Eine echte ontologische Grenze (1972)
Die Schraube des ständig steigenden Konsums ins Unendliche weiterzudrehen, lohnt sich nicht mehr - ja, es wird selbstmörderisch, befand Wolf-Dieter Marsch vor über vier Jahrzehnten in seinen Theologischen Überlegungen zum Thema Umweltschutz.
// Wenn es richtig ist, daß wir in diesen heute wahrzunehmenden technisch produzierten Gefährdungen unserer Umwelt sehr massiv - und v. a. in alltäglich zu machender und sehr sinnenfälliger Erfahrung - wieder auf eine Grenze der natürlichen Ressourcen unserer Erde und ihrer Aneignung durch den Menschen stoßen, dann kann man wohl auch sagen: Wir stoßen damit wieder auf eine Intention, die in jenen uralten Sagen gemeint war (Schöpfungsgedanke). Angesichts des Themas »Zerstörung der Umwelt« befinden wir uns ja in einem sehr merkwürdigen Zirkel. Wir sagen: Technisch - um die Lebensbedürfnisse von immer mehr und immer anspruchsvolleren Menschen zu befriedigen - benötigen wir diese umweltzerstörenden Faktoren, können auf die »heile Natur« keine Rücksichten nehmen. Andererseits aber wird es immer evidenter, daß diese »Evolution der Bedürfnisse« nicht unbegrenzt so weitergehen kann. Weil wir uns nämlich mit dem Bestreben, immer mehr, immer perfekter, immer reichhaltiger leben zu wollen, die Voraussetzungen dafür zerstören, daß weiterhin überhaupt Bedürfnisse aus »natürlichen« Ressourcen befriedigt werden können. Hier scheint eine echte ontologische Grenze auch unseres materiell-technisch bestimmten Daseins erreicht zu sein.
Ich möchte die These vertreten, daß diese Grenze etwas zu tun hat mit jener anderen, in der Bibel gemeinten - hier nun in einem vordergründig »gottlosen« Sinne. Vielleicht buchstabieren wir heute und hier die Frage durch, die man früher so ausdrückte: Die Erde, die Natur, gehört nicht dem Menschen, sondern sie ist ihm zu Lehen gegeben, das heißt, ihm anvertraut, daß er sie nutze und Kapital daraus schlage, - aber er ist auch Rechenschaft dafür schuldig, was er damit getan hat. Hat er sie wirklich zum Wohl seiner selbst, zum Wohl des »Humanen« genutzt? Ist die quantitative Steigerung von Wohlstand und Konsum auch zugleich ein letztes qualitatives Sinnziel zu nennen, mit dem wir dieser Verantwortung gerecht werden können? Wird an der Absurdität jenes Zirkels nicht offenkundig, daß irgendetwas mit der technisch-zivilisatorischen Reproduktion unseres Daseins nicht mehr stimmt - etwas, für das wir gerade in seiner Absurdität haftbar sind?
Natürlich ist es wenig sinnvoll, nun dem einzelnen Konsumenten Askese zu predigen. Ebenso dürfte auch der Appell an »die Industrie«, weniger und umweltgerechter zu produzieren, kaum von großem Nutzen zu sein. Hier helfen in der Tat wohl nur strengere, eindämmende Restriktionen (um die graue Zone zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen gründlicher abzuklären) und der langfristige und viele Faktoren koordinierende Prozeß einer umweltfreundlicheren Gesellschaftspolitik. Wohl aber könnte die Christenheit als eine gesellschaftlich meinungsbildende Macht dafür eintreten, diesen unheilvollen Zirkel weiter und langfristiger ins Bewußtsein zu heben. Banal ausgedrückt: Die Schraube des ständig steigenden Konsums ins Unendliche weiterzudrehen, lohnt sich nicht mehr - ja, es wird selbstmörderisch, in vollem Bewußtsein der Folgen weiter zu konsumieren und zu produzieren. Das Bemerkenswerte an solchen Appellen an Bewußtsein und Moral heute ist, daß sie nicht mehr wie einst aus dem Schatzkästlein supranaturaler Normen deduziert zu werden brauchen - und darum auch immer weniger Gehör finden -, sondern daß wir futurologisch dressierte Computer befragen können, um uns das »jüngste Gericht« auszurechnen -, wenn uns nicht eine neue Ethik des Überlebens gelingt, wie sie kürzlich etwa Groger Foley, erschütternd deutlich gefordert hat: Er ging die futurologische Bestseller-Literatur von 1970/71 durch. Hauptthese: »Die technologische Gesellschaft hat jetzt ihren Höhepunkt erreicht; das Goldene Zeitalter ist heute, nicht in der Zukunft. (…) //
aus Wolf-Dieter Marsch: Verantwortung für die Folgen der Freiheit. Theologische Überlegungen zum Thema Umweltschutz, in: Ansichten einer künftigen Futurologie, hrsg. v. Dietger Pforte und Olaf Schwencke, München 1973, S. 201-218, hier S. 209ff. Der Band versammelt Beiträge eines Internationalen Kolloquiums in Loccum im Frühjahr 1972.