Fossilisten oder Postfossilisten
Wer ist national wie global dafür, die Wirtschaft so schnell zu dekarbonisieren, dass die Zeitpläne des Pariser Abkommens eingehalten werden können? Horst Kahrs über die geschönte Erinnerung der Wagenknecht-Partei, die Klimafrage und die Linke.
Für die »Bruchstücke« ist Horst hier in einem Interview unter anderem zum BSW befragt worden: »Die Wagenknecht-Partei, ein Produkt des politischen Feudalismus«. In dem Gespräch geht es nicht zuletzt um die alles rahmende planetare Frage: »Wir alle wissen, dass sich das Klima so sehr verändert, dass wir auf Katastrophen zusteuern. Und wir wissen, das ist ein planetares Problem, vor dem niemand wird fliehen können und das wir nur in internationaler Kooperation wenigstens mildern werden können, auf keinen Fall mit einem Rückfall in vermeintlich nationalstaatliche Souveränität. Auch hier gilt: Dem menschlichen Verstand ist das alles klar, aber es bereitet ihm auch wieder Unbehagen, weil es keine offensichtliche und einfache Lösung gibt, weil Umbrüche notwendig erscheinen und die Lust auf politische Abenteuer mit ungewissem Ausgang zugleich gering ist.«
Das ist auch ein Problem einer parteipolitischen Landschaft. »Keine Partei, abgesehen von den Grünen, die dieses große Unbehagen wenigstens programmatisch versuchten und versuchen durch zu deklinieren, stellt sich dieser Herausforderung und spricht die unangenehme Wahrheit aus«. Es brauche »keine weitere Partei, die ins gleiche Horn stößt wie die meisten anderen, die alle vor unbequemen Wahrheiten zurückscheuen. Es bräuchte eine neue Partei, die sich traut zu sagen, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können und die wenigstens eine Skizze davon hat, wie es anders gehen könnte.«
Wer könnte das sein? Heißt auch: Wer will das sein können? »Wichtig dabei ist die Erkenntnis, die Linke hat zu lange geglaubt, dass materielle Fragen, Verteilungsfragen allesentscheidend oder auch nur entscheidend seien. Sie sind es aber nur im Zusammenhang mit anderen ausschlaggebenden Fragen. Beispielsweise dem Aspekt der Anerkennung, des Respektes. Die Gesellschaft muss klären: Was steht wem zu? Welche Ansprüche kann wer legitim stellen? Was ist legitime Ungleichheit und welche ist illegitim? Eine demokratisch-emanzipative Linke muss diese Fragen in den Mittelpunkt ihrer Politik rücken.« Und es müssten die Antworten den planetaren Grenzen entsprechen, also Möglichkeiten eröffnen, wie progressive Entwicklung wieder möglich wird, ohne dass dafür Klima, Natur und andere Menschen leiden müssen.
»Für mich verläuft in Gesellschaft, Gewerkschaften und Unternehmerschaft eine entscheidende Front so: Wer ist national wie global dafür, die Wirtschaft so schnell zu dekarbonisieren, dass die Zeitpläne des Pariser Abkommens eingehalten werden können? Mit all denen arbeitet die künftige Linkspartei zusammen. Und ihre Gegner sind diejenigen, die dieses Ziel nicht teilen oder sogar noch möglichst lange an der fossilistischen Produktions- und Konsumweise festhalten wollen.« Das, so Horst, führe auch zu neuen Außensichten: »Künftige Partner und künftige Gegner können sowohl in Konzernzentralen wie in Gewerkschaftsvorständen sitzen. Noch konkreter: Der Vorstand der IG BCE könnte Gegner, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom könnte Bündnispartner sein. Nur so als Beispiel, um den politischen Kreislauf ein bisschen anzuregen.«
Eine Linke solle »diese Trennlinie zwischen Fossilisten und Postfossilisten« als maßgebliche »Scheidelinie zwischen ›potentiellem Partner‹ und ›Gegner‹ stark machen. Diese neue Linkspartei positioniert sich damit im Rahmen eines planetaren Paradigmas. Das heißt auch: Wie in der EU die Unternehmen produzieren, diese Frage hat mindestens denselben Stellenwert wie die Klärung der sozialen Frage in Deutschland. Sich wie bisher vor allem auf Letzteres zu konzentrieren, ist zum Scheitern verurteilt.«
»Wenn wir auf die Großen Fragen schauen: da steht die Linkspartei doch eher auf der postfossilistischen Seite und das BSW im anderen Lager des fossilistischen Klassenkompromisses der vergangenen siebzig Jahre«, so Horst. Mit dem BSW trennen sich im Kern »wieder diejenigen von der Partei DIE LINKE, die von der SPD über die WASG zur PDS gekommen waren. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Und vieles von dem, was von dieser neuen Partei zu hören ist, knüpft ja an sozialdemokratische Leitbilder der 1970er Jahre an. Etwa wenn etwas romantisch an die Friedenspolitik von Willy Brandt angeknüpft wird. Als romantisch werte ich das, weil wohlweislich verschwiegen wird, dass unter den Brandt-Regierungen die Verteidigungsausgaben in einer Höhe von vier bis fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes lagen — heute wird darüber gestritten, ob wir von unten sozusagen an die zwei Prozent herankommen sollen — , und natürlich war es damals verboten, technisch hochwertige Wirtschaftsgüter in den sogenannten Ostblock zu verkaufen. Also viel geschönte Erinnerung.« Hinzu komme »das Wagenknechtsche Revival der ordoliberal grundierten ›Sozialen Marktwirtschaft‹ sowie die Stärkung der nationalstaatlichen Souveränität gegenüber den USA und der EU. Das alles ist nicht neu und hatte auch mal Platz in der deutschen Sozialdemokratie.«
Das vollständige Interview findet sich hier.