »Elitenkritik finde ich total legitim, aber wir sollten das anders als andere Parteien beantworten. Also nicht blinde Wut schüren, sondern über konkrete Verbesserungen für Menschen reden… Sogenannte Kulturkämpfe führen wir, wenn Minderheiten angegriffen werden, aber vor allem geht es uns um die materiellen Interessen der großen Mehrheit.«
Bei »Makronom« geht es unterdessen um die Frage, welche Vorschläge zur Stärkung der Akzeptanz von Klimaschutz die Parteien machen - oder eben nicht. Die Übersicht geht vom selben Problem aus, das auch der Neuauflage der Diskussion über »Klimapopulismus« zugrunde liegt, läuft aber auf andere Positionen zu, also sie etwa von Müller, Westheuser und Siebert oder Bosworth eingenommen werden. Sara Holzmann von der Bertelsmann Stiftung geht entlang der Akzeptanz-Modells die Wahlprogramme der Parteien zur vorgezogenen Bundestagswahl durch.
Zur Linkspartei heißt es da: »Sie fordert, dass ›keine Normalverdiener*in (…) durch Klimaschutz finanziell mehrbelastet‹ wird. Dazu werden zu SPD und Grünen analoge, zum Teil sogar stärkere Maßnahmen (zB. 9-Euro-Ticket, 100%-Förderung beim Heizungstausch für Menschen mit niedrigen Einkommen) angeführt, die durchaus zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz führen können. Gleichzeitig werden CO2-Preise generell und explizit der EU-ETS-2 abgelehnt. Sie wären für die Linken nur in Verbindung mit einem Klimageld akzeptabel, gefordert wird eine Auszahlung von jährlich 320 Euro pro Person. In Sachen Wirksamkeit des Politikmixes bleibt damit unklar, woher ohne fossile Preisanstiege die notwendigen Anreize zum Umstieg auf klimafreundliche Technologien kommen sollen und wie die selbst geforderte Klimaneutralität schon bis 2040 erreicht werden kann.«