»Enttäuscht, aber erleichtert«
Nach der COP30 werden »wichtige Fortschritte« erwähnt, die zugleich »nicht ausreichend« sind. Der Hinweis auf die »Fouls« der fossilistischen Reaktionäre erleichtert das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit. Immerhin funktioniert der Multilateralismus? Auch das könnte eine Beruhigungspille sein.
Was hat die COP30 in Belém gebracht? Von einer durchwachsenen Bilanz der Weltklimakonferenz spricht der UN-Generalsekretär António Guterres, man habe »nicht alles erreicht, was notwendig ist«. Der »Spiegel« verkalauert das Ergebnis zum Spielbericht: »2:1 für den Klimaschutz… Ein Zittersieg nach Verlängerung… aber trotzdem ein Erfolg.« Die TAZ urteilt: »Zu wenig, zu spät« – möchte aber »ernsthafte Erfolge« aus dem Schatten des Scheiterns eines Fahrplans zum Ausstieg aus den Fossilen holen.
Was käme da in Frage? Ein zweijähriges Arbeitsprogramm dazu, wie Hilfen für arme Staaten organisiert werden, das Volumen war freilich bereits auf der COP29 beschlossen worden, Kritik daran gibt es auch. Die Gelder für Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise für arme Staaten sollen verdreifacht werden, allerdings führte der Ausgangswert zu Enttäuschung. Es gibt die freiwillige Initiative »Global Implementation Accelerator«, mit der die Lücke zwischen nationalen Klimaplänen und 1,5-Grad-Ziel »in Reichweite zu halten«. Ein recht unverbindliches Versprechen, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen (von wegen »Regenwald-COP«), sowie die Tropical Forest Forever Facility. Künftig soll im UNFCCC-Rahmen auch über die Folgen von Handelsmaßnahmen wie dem CO2-Grenzausgleich gesprochen werden, das wollten Staaten des Globalen Südens. Die Konferenzleitung habe über 100 internationale freiwillige Klimaschutzinitiativen vergleich- und messbar gemacht. Verwiesen wird zudem auf den beschlossenen Mechanismus für eine gerechte Energiewende als »erste Klima-Institution, die mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen« des Umbaus der Stromerzeugung umgehen soll, die Erwähnung der Rechte von subaltern gehaltenen Bevölkerungsgruppen als »progressivste Sprache gelobt, die wir je in einem Klimagipfel-Beschluss gesehen haben«.
Insgesamt ist in vielen Reaktionen auf den Ausgang der COP30 der Wunsch spürbar, wenigstens ein halb volles unter den Gläsern zu haben, mit denen man vor einer Öffentlichkeit jongliert, deren Erwartungen an die Weltklimakonferenzen in der Vergangenheit nicht eben gewachsen sind. Es habe eine »gute Dynamik« gegeben, sagt zum Beispiel Christoph Bals von Germanwatch, getrieben von einer durch »Zivilgesellschaft und indigenen Akteuren geprägten COP«. Aber selbst die Ergebnisse, die als »wichtige Fortschritte« erwähnt werden, stehen dann doch als »nicht ausreichend« da. Der »Guardian« hat »Aktivisten« erlebt, die »enttäuscht, aber erleichtert« gewesen seien – wenn man so will das passende Psychogramm in einer Welt, in der als COP-Erfolg gilt, dass keine markanten Rückschritte beschlossen wurden, und doch alle wissen, dass mit den vorliegenden Vereinbarungen nicht einmal genug erreicht wurde, um die schon recht sicher zu erwartenden Folgen der Unterlassung erträglich zu machen.
In der Gesamtschau entsteht so ein Bild von einer Konferenz, auf der die EU und vor allem südamerikanische Staaten versucht haben, »diesen Gipfel zu einem klimapolitischen Erfolg zu machen. Petrosstaaten wie Saudi-Arabien und Russland blockierten die Bemühungen.« Deren erbitterten Widerstand wird man nicht in Zweifel ziehen, doch was hinter dem Hinweis auf die »Fouls« der fossilistischen Reaktionäre in den Hintergrund gerät, ist dass viele jener Staaten, die in dem Bild als klimapolitische Vorreiter gezeichnet werden, das gar nicht sind. Dass sich die Bundesrepublik unter den über 80 Staaten einfinden darf, die sich erstmals für einen Fahrplan zur Abkehr von den klimaschädlichen Brennstoffen Kohle, Erdöl und Erdgas stark machen, muss für jene wie Hohn klingen, die noch nicht vergessen haben, was Gas-Reiche oder Verbrenner-Söder gestern gesagt haben.
Der nun vielfach zu hörende Hinweis darauf, dass doch trotz aller Krisen, trotz Trump und Putin »das multilaterale System der Klimakonferenzen funktioniert«, steht ein bisschen schief in der Gegend herum. Es entbehrt schon etwas der Logik, denn man kann nicht sagen, die Petrostaaten hätten das, was wissenschaftlich dringend geboten wäre, auf der COP30 blockiert – und zugleich behaupten, der UNFCCC-Rahmen würde funktionieren.
Michael E. Mann hat das so auf den Punkt gebracht: »Ein Klimaabkommen ohne explizite Formulierung zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ist wie ein Waffenstillstand ohne explizite Formulierung zur Einstellung der Kampfhandlungen.« Nicht nur der Klimaforscher Ian Hall bemerkt unter anderem mit Blick auf die EU, die ja immer gern und in allen Fragen etwas sein möchte, was sie dann nicht ist, dass die Klimapolitik heute von einer »Koalition fossiler Staaten auf der einen Seite« und einem »auf Solarenergie setzenden China auf der anderen« bestimmt wird. »Die Welt ist gespalten«, stellt »Politico« in einer Analyse fest, die auf die Rolle des Trump-Fossilismus in Belém zu sprechen kommt: nicht präsent, aber eben doch. Angesichts der ökonomischen, zollpolitischen Drohungen hätten sich Staaten, die eine dezidiert klimafreundliche Haltung einnehmen wollten, »wie eine schweigende Mehrheit« verhalten. Der Putin-Fossilismus beleidigte auf der COP30 Staaten, die klimapolitisch weiter gehen wollten, diese würden sich wie »Kinder benehmen, die alle Süßigkeiten an sich reißen wollen«. »Politico« kommt auch auf die Rolle der BRICS-Staaten zu sprechen, die den maßgeblichen Abschlusstext prägten.
Das Ganze wirft grundlegende Fragen hinsichtlich globaler Kooperation – und ihrer Grenzen in Zeiten auf, in denen einerseits eigentlich keine Zeit mehr für Verdrängen, Verzögern, Verdienen am fossilistischen Kapitalstock ist, und andererseits eine planetar wirksame Klimakrise eigentlich nur dann eingedämmt werden kann, wenn doch alle Staaten mitmachen. Wie also »verhandeln« in einer Welt, in der es eine »Achse der Blockade« gibt (Michael Jacobs von ODI Global), und zugleich mehrere, gegeneinander verkeilte weitere Achsen: die Achse der untergehenden Staaten, die Achse der Als-ob-Klimapolitik, die Achse der Staaten mit blockierten Transformationskonflikten und so weiter? Nikki Reisch vom Center for International Environmental Law, die »ein leeres Abkommen« kritisiert, fühlt sich angesichts der COP30 daran erinnert, »dass die Antworten auf die Klimakrise nicht in den Klimaverhandlungen liegen – sie liegen bei den Menschen und Bewegungen, die den Weg in eine gerechte, gleichberechtigte und fossilfreie Zukunft ebnen«. Ja schon, aber werden diese schneller und wirksamer jenen Um- und Rückbau global durchsetzen können, der im Grunde schon überfällig ist, ja in manchen Fragen zu spät kommt?
Michael E. Mann hat in einem ersten Kommentar zur COP30 (»ein totaler Fehlschlag«) auf einen gewissermaßen formalen Aspekt in diesem Zusammenhang hingewiesen: »Die Regeln des UNFCCC müssen grundlegend geändert werden. Es darf nicht zugelassen werden, dass eine kleine Anzahl von Schurkenstaaten den Fortschritt für den Rest der Welt blockiert.« (Siehe zur Reformdebatte auch hier.) Von wegen: »das multilaterale System der Klimakonferenzen funktioniert«. Die bestehenden Konsensmechanismen führen nun schon seit Jahrzehnten dazu, dass nicht das beschlossen wird, was nötig wäre – von der Umsetzung ganz zu schweigen. Mann zieht daraus eine Schlussfolgerung: »Erdölstaaten wie Saudi-Arabien, Russland – und die USA unter republikanischer Führung – sind eine Bedrohung für uns und den Planeten und müssen als solche behandelt werden.«
Man wird aber auch nicht den Fehler machen dürfen, sich hinter fossilistischen Sündenböcken zu verstecken. Niklas Höhne vom New Climate Institute bilanziert die COP30 ebenfalls als »ein Beispiel für Zusammenarbeit in einer ansonsten gespaltenen Welt«. Auf der dann aber die fossile Brennstoffindustrie und die Ölförderländer trotzdem ihre Ding durchziehen konnten, weil Klimaschutz ihr Geschäftsmodell bedroht? Aber interessanter ist ein anderer Punkt, denn Höhne schreibt: »Dies ist kein angemessener Notfallplan, der eine adäquate Reaktion auf die Krise darstellen würde.« Aber wie müsste denn ein angemessener Notfallplan aussehen, der eine adäquate Reaktion wäre – und wie viele der Regierungen, die jetzt auf die Petrokoalition zeigen, wären dazu bereit und in der Lage?
Claudia Kemfert hat ja Recht, wenn sie sagt, beim »verbindlichen Ausstieg aus fossilen Energien« entscheide sich die Zukunft des globalen Klimaschutzes. Aber was ist dann ein Satz wie »Die EU muss jetzt vorangehen« als falsche Hoffnung? Hat nicht gerade im Europaparlament eine Koalition unter Einschluss der Rechtsradikalen den Rückbau unter anderem von Ökoregeln beschlossen? Versucht nicht gerade unter anderem die Bundesregierung, fossilistische Geschäftsmodelle zu verlängern und scheut klimapolitisch wirksame gesetzgeberische Schritte aus Angst vor einer Bevölkerung, die zu beträchtlichen Teilen auch nicht willens wäre, ihren petromodernen »Wohlstand« aufzugeben?
Die Leiterin der pakistanischen Delegation, Aisha Humaira, wird im »Guardian« mit der daran hängenden Frage aller Fragen zitiert: »Länder, die in den letzten 200 Jahren alle Energiequellen genutzt und den Höhepunkt des industriellen Wachstums erreicht haben, aber dennoch nicht aufgehört haben, all diese Energiequellen zu nutzen, fordern uns auf, das Wachstum zu stoppen. Das Recht auf Wachstum und Sicherheit ist für jedes Land grundlegend.« Müsste aber in einer begrenzten Welt »planetare Grenzen« haben.
Und so stecken in dieser Frage aller Fragen viele weitere: Wer wo aus Gründen der Gerechtigkeit noch Anspruch auf Wachstum haben kann und wer aus eben diesen Gründen eine Politik des Weniger verfolgen müsste? Wie soziale Integration, Fortschritt und Wohlfahrt anders verstanden werden müssten, wenn sie nicht mehr von petromodernen Steigerungslogiken angetrieben werde können? Wie Ansprüche der Gleichheit in einer Welt durchgesetzt werden können, in der es ein »Oben« und »unten« gleich mehrfach und widersprüchlich miteinander verbunden gibt? Und wie das alles mit Bedürfnisstrukturen zu bewältigen ist, die sich nicht mit dem vernünftigen Hinweis auf die negativen Folgen von sozialen Eingerichtetheiten hier und anderswo aus der Welt schaffen lassen? (tos)