»Es gibt nach wie vor unvereinbare Grundsätze« (1980)
Welche Chance hat die Linke in der BRD, fragten sich vor über 40 Jahren die Sozialistischen Studiengruppen in einem Sammelband. In ihrer Antwort lenkten sie den Blick auf die ökologische Bewegung und die grüne Partei als »Fluktuation im politischen Raum«. Aus dem Archiv linker Debatte.
// Die ökologische Bewegung und die grüne Partei aktivieren den größten Teil des latenten Protestpotentials jenseits der Sozialdemokratischen Partei. Bei unbestrittener Dominanz des Umweltschutzes ist sie doch eine wesentlich breiter angelegte Sammlungsbewegung. Es handelt sich bislang mehr um eine Fluktuation im politischen Raum denn um den politisch-programmatischen Ausdruck eines fest umrissenen Kreises sozialer Kräfte.
Die Grünen sehen zum Teil die Benachteiligung und Marginalisierung bestimmter sozialer Gruppierungen; sie registrieren die Ungleichheit in den Einkommens- und Lebensbedingungen; bisher sind sie daher auch offen für Forderungen nach unmittelbarer Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der besonders betroffenen Klassenabteilungen: Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und Mangel an Ausbildungsplätzen, gegen die Diskriminierung ausländischer Mitbürger, gegen Unsicherheit der Arbeitsplätze und eine weitere Intensivierung der Arbeit sind Bestandteile ihrer programmatischen Diskussion und Forderungen.
Auf der anderen Seite suchen sie die Lösung der gesellschaftlichen Fehlentwicklungen und Widersprüche nicht in der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Durchsetzung einer von den Mitgliedern der Gesellschaft bewußt gestalteten und kontrollierten Entwicklung, des stofflichen Reichtums und der gesellschaftlich entwickelten Bedürfnisse, sondern in der In-Fragestellung der vermeintlich marktdiktierten Bedürfnisse, der Blockierung des schrankenlosen Wachstums und der Produktivkräfte sowie in der Orientierung auf dezentrale Wirtschaftseinheiten und sparsamen Ressourceneinsatz. Die Verbindung von Arbeits- und Lebensbedingungen wird bei den Grünen von der Seite der Bedürfnisse und der Konsumtion her aufgerollt. Weil die marktdiktierten Bedürfnisse über eine reibungslose Lohnmaschinerie der Gewerkschaften mit den notwendigen Zahlungs- und Kaufmitteln ausgestattet wird, käme eine beschleunigte Akkumulation des Kapitals schon wegen der Konditionierung der Bedürfnisse zustande. Die These vom notwendigen Stopp der Explosion der materiellen Bedürfnisse verkennt aber den wichtigen Unterschied von Bedürfnissen und zahlungsfähigen Bedürfnissen. In der kapitalistischen Gesellschaft stellen sich heute mehr und mehr Widersprüche in den Verteilungsverhältnissen heraus, was sich in der Öffnung einer Schere zwischen Konsumtionskraft (gesellschaftlichen Bedürfnissen) und zahlungsfähiger Nachfrage ausdrückt. Das Aufkommen von Überakkumulation nach einer längeren Pause beschleunigten Wachstums des gesellschaftlichen Gesamtkapitals (wenn auch in Form von Konjunkturzyklen) läßt sich ohne den Rückgriff auf die Antagonismen in den Verteilungsverhältnissen nicht erklären.
Für die ökologische Bewegung kommt das wirtschaftliche Wachstum nicht wegen der spezifischen sozialen Gesetzmäßigkeiten der Verausgabung und Verteilung gesellschaftlicher Arbeit an seine Schranken in der kapitalistischen Produktionsweise, sondern wegen der geringen Rohstoff- und Energieressourcen. Die Grünen sind daher an der Errichtung einer Gleichgewichtsgesellschaft interessiert, die sie sich wiederum auf Basis der Trennung von Produzent und Konsument vorstellen können, vielleicht mit dem Zusatz der Abschaffung aller Kreditverhältnisse. Ein Nullwachstum auf Grundlage der Fortführung einer ausschließlich marktvermittelten Verknüpfung von Produzenten und Konsumenten geht mit diesen Voraussetzungen in der Tat nur durch Einschränkung und Verzicht auf bestimmte gesellschaftliche Bedürfnisse. Der sozialistische Vorschlag läuft hingegen auf eine gesellschaftlich planmäßige (unter Beibehaltung von eingeschränkten Marktfunktionen) Entwicklung von Produktion und Konsumtion hinaus. Das Was und Für Wen-Produzieren schließt die Diskussion und Willensbildung über die stofflichen und gesellschaftlichen Strukturen der Bedürfnisentwicklung ein.
Die bewußte Verzahnung von Produktion und Konsumtion und die Einschränkung aller marktvermittelten Prozesse der Verausgabung und Verteilung gesellschaftlicher Arbeit bezieht sich auf die Überwindung des elementaren Strukturzusammenhanges der bürgerlichen Gesellschaft, die eben jene Trennung von Produzent und Konsument und die Vermittlung über das Wertgesetz zu ihrer Voraussetzung hat. Mit der Aufhebung jener Trennung verschwindet zugleich notwendig die nicht minder konstitutive Bedeutung der Trennung zwischen Wirtschaftssubjekt und Staatsbürger. Die Erweiterung der Überwindung von Produzent und Konsument auf den Staatsbürger eröffnet eben die Gesamtheit der Verbindungen von direkter und repräsentativer Demokratie, von Massenkämpfen und parlamentarischen Kämpfen, durch diese Erweiterung der Dimension gesellschaftlicher Umgestaltung wird nicht nur die stoffliche und gesellschaftliche Struktur der Produktion für große gesellschaftliche Massen diskussionfähig, sondern zugleich die planmäßige und kontrollierte Entwicklung der Bedürfnissysteme durch die beteiligten Massen selbst.
Die ökologische Bewegung repräsentiert zwar das größte Protestpotential jenseits der Sozialdemokratie, doch von ihren widersprüchlichen programmatischen Aussagen und ihrer heterogenen sozialen Basis kann man nicht absehen. Eine Verbindung der Grundgedanken der Ökologisten mit der Arbeiterbewegung kann nur auf Grundlage der Anerkennung der unmittelbaren Verknüpfung von Arbeits- und Lebensbedingungen zustande kommen. Die geforderte Neubestimmung des »Was der Produktion« kann nur als integraler Bestandteil einer Diskussion über das »wie und für wen produzieren« erfolgen. Beharren die Grünen auf dem Zugang zu der Bestimmung des qualitativen Wachstums von Seiten der Nivellierung und Einschränkung gesellschaftlicher Bedürfnisse unter einer bloßen Reproduktion der Trennung von Produzent und Bürger in neuer Form, wird sich eine Verbindung zwischen Ökologie, Marxismus und Arbeiterbewegung nicht herstellen lassen. Je mehr der Lebensstandard breiter Schichten von Lohnabhängigen durch Reallohnsenkung und Einschränkungen öffentlicher Dienstleistungen bedroht wird, desto mehr gewinnen die Forderungen nach unmittelbarer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen an Bedeutung. Die Parole des Verzichts und der Verweis auf die gefährliche Erschöpfung der Ressourcen, wollte man bloß den gesunkenen Lebensstandard in den kapitalistischen Metropolen auf die Länder der Dritten Welt ausdehnen, werden die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Verbesserung der Lebensverhältnisse nicht erschüttern können. Das Akzeptieren der Forderung nach unmittelbarer Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse für die gesamte Klasse, bringt aber keineswegs den Motor der kapitalistischen Akkumulation wieder in Gang. Eine Lösung der gesellschaftlichen Konflikte ist heute nur durch Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, durch eine planmäßige gesellschaftliche Vermittlung der Trennung von Produzent und Bürger möglich.
Auch hier zeigt sich, daß die Realisierbarkeit einer breiten sozialistischen Sammlungsbewegung nicht einfach eine Frage größerer Toleranz unter den verschiedenen politischen Optionen ist. Es gibt nach wie vor unvereinbare politisch-programmatische Grundsätze oder Tendenzen unter der zersplitterten BRD-Linken. //
aus Sozialistische Studiengruppen SOST: Welche Chance hat die Linke in der BRD?, in: Die Linke. Bilanz und Perspektiven für die 80er, hrsg. v. Hermann L. Gremliza und Heinrich Hannover, Hamburg 1980.