Herman Daly (1938-2022)

Er war einer der »fundiertesten Wachstumskritiker«, galt als Provokation für konventionelle Ökonomen und fand auch unter Linken, so diese ihn überhaupt kannten, seine Kritiker. Im Oktober ist Herman Daly, Mitbegründer der Ökologischen Ökonomik und Vordenker der Steady-State-Wirtschaft gestorben.

Kurz vor seinem Tod im Oktober 2022 hat Herman Daly in der FAZ auf die zweite, weniger beachtete aber ebenso globale Existenzkrise hingewiesen: »Selbst wenn wir den Klimawandel auf magische Weise lösen könnten, müssten wir uns immer noch mit dem Problem der biologischen Vielfalt befassen«, so der Umweltökonom und Schüler von Nicholas Georgescu-Roegen. »Wir haben ein Teilsystem des Wirtschaftssystems gegenüber dem ökologischen System ausgeweitet. Das führt zu Verkehrsstaus, Umweltverschmutzung und anderen Problemen. Nach so vielen Jahren kommt es zu einer Implosion.«

Dalys Tod fand in der deutschen Öffentlichkeit kaum Beachtung. Es war wiederum die FAZ, die das Lebenswerk des »fundiertesten Wachstumskritikers« würdigte: Daly sei eine Provokation für konventionelle Ökonomen, der Mitbegründer der Ökologischen Ökonomik habe Leitsätze der Volkswirtschaftslehre so fundamental hinterfragt, »dass die Disziplin ihn weitgehend ausgeschlossen hat«. Eine Ausgrenzung, die symbolisch für eine Verdrängung der biophysikalischen Existenzkrise steht, die auch vor den Wirtschaftswissenschaften nicht Halt macht. Dalys Streben zielte darauf, »die Ökonomik in ihren physikalischen Fundamenten und ethischen Grundlagen zu verankern«; er wurde so »Inspirator der viel beachteten Club-of-Rome-Studie zu den Grenzen des Wachstums« und versuchte später als Weltbank-Ökonom »auch die praktischen Konsequenzen seines Denkens« zu durchdenken. Weil er dort nicht vorankam, kündigte er: »Sie glauben an die Ideologie des Wachstums und sehen Umweltschutz als Hemmnis.«

Die Ergebnisse bei Daly gingen manchen Linken nicht weit genug, die meisten dürften von seinen theoretischen Bemühungen aber einfach zu wenig gewusst haben. Das hat womöglich auch etwas mit dem Abreißen von Erfahrungen zu tun; denn es gab auch schon Zeiten, da tauchten Verweise auf Daly in linken Publikationen regelmäßiger auf. Elmar Altvater zum Beispiel, zitiert ihn in einer 1986 veröffentlichten Kritik der Grünen und des Konzepts der »ökologischen Marktwirtschaft« mit den Worten: »Wenn, grob gerechnet, ein Drittel der Weltjahresproduktion an mineralischen Rohstoffen gebraucht wird, um die 6 Prozent der Weltbevölkerung, die in den USA leben, auf ihrem Konsumtionsstand zu halten, von dem man annimmt, dass ihn auch der Rest der Welt erstrebt, dann folgt daraus, dass beim gegenwärtigen Ressourcenangebot der US-Standard auf höchstens 18 Prozent der Weltbevölkerung ausgedehnt werden kann und dabei nichts für die restlichen 82 Prozent übrigbleibt.« Die einzelnen Indikatoren haben sich seither verschoben, die Weltbevölkerung setzt sich anders zusammen und das »Angebot« an Ressourcen ist heute auch nicht dasselbe wie 1986 - das in dem Beispiel verdeutlichte Grundproblem aber hat sich nicht wesentlich verändert.

Daly hat es mit dem Begriff der »vollen Welt« zu beschreiben versucht, Hans Thie gehört zu denen, die sich heute noch daran erinnern: Er habe »damit den Begriff des Anthropozän vorweggenommen«; Daly »meinte damit, dass die Welt des Menschen heute nahezu vollständig die natürlichen Kreisläufe prägt. In früheren Jahrhunderten, in der ›leeren Welt‹, war die menschliche Aneignung der Natur eher ein unbedeutendes Phänomen, blieb regional begrenzt und hatte noch keinen globalen Charakter… In einer vollen Welt ist das anders. Hier ist jeder Zuwachs zugleich ein Rückgang, jeder Nutzen ein Schaden an anderer Stelle. Deshalb, so Dalys Schlussfolgerung in ökonomischer Terminologie, ist der Grenznutzen des Wachstums tendenziell null und kann auch negativ werden, wenn die angerichteten Schäden den gestifteten Nutzen übersteigen… Was als Mehrung des Wohlstands erscheint, wird zum globalen Nullsummenspiel, in dem jeder Gewinn zugleich ein Verlust ist, jeder Vorteil des einen der Nachteil des anderen. Beim Nullsummenspiel aber bleibt es nicht, wenn es über längere Zeit anhält. Denn die Verluste und Schäden summieren sich nicht nur, sondern können auch den Zusammenbruch von Ökosystemen bedeuten.«

Daly fasste seine Schlussfolgerungen daraus unter anderem im Konzept der »Steady-State-Ökonomie« zusammen, diese zielte auf ein Wirtschaftssystem des langfristigen Gleichgewichts. Thie nennt ihn einen »kritische(n) Geist, von dem man viel lernen kann. Aber seine Analysen und Empfehlungen haben auch den eklatanten Fehler, dass die Wirtschaftsordnung selbst nicht zum Gegenstand seines Scharfsinns wird«. Seine Ratschläge würden »sich auf einige wenige Reformen« beschränken.

Betrachtet man die Kontroversen um das Wachstum vor dem Hintergrund der biophysikalischen Existenzkrise, ordnet sich das Feld zunächst - und sehr grob gesprochen - entlang der Wachstums-Frage. Also in Befürworterinnen und Befürworter der Annahme, Wachstum sei für Wohlstand etc. notwendig, könne aber per Innovation nachhaltig oder »qualitativ« gestaltet werden, also ohne die von Daly benannten Verluste und Schäden auf der einen und die vielfältigen Überlegungen rund um Begriffe wie Degrowth, Suffizienz etwa auf der anderen Seite, von denen Daly ein prominentes Beispiel ist. Innerhalb dieses Teilfeldes der Gegenpositionen zum Wachstumsoptimismus verläuft dann, Thies Kritik zeigt es an, eine weitere das Feld strukturierende Grenzziehung - entlang der Kapitalismus-Frage. Daly habe »sich nicht hinreichend« damit auseinandergesetzt, »wie denn eine Wirtschaft mit Kredit, Zins und Profit, aber ohne Wachstum, funktionieren soll?«

Thie merkt an, dass das, »was die ökologische Ökonomie in den Mittelpunkt ihrer Erkenntnisse stellt«, freilich auch schon einen Fortschritt der Erkenntnis vor dem Hintergrund einer hoch dynamischen biophysikalischen Existenzkrise ist. Einer Krise, in der immer weniger Zeit dafür bleibt, umzusteuern. »Aus den Grenzen der Natur ergeben sich Grenzen für die Größe der Volkswirtschaft. Der optimale und maximale Umfang ökonomischer Aktivitäten, dieses in jedem einzelnen Unternehmen permanent zu lösende Problem, gilt auch für die Gesamtwirtschaft, deren Wachstum unökonomisch geworden ist. Deshalb«, so Thie, »geht es heute nicht mehr darum, die Maschinerie unter Volldampf zu halten, sondern ihren Umbau einzuleiten.«

Daly hat dazu in seinem letzten Interview für eine deutsche Tageszeitung unter anderem zwei Anmerkungen gemacht, die auf zwei Elefanten im Raum der Diskussion verweisen: die Notwendigkeit von Reduktion und die Frage, an welchem »menschlichen Maß« sich eine hoch differenzierte, in stark unterschiedlichen Stadien der Entwicklung befindliche Weltgesellschaft orientiert: »Eine Verringerung des Durchsatzes erfordert eine Senkung unseres Lebensstandards. Wenn man glaubt, dass die Folgen des Wachstums katastrophal sind, sollte man bereit sein, sich zu ändern. Zu dieser erzieherischen Frage kommt noch ein moralischer Aspekt. Selbst wenn Sie verstehen, dass die Welt immer schlechter wird: Kümmert Sie das, und was ist die Grundlage dafür? Woher nehmen die Menschen ihre Werte?« (tos)


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